Empfehlung vor dem Fest (21): Julia Giordano über den berührenden Roman „Die Optimisten“, Huxleys neu übersetzte „Schöne neue Welt“ und das Kinderbuch „Geh weg, du Problem!“

Im Advent 2020 kommen auf dem Bücheratlas Gäste zu Wort! Persönlichkeiten, die der Buchwelt eng verbunden sind, präsentieren jeweils einen Titel, der ihnen besonders am Herzen liegt. Tag für Tag exklusiv auf diesem Blog – bis kurz vorm Tannenbaum.

Julia Giordano ist Teamleiterin Presse bei den S. Fischer Verlagen in Frankfurt am Main. Foto: Kristina Frick

Ein Roman, der mich in diesem Jahr, das ganz im Zeichen einer neuen Krankheit in der Welt stand, sehr berührt hat, ist Rebecca Makkais „Die Optimisten“. Er erzählt von einem anderen – damals neuartigen – Virus, das in einer ganzen Generation schwuler Männer wütete. 1985 wird ein „Boystown“ genannter Stadtteil Chicagos mit seiner schwulen Party-, aber auch Kulturszene zu einem Epizentrum von Aids. Ein junger Galerist, ein Comiczeichner, ein Redakteur – ein ganzer Freundeskreis, eine ganze Szene wird auf elende Weise ausgelöscht. Makkai erzählt vom Alltag mit der Krankheit, der Hilflosigkeit der Ärzt*innen, von Misstrauen, Auflehnung und Scham. Von Trauerfeiern, bei denen man zusammenkommt, um gemeinsam Abschied zu nehmen. Aber noch mehr, um das Leben zu feiern und sich gegenseitig Mut zu machen für den Kampf, der allen von ihnen noch bevorsteht. Von Familien, die nicht mal zum Verabschieden kamen. Und vor allem von Freundschaft. Im Zentrum dieser Freundschaften steht Fiona. Deren Tochter wiederum dreißig Jahre später Mitglied in einer Sekte wird – vielleicht, weil sie fand, dass ihre Mutter früher mehr mit ihren schwulen, sterbenden Freunden beschäftigt war als mit ihr.

So tapfer diese Männer der damals tödlichen Krankheit zu trotzen versuchen, sie kämpfen einen aussichtslosen Kampf. Bis zur Einführung der HIV-Therapie im Jahr 1996, die bis heute das Überleben mit dem Virus ermöglicht, brauchte es erschreckende elf Jahre. 

Und noch ein Kurz-Tipp für Fans oder Sammler*innen von illustrierten Büchern: „Schöne neue Welt“. Aldous Huxleys Meilenstein der dystopischen Science-Fiction, in der Menschen gezüchtet, optimiert, konditioniert und „dekantiert“ werden, illustriert vom deutschen Comic-Künstler Reinhard Kleist, den man auch von großartigen Graphic Novels wie „Nick Cave“ und „Der Boxer“ kennt: klar, expressiv und atmosphärisch mit überraschenden Farbakzenten. Neben der Hardcover-Ausgabe gibt es noch eine auf 300 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe mit einem nummerierten, von Reinhard Kleist signiertem Siebdruck und im papierbezogenen Schuber.  

Und zu guter Letzt, für ganz kleine Liebhaber*innen bebilderter Bücher und ebenfalls mit augenscheinlichem aktuellen Bezug, „denn wie man’s auch wendet – Problem bleibt Problem. Sie graben dir Gruben…vermasseln den Spaß…verfinstern den Himmel, verdunkeln das Gras.“ Da braucht es manchmal den lustigen, bunten Bilderbuch Ratgeber: „Geh weg, du Problem!“ von Rachel Rooney und Zehra Hicks.

Julia Giordano

Rebecca Makkai: „Die Optimisten“, dt. von Bettina Abarbanell, Eisele Verlag, 624 Seiten, 24 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

Aldous Huxley: „Schöne Neue Welt”, Neuübersetzung von Uda Strätling, illustriert von Reinhard Kleist, S. Fischer Verlag, 352 Seiten, 38 Euro. E-Book: 9,99 Euro.   

Rachel Rooney (Text) und Zehra Hicks (Illustrationen): „Geh weg, du Problem!“, dt. von Stephanie Menge, Fischer Sauerländer, 32 Euro, 14,99 Euro.


  • Was bisher geschah

    Die 1. Empfehlung: Rafik Schami über „Fahrplanmäßiger Aufenthalt“ von Franz Hohler – HIER .

    Die 2. Empfehlung: Antje Deistler über „Nach vorn, nach Süden“ von Sarah Jäger – HIER .

    Die 3. Empfehlung: Mark Benecke über „The complete MAUS“ von Art Spiegelman – HIER .

    Die 4. Empfehlung: Nina George über „Ich bin Circe“ von Madeline Miller, „Ein Gentleman in Moskau“ von Amor Towles, „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger, „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens und „Offene See“ von Benjamin Myers – HIER .

    Die 5. Empfehlung: Klaus Bittner über „Die Schlange im Wolfspelz“ von Michael Maar – HIER .

    Die 6. Empfehlung: Monika Helfer über „Rohstoff“ von Jörg Fauser – HIER .

    Die 7. Empfehlung: Horst Eckert über „Late Show“ von Michael Connelly – HIER .

    Die 8. Empfehlung: Werner Köhler über „Beatlebone“ von Kevin Barry – HIER .

    Die 9. Empfehlung: Marie Claire Lukas über das Magazin „Spring # 17 – Gespenster“ und „Accidentally Wes Anderson“ von Wally Koval – HIER  .

    Die 10. Empfehlung: Bettina Fischer über „Die Dame mit der bemalten Hand“  von Christine Wunnicke – HIER .

    Die 11. Empfehlung: Cay Rademacher über „Das Rätsel von Zimmer 622“ von Joel Dicker – HIER

    Die 12. Empfehlung (I): Ingrid Noll über „Abschiedsfarben“ von Bernhard Schlink – HIER  .

    Noch eine 12. Empfehlung (II): Mike Altwicker über „Verdächtige Geliebte“ von Keigo Higashino – HIER.

    Die 13. Empfehlung: T. Coraghessan Boyle über „Der Tod in ihren Händen“ von Ottessa Moshfegh – HIER .

    Die 14. Empfehlung: Ursula Gräfe über „Paul Celan und der chinesische Engel“ von Yoko Tawada – HIER .

    Die 15. Empfehlung: Kristof Magnusson über „Vogelpark von Tobias Schwartz – HIER .

    Die 16. Empfehlung: Agnieszka Lessmann über „Die essbare Frau“ von Margaret Atwood, „Rabenschwarze Intelligenz“ von Josef H. Reichholf, „Das Buch der Dörfer“ von Hans Thill und „Ein morsches Licht“ von Anke Glasmacher – HIER .

    Die 17. Empfehlung: Anne Burgmer über „Die Optimisten“ von Rebecca Makkai – HIER .

    Die 18. Empfehlung: Gudrun Fähndrich über „Spiegel und Licht“ von Hilary Mantel – HIER .

    Die 19. Empfehlung (I): Frank Olbert über „Fluchtzustand“ von Agnieszka Lessmann und „Der Garten der verlorenen Seelen“ von Nadifa Mohamed – HIER .

    Noch eine 19. Empfehlung (II): Romy Hausmann über „Hitze“ von Victor Jestin – HIER .

    Die 20. Empfehlung: Friedrich Ani über „Ich will doch immer nur kriegen, was ich haben will“ von Franz Dobler – HIER .

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