Empfehlung vor dem Fest (8): Werner Köhler sagt, ein Buch wie Kevin Barrys „Beatlebone“ gibt es in einer Generation vielleicht nur einmal

Im Dezember 2020 präsentieren Gastautorinnen und Gastautoren Bücher, die ihnen besonders am Herzen liegen. Mal sind es Neuerscheinungen, mal sind es Klassiker. Tag für Tag und exklusiv auf dem „Bücheratlas“ – bis kurz vorm Tannenbaum.

Werner Köhler wurde 1956 in Trier geboren und lebt in Köln. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht: „Cookys“ und „Cookys Reise“, „Eine ganz normale Familie“ und „Drei Tage im Paradies“ sowie zwei Krimireihen um die Ermittler Crinelli und Perez (in diesem Fall unter dem Pseudonym Yann Sola). Zudem stammen zwei Kochbücher aus seiner Feder. Sein nächster Roman erscheint im Frühjahr 2022 bei Kiepenheuer & Witsch. Werner Köhler entwickelte im Jahre 2000 die Idee zum Literaturfestival lit.Cologne; Ende des vergangenen Jahres zog er sich aus der Geschäftsführung des Festivals zurück. Foto: Privat / WK

Vor 40 Jahren, am 8. Dezember 1980, erschießt ein gewisser Mark David Chapman John Lennon vor dem Dakota Building in New York. Lennon ist 40 Jahre alt. Eine Legende, ein Mythos, eine Ikone. Spitzenplatz im Rock n’Roll Olymp. So einen Heiligen lässt man tunlichst unberührt, die Fallhöhe für einen Biografen ist einfach zu hoch. Allein schon der Versuch, sein Leben zu fassen, ein Sakrileg. Über Lennons Leben nach den Beatles existieren deutlich mehr Mutmaßungen als fundiertes Wissen. Diese Legende ins Zentrum eines fiktionalen Textes zu setzen, das atmet den Hauch von Größenwahn. Scheitern nahezu garantiert.

In Kevin Barrys Roman „Beatlebone“ flieht ein ziemlich angeschlagener Rockmusiker namens John Lennon aus New York. Mit sich und seiner Umwelt eindeutig nicht mehr im Reinen, reist er nach Europa, wo er sich an der irischen Westküste eine kleine unbewohnte Insel gekauft hat. Drei Tage möchte er dort verbringen.

Auf dem Weg zu seinem Hotel landet er im Taxi von Cornelius O’Grady. Der organisiert für Lennon die Überfahrt vom Festland zu seiner Insel am nächsten Tag. Am Abend geht man zusammen in den Pub und stürzt biblisch ab. Am nächsten Tag rät O’Grady zur Verschiebung. Die Presse habe Wind bekommen und sei in großer Zahl angereist. Cornelius gerät zum Zeremonienmeister der nächsten 72 Stunden. Die beiden stürzen von einem Abenteuer ins nächste. Anstatt auf die Insel überzusetzen befinden sich die beiden ungleichen Männer bald schon auf einer Magical Mystery Tour der literarischen Sonderklasse.

„… die unfassbarste aller Inseln, die erste Person Singular“ (John McGahern) – dieses Zitat stellt Kevin Barry seinem Roman voran. Folgerichtig erzählt er seine Geschichte in Form einer Autobiografie gemischt mit einem rein fiktionalen Text, was dem Buch eine weitere Portion Wahnsinn hinzufügt. Obwohl sich viel Wahres und manch Tatsächliches im Buch findet. So besaß Lennon diese Insel bis zu seinem Lebensende.

Was ist also mit dem eingangs erwähnten Größenwahn? Bücher wie dieses gibt es in einer Generation vielleicht nur einmal. Wagemutig in der Idee, Waghalsig in der Komposition, kompromisslos in der Sprache. Ein Sound wie einer der besseren Beatles-Songs. Sagen wir: „A Day In The Life“. Aber in der Neil-Young-Version.

Und der Autor? Wären wir unter uns, würde ich sagen: einer mit Cojones. Ein literarisches Biest. Eine rasend musikalische Mischung aus James Joyce und Roddy Doyle. Oder sagen wir es präzise: Kevin Barry!

PS: Einen neuen Lennon-Roman gibt es auch von Tom Barbash: „Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens“ (Kiepenheuer & Witsch, ). Barbash hängt der Biographie eine fiktionale Handlung an bzw. verwebt sie damit. Hat mich gut unterhalten. Ist literarisch sicher weniger stark als Barry, aber auch zu empfehlen.

Werner Köhler

Kevin Barry: „Beatlebone“, dt. von Bernhard Robben, Rowohlt, 320 Seiten, 20 Euro. E-Book: 14,99 Euro.


Werner Köhler hat zuletzt unter dem Pseudonym Yann Sola vier Südfrankreich-Krimis um den eigenwilligen Privat-Ermittler Perez veröffentlicht, darunter „Letzte Fahrt“ (2018) und „Johannisfeuer“ (2019). Sein Roman „Drei Tage im Paradies“ ist 2011 erschienen. Alle Romane von Werner Köhler werden bei Kiepenheuer & Witsch verlegt.

Auf diesem Blog gibt es eine Tatort-Besichtigung in Banyuls-sur-mer, wo die Perez-Krimis angesiedelt sind ( HIER ) , ein Gespräch über die lit.Cologne ( HIER ) sowie eine Rezension zu „Johannisfeuer“ ( HIER ). Weitere Artikel von und über Werner Köhler lassen sich über die Suchmaske blitzschnell finden.

  • Was bisher geschah

    Die 1. Empfehlung: Rafik Schami über „Fahrplanmäßiger Aufenthalt“ von Franz Hohler – HIER .

  • Die 2. Empfehlung: Antje Deistler über „Nach vorn, nach Süden“ von Sarah Jäger – HIER .

  • Die 3. Empfehlung: Mark Benecke über „The complete MAUS“ von Art Spiegelman – HIER .

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  • Die 5. Empfehlung: Klaus Bittner über „Die Schlange im Wolfspelz“ von Michael Maar – HIER .

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  • Die 7. Empfehlung: Horst Eckert über „Late Show“ von Michael Connelly – HIER .

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