Gastautorinnen und Gastautoren präsentieren in diesem Dezember auf dem „Bücheratlas“ Werke, die ihnen besonders am Herzen liegen. Mal sind es Neuerscheinungen, mal sind es Klassiker, neuere und ältere. Tag für Tag und exklusiv – bis kurz vorm Tannenbaum.

Auf dem Nachttisch lag ein Klumpen Opium. Ringsum schrien die Huren. Auf Sex hatte ich selten Lust. Ich legte mich hin und schlug das Notizbuch auf mit dem Kapitel, an dem ich gerade schrieb.“ – habe wieder einmal die Geschichte von Harry Gelb gelesen, einem empfindlichen jungen Mann, der mit dem Leben nur zurecht kommt, wenn er sich wegdriftet. Er wohnt mit einem Freund in der Nähe der Blauen Moschee in Istanbul, konsumiert Drogen, seine Schuhe haben Löcher, von der ehemals grünen Hose ist aller Samt abgebröselt. Tief im Innern hat er nur den Wunsch zu schreiben. Er kauft Kladden und schreibt Gedichte, liest sie seinem Freund vor, einem Junkie, der seine Sätze zu lang findet, „wie willst du mit dem einen Verlag finden”.
Harry Gelb kann sich nicht konzentrieren, weil der Freund mit einer Braut auf der Matratze liegt, sie beißt ihn und er schlägt um sich, Harry flüchtet nach draußen. Das Schreiben begleitet ihn jede Minute. Als immer mehr Abenteuerhungrige nach Istanbul kommen, besorgen Harry und sein Freund Drogen und verdienen so ihr Geld.
Dann aber will Harry zurück. Berlin ist ein spießiges, kaltes Istanbul. Er zieht in eine Wohngemeinschaft. Wilhelm Reich wird kopiert, und die Kopien werden verkauft – Harry hält das nicht aus. Er zieht mit einem Mädchen zusammen, das schön ist und ihn nicht versteht. Sie kauft ihm die erste Schreibmaschine. Bis zu seiner ersten Lesung, die er nur angenommen hat, weil die Stimme am Telefon so sexy klang, ist ernüchternd. Harry schreibt weiter, weil er sonst nichts kann.
Jörg Fauser ist mit 43 Jahren auf der Autobahn überfahren worden. Ich habe ihn einmal bei der Buchmesse in Frankfurt getroffen. Sein Problem: Seit er keine Drogen mehr nahm, konnte er eine Menge Alkohol vertragen.
Monika Helfer

Jörg Fauser: „Rohstoff“, mit Nachworten von Michael Köhlmeier und Matthias Penzel, Diogenes, 352 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.
Monika Helfer hat zuletzt den Roman „Die Bagage” im Hanser-Verlag veröffentlicht. Am 25. Januar kommt dort ihr Roman „Vati” heraus. Bei Jung und Jung ist 2017 „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!” erschienen.
Eine Besprechung des Romans „Die Bagage” findet sich auf diesem Blog – und zwar HIER .
Die Jörg-Fauser-Werkausgabe, die derzeit vom Diogenes-Verlag aufgelegt wird, haben wir auf diesem Blog Schritt für Schritt vorgestellt – zuletzt HIER . Vom Roman „Rohstoff” war HIER die Rede.
Was bisher geschah:
Die 1. Empfehlung: Rafik Schami über „Fahrplanmäßiger Aufenthalt“ von Franz Hohler – HIER .
Die 2. Empfehlung: Antje Deistler über „Nach vorn, nach Süden“ von Sarah Jäger – HIER .
Die 3. Empfehlung: Mark Benecke über „The complete MAUS“ von Art Spiegelman – HIER .
Die 4. Empfehlung: Nina George über „Ich bin Circe“ von Madeline Miller, „Ein Gentleman in Moskau“ von Amor Towles, „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger, „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens und „Offene See“ von Benjamin Myers – HIER .
Die 5. Empfehlung: Klaus Bittner über „Die Schlange im Wolfspelz“ von Michael Maar – HIER .