Die 1. Kölner Literaturnacht, veranstaltet vom Verein Literaturszene Köln, bot 137 Veranstaltungen an 42 Orten. Weil immer alles so schnell verrauscht, soll hier in einer kleinen Reihe an einige Veranstaltungen erinnert werden.

Gunther Geltinger und Yannic Han Biao Federer vor ihrem Auftritt im Ehrenfelder „Weltempfänger“ Foto: Bücheratlas
6. Fuck-up-Night im Weltempfänger
Ein fabelhaftes Format: Die Fuck-up-Night. Entstanden in der Business-Welt und angeblich erstmals praktiziert in Mexiko-Stadt, vor Jahren schon. Darum geht es: Geschäftsleute berichten von ihren gescheiterten Start-ups. Sie reden sich die „Schande des Scheiterns“ von der Seele im Bewusstsein, dass „Scheitern“ eine Chance ist. In der Kölner Literaturnacht wurde die Fuck-up-Night nun ins Literarische übertragen. Das saß!
Im proppenvollen „Hostel Weltempfänger“ in Ehrenfeld sprach zunächst Gunther Geltinger, der kürzlich den Roman „Benzin“ bei Suhrkamp veröffentlicht hat, mit Moderator Yannic Han Biao Federer, dessen Roman „Und alles wie aus Pappmaché“ ebenfalls bei Surhkamp und ebenfalls kürzlich erschienen ist. Anschließend traten Ulrike Anna Bleier, die jüngst eines der beiden Dieter-Wellershoff-Stipendien 2019 erhalten hat, mit Moderator (und Kollege) Tilman Strasser auf. Dabei ging es um Bleiers Ehrenfeldkrimi, der „ewig fast fertig“ ist (was schon wie ein feiner Buchtitel klingt).
Doch hier nun zu Gunther Geltinger, der sein in Rede stehendes Roman-Projekt während des Studiums an der Kölner Kunsthochschule für Medien begonnen hatte. Aus der langen Erzählung von 2004/2005 wurde zunächst die Drehbuch-Variante für einen sechsstündigen Film. Dann folgten weitere Prosa-Varianten, darunter ein um alle „Plot-Elemente“ gestrichener Roman, der aber nicht mehr lesbar gewesen sei, wie der Autor sagte. Schließlich entstand aus alledem ein Hörstück („nicht Hörspiel“) mit dem Titel „Riss“. Dafür war der Text mit elektronischer Musik von Gerriet K. Sharma kombiniert worden, so dass nun – in kleiner CD-Auflage – eine Art erzählter Klangkunst beziehungsweise eine Art musikalischer Prosa vorliegt.
„Riss“ ist die Geschichte von Johann, der „an der Form des Lebens scheitert, die er nicht findet“, und der „in der Psychiatrie seine Sozialisation“ erfährt. Aber nicht der Verlauf der Handlung steht im Zentrum, diesen Eindruck vermittelten jedenfalls die Hörproben. Eher geht es um eine sinnliche Erfahrung von Suche und Irritation. Eine akustische Reise in Wort und Klang.
All diese Mutationen eines Stoffes zu vernehmen, war so attraktiv wie lehrreich. Allerdings kann hier vom Scheitern nicht die Rede sein. Immerhin ist das Projekt doch zu Kunst geworden. Und vor allem: Das Probieren und Verwerfen und Neubeginnen gehört zum kreativen Prozess. Das bekräftigte auch Geltinger. Nicht die nächste Buch-Veröffentlichung sei das Maß allen Schreibens, sondern die erzählerische Weiterentwicklung. Für ihn nimmt „Riss“ einen wichtigen Platz in seiner künstlerischen Biografie ein: Ohne diesen Roman, der keiner wurde, sagt Gunther Geltinger, wäre er nicht der Erzähler geworden, der er jetzt ist.
Martin Oehlen
Weitere Beiträge der Reihe „Literaturnacht revisited“: Teil 1 („Nominiert für den Literaturnobelpreis 2054“), Teil 2 („Mein Großvater war Goethe“), Teil 3 („Was alles schwedische Literatur sein kann“), Teil 4 („Mal was Richtiges schreiben“) und Teil 5 („Die Lyrik-Kiste bleibt in Mutters Keller“). Außerdem eine Umfrage unter Autoren hier (Ulrike Anna Bleier, Johannes Geil, Werner Köhler) und hier (Gunther Geltinger, Melanie Raabe, Julia Trompeter). Und dann noch ein Interview mit den Initiatoren Bettina Fischer und Uwe Kalkowski.
Rezensionen zu den neuen Bücher von Gunther Geltinger und Yannic Han Biao Federer finden sich hier und hier.