
Funpark für Skater – nicht im Badischen, dahin haben wir es so schnell nicht geschafft, sondern im Rheinischen. Foto: Bücheratlas
Die Konjunktion „und“ wird selten gewürdigt. Sie ist die graue Maus im Paradiesgarten der Worte. Was sehr ungerecht ist. Denn dieses Bindewort verdeutlicht wie kein anderes, dass alles miteinander zusammenhängt und sich das eine aus dem anderen ergibt. Das führt Yannic Han Biao Federer in seinem Debütroman „Und alles wie aus Pappmaché“ in bestechender Konsequenz vor Augen. Der Leser wird gleich mit dem ersten Satz kopfüber in einen schon länger strömenden Erzählfluss gestoßen: „Und Sarah wollte damals ja nichts mehr von mir wissen“, erzählt Jian, „und ich habe dann auch so getan, als wollte ich nichts mehr von ihr wissen, obwohl ich immer sehr genau bemerkt habe, ob sie da war oder nicht da war, im Jugendzentrum oder auf dem Pausenhof oder im Schwimmbad.“
Yannic Federer, der Rolf-Dieter-Brinkmann-Förderpreisträger der Stadt Köln aus dem Jahre 2017, erzählt von jungen Menschen, die im Breisgau aufwachsen, mehr oder minder eng befreundet sind, dann ihrer Wege gehen, sich nach Jahren bei einer Beerdigung wiedersehen und erkennen, dass sie nicht mehr die Clique sind, die sie einmal waren. Die Welt hat sich weitergedreht. „Es sieht nur noch fast aus wie früher“, heißt es einmal im Text.
Der Leser folgt besonders häufig Jian, der seine Erzählung stets mit einem „und“ beginnt, auf seinem Weg ins Leben. Aber auch aus vielen anderen Perspektiven wird erzählt. Und die Zeitebenen wechseln vor und zurück – mal sind wir 2001 in Staufen im Breisgau, als gerade die Türme des World Trade Center einstürzen, und mal 2017 in Denpasar. Und zwischendurch auch mal in Dresden oder Köln. So entsteht aus vielen Partikeln allmählich ein Gruppenbild, auf dem vor allem Jian und Sarah, Anna und Frank hervorstechen.
Die pubertären Probleme, die sexuellen Erkundungen („schwul oder nichtschwul“), Dosenbier und Joints, das gruppendynamische Gerangel, die ersten Erfahrungen im Berufsleben – all das prägt den Roman. Auffallend ist dabei, dass die hellen, lichten, freudvollen Momente rar sind. „Estremamente fortunata“, wie es einmal über eine italienische Familie heißt, ist hier keiner. Der Funpark, in dem sie als Skater unterwegs waren, ist nicht das Leben. Auf Bali fragt Jian seine Mutter: „Aber bist Du denn glücklich?“ Als sie nach einer Weile endlich zur Antwort ansetzt, bekommt sie nur ein „Jian, im Leben …“ heraus, weil sie da gerade am Flughafen von einem Beamten unterbrochen wird, der ein Ticket sehen will. Gestörte Verhältnisse wohin man liest.
Jian meint, dass alles auch anders hätte kommen können. Hätte er nicht eines Tages Anna beim Spülen geholfen, wären er und Sarah womöglich ein Paar geworden. Aber Jian hat Anna beim Spülen geholfen und hat dann mit ihr geschlafen. Das hat Sarah erfahren, weil offenbar immer alle alles erfahren. Jians Freunde recken anerkennend den Daumen: „Alter!“ Aber Sarah will nichts mehr von ihm wissen. Und Anna ist dann eines Tages mit Mascha und dem ehemaligen Motocross-Profi Bobby in Bonn zusammen – in einer „ménage à trois“. Auch nicht einfach.
Federer verbindet all diese Geschichten und Geschichtchen zum Roman einer Generation. Vieles gelingt ihm dabei sehr gut: das Schielen nach Sarahs Bikini, die Sprachlosigkeit des einsamen Frank, die Kälte der Eltern, das Suchen und Tasten, Verwirrung und Eifersucht und anderes mehr. Und nur ganz selten beschleicht den Leser die Befürchtung, den Überblick zu verlieren, wer denn nun wann was über wen gesagt habe. Aber vielleicht kommt es darauf gar nicht so genau an. Wichtiger ist doch, um das Grundrauschen zu wissen, das oft vom Knirschen und Scheppern dominiert wird. Was durchaus dem Krisen-Aufkommen in der Welt „da draußen“ entspricht.
Dieses politische Umfeld wird zwar wie hinter einer Scheibe auf Distanz gehalten, aber es schimmert immer wieder durch. Nicht nur im Jahre 2001, als mit den New Yorker Türmen die Welt auseinanderzufliegen scheint. Die Zeitläufte blitzen ebenso auf in Gestalt eines martialischen Afghanistan-Kämpfers, bei Jimmy Kimmels Tränenrede zur US-Gesundheitspolitik oder im Gezeter eines Wutbürgers gegen „Moslem-Asylanten“ und „Meinungsfaschismus“.
Es mag nicht immer rund laufen für Jian und seine Freunde. Aber das fordern sie auch gar nicht ein. Es sind keine Träumer, die Yannic Han Biao Federer in diesem vielstimmigen, ambitioniert arrangierten, sorgfältig beobachtenden Roman einer Generation porträtiert. Die meisten wissen, dass Weltflucht nicht die beste Option ist, selbst wenn einem alles um die Ohren fliegt. Jian kann dazu Sarah zitieren. Die habe gesagt, „immer weitermachen, darauf komme es an.“
Martin Oehlen
Premierenlesung im Kölner Literaturhaus am 21. Februar 2019 um 19.30 Uhr.
Yannic Han Biao Federer: „Und alles wie aus Pappmaché“, Suhrkamp, 208 Seiten, 14,95 Euro. E-Book: 12,99 Euro.
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