Literaturland NRW (10): Hausbesuch bei Annette von Droste-Hülshoff, die sich ein freies Leben wünschte und ihrer Zeit weit voraus war

Literarische Orte in Nordrhein-Westfalen besuchen wir in lockerer Folge: Schauplätze, Wohnorte, Institutionen. Bekanntlich gibt es pandemiebedingte Einschränkungen. Im aktuellen Fall von Annette von Droste-Hülshoff lässt sich zumindest ein Spaziergang einplanen. Und dann kommen ja auch bald, sehr bald, also ziemlich bald wieder bessere Tage. Damit endet die zweite Staffel von „Literaturland NRW“ – aber die nächste ist schon ausbaldowert. Was in der Reihe bisher geschah, findet sich am Ende des Beitrags.

Burg Hülshoff bei Havixbeck unweit von Münster Foto: Bücheratlas

Das Kind ist eine Frühgeburt, sein Zustand gibt über Wochen Anlass zur Sorge: zu klein, zu leicht, zu dünn zum Leben. Doch das Mädchen, am 12. Januar 1797 geboren, ist eine Kämpferin. Zäh, wenn es ums Überleben geht. Zäh auch später im Leben, als man einer wie ihr, einer adeligen Frau, nur wenig zutraut. Schon gar nicht, die bekannteste Dichterin und Schriftstellerin ihrer Zeit zu werden. Mehr als 200 Jahre später gehört Annette von Droste-Hülshoff zu den Ikonen der deutschen Lyrikszene. Jahrzehntelang zierte ihr Konterfei den grünen Zwanzig-Mark-Schein, bis die D-Mark 2001 dem Euro wich.  

Nahe kommt man dieser schmächtigen Frau mit den modischen Korkenzieherlöckchen über ihr literarisches Werk: hunderte der Romantik verpflichtete Gedichte, Briefe, Balladen, eine Novelle, „Die Judenbuche“, die an vielen deutschen Schulen bis heute zur Pflichtlektüre zählt. Sinnlich erfahrbar aber wird das Leben der Annette von Droste-Hülshoff erst, wenn man einige ihrer Wirkungsstätten besucht: die Burg Hülshoff zum Beispiel, bei Havixbeck unweit von Münster gelegen und ihres Zeichens eines der schönsten Wasserschlösser des Münsterlandes.

Dort wird Annette an einem Donnerstag im Winter 1797 geboren. Beide Elternteile – der Vater Clemens-August II von Droste zu Hülshoff, die Mutter Therese von Haxthausen – stammen aus alten westfälischen Adelsgeschlechtern. Es gibt bereits eine ältere Schwester, Jenny, die zur engsten Vertrauten Annettes werden wird. Und von der einige Porträts der stets ernst dreinblickenden Dichterin stammen. Nach Annette werden zwei Brüder geboren: Werner Constantin und Ferdinand.

Heute gehört die Burg Hülshoff zu den Hauptattraktionen des Münsterlandes. Eingebettet ist sie in einen Park mit breiten Wegen und gepflegten Rasenflächen. Eine Trauerweide stippt ihre Äste in den künstlichen See, der das Gebäude umschließt. Im Burginnenhof, dort, wo Annette – so zumindest möchte man sich das vorstellen – mit den Geschwistern Fangen spielte, lädt ein Café zu einer kleinen Rast mit Kaffee und Kuchen ein. Drinnen, im Foyer, kann man sich Kopfhörer ausleihen und so bestens gerüstet eintreten in das Reich der Annette von Droste-Hülshoff.

Bibliothek auf Burg Hülshoff Foto: Bücheratlas

Beginnen wir – als gäbe es keine Pandemie – mit dem Raum links vom Eingang, dem Esszimmer der Familie. Ein Kamin verspricht an kalten Tagen Wärme und Behaglichkeit, die Tafel in der Mitte des Raumes scheint auf Gäste zu warten. Auf einer der alten Fensterscheiben finden sich – im Gegenlicht nur schwer auszumachen – die Zeilen eines Gedichtes, das Annette von Droste-Hülshoff eigenhändig in steiler Kurrentschrift in das Glas ritzte.

Bald 30 Jahre seines Lebens verbringt das adelige Fräulein am Ort seiner Geburt. Und erwähnt das stattliche, rotbraune Herrenhaus aus dem Jahr 1545 in manchem ihrer Werke. „In monderhellten Weihers Glanz / Liegt brütend wie ein Wasserdrach‘ / Das Schloss mit seinem Zackenkranz / Mit Zinnenmoos und Schuppendach. / Die alten Eichen stehn von fern, / Respektvoll flüsternd mit den Wellen, / Wie eine graue Garde gern / Sich mag um graue Herrscher stellen.“ So heißt es in Annette von Droste-Hülshoffs Gedicht „Der Schloßelf“ aus dem Jahr 1848.  

Mehr als 40 Jahre ist sie alt, als 1838 ihr erster Gedichtband erscheint. Nur noch zehn weitere Jahre bleiben ihr, um den literarischen Ruhm zu genießen. Zeit ihres Lebens ist Annette von Droste-Hülshoff kränklich, eine Folge der zu frühen Geburt. Sie ist extrem kurzsichtig und misst kaum mehr als 1.50 Meter. Doch ihr Verstand ist messerscharf. Allein die damals geltenden Konventionen legen ihr Fesseln an, und häufig beklagt sie die Zwänge, denen sie als Frau unterworfen sei. Besserwisserisch sei sie, behaupten Zeitgenossen, denen die wortgewandte Dichterin über den Mund fährt, wenn sie ihren intellektuellen Ansprüchen nicht genügen. Einen Lebenspartner findet sie nicht.

Wir stehen in ihrem Schlafzimmer, einem spartanisch eingerichteten Raum mit einem schmalen Biedermeierbett. Wandern weiter durch helle, prunkvoll ausgestattete Wohnräume bis hin zur Bibliothek, wo in deckenhohen Glasschränken hunderte von Büchern stehen. Porträts der Familie schmücken die Wände der kostbar möblierten Zimmer, auch der Flügel, auf dem die begabte Musikerin und Komponistin fast täglich spielte, ist noch vorhanden.       

Das ist der Gartenblick auf das barocke Haus Rüschhaus, das fünf Kilometer von der Burg entfernte Refugium der Droste. Foto: Bücheratlas

Trotz aller Bequemlichkeit, die ihr das Elternhaus bietet, flieht Annette von Droste-Hülshoff häufig ins nur fünf Kilometer entfernte Haus Rüschhaus, um dort in Ruhe zu arbeiten. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1826 zieht sie gemeinsam mit der Mutter und Schwester Jenny dauerhaft in das barocke Landhaus. Ihr „Schneckenhaus“ nennt sie die kleine Wohnung, in der mit Unterbrechungen bis 1846 lebt. Ein Spazierweg verbindet heute Burg Hülshoff mit dem Refugium der Dichterin, das im Rahmen einer Führung besichtigt werden kann.

Die letzte Etappe ihres Lebens freilich verbringt sie auf Schloss Meersburg am Bodensee, Heimstatt von Schwester Jenny und deren Ehemann Freiherr Joseph von Laßberg. Dort stirbt Annette von Droste-Hülshoff am 24. Mai 1848 an den Folgen einer Lungenentzündung.  

Petra Pluwatsch

Adresse

Burg Hülshoff liegt etwas zehn Kilometer von Münster entfernt auf dem Gebiet der Gemeinde Havixbeck. Haus Rüschhaus ist etwa fünf Kilometer von der Burg entfernt. Der „Lyrikweg“ zwischen Burg und Haus Rüschhaus soll Mitte 2021 offiziell eröffnet werden.

Burg Hülshoff, Schonebeck 6, 48329 Havixbeck, www.burg-huelshoff.de.

Haus Rüschhaus, Am Rüschhaus 81, 48161 Münster-Nienberge, www.haus-rueschhaus.de

Buchempfehlungen

„Die Judenbuche: ein Sittengemälde aus dem gebirglichten Westfalen“, Insel, 108 Seiten, 14,80 Euro, Taschenbuch: 6,50 Euro. E-Book: 0,49 Euro.

„Die schönsten Gedichte“, Insel, 194 Seiten, 6 Euro. E-Book 5,99 Euro.

Barbara Beuys: „Blamieren mag ich mich nicht: Das Leben der Annette von Droste-Hülshoff“, Insel, 474 Seiten, 14 Euro.    

Karen Duve: „Fräulein Nettes kurzer Sommer“, Kiepenheuer & Witsch, 592 Seiten, 14 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

  • Was bisher geschah

    Heinrich-Böll-Wanderweg in Much (HIER)

    Kölner Orte der Irmgard Keun (HIER)

    Thomas Kling auf der Raketenstation in Hombroich (HIER)

    Bilderbuchmuseum auf Burg Wissem in Troisdorf (HIER)

    Ferdinand Freiligrath und der Rolandsbogen (HIER)

    Der Heinzelmännchen-Brunnen in Köln (HIER)

    Rolf-Dieter Brinkmann in der Engelbertstraße in Köln (HIER)

    Das Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf (HIER)

    Heinrich Bölls Schreibtisch in Köln (HIER)

    Annette von Droste-Hülshoff auf Burg Hülshoff in Münster

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