Literaturland NRW (1): Der Heinrich-Böll-Wanderweg rund um Marienfeld im Bergischen Land

Literarische Orte in Nordrhein-Westfalen wollen wir in lockerer Folge besuchen: Schauplätze, Wohnorte, Institutionen. Und zum Auftakt: einen Wanderweg.

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Foto: Bücheratlas

Heinrich Bölls kritische Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Köln ist bekannt. Auch seine Fluchten in die Ruhe Irlands und die der Eifel mögen in Erinnerung geblieben sein. Doch von den zwei entbehrungsreichen Jahren, die Böll und seine Ehefrau Annemarie 1944 bis 1946 im Bergischen verbracht haben, ist wenig im öffentlichen Bewusstsein zu finden. Rund um Much im Rhein-Sieg-Kreis in NRW ist das selbstverständlich anders. Denn da erstreckt sich der „Böllweg“, der zu einer leichten, informativen und landschaftlich attraktiven Wanderung einlädt. Ein Rundweg mit acht Stationen auf zwölf Kilometern.

Der Clou sind die Info-Tafeln, die sehr konkret und ortsbezogen die Verbindung der Region zu Heinrich Böll herstellen: Hier wohnte er im „Pfarrsälchen“ von Marienfeld und dort beim Bauer Franken in Neßhoven, hier verzehrte er im Straßengraben mit Annemarie eine Wehrmachts-Ration und dort mündete sein oft beschrittener Feldweg in den Ort Berzbach, hier in Bruchhausen meldete er sich vom „Heimaturlaub“ an die Front zurück und dort in Marienfeld liegt der wenige Wochen nach der Geburt am 20. Juli 1945 an Brechdurchfall verstorbene Sohn Christoph auf dem Friedhof.

Die noch recht frisch vermählten Eheleute Böll waren, nachdem sie 1944 in Köln ausgebombt worden waren und eine Notunterkunft an der Ahr wieder hatten verlassen müssen, im Bergischen untergekommen. Bölls Dankbarkeit für die Menschen, die ihnen dort geholfen haben, hielt ein Leben lang an. Zumal in dem Text „Brief an meine Söhne oder vier Fahrräder“ (1985) hat Böll die eigene Bedürftigkeit in jenen extremen Jahren formuliert: „Was ich euch schildern will, ist eine kleine Odyssee.“ Aber auch in „Stichworte“ aus dem Jahr 1965 ist davon die Rede.

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Im Haus der Familie Franken in Neßhoven wohnten die Bölls unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Rechts die Info-Tafel mit einer Aufnahme aus der Vorkriegszeit.  Foto: Bücheratlas

Dankbar ist er dem namenlosen Polizisten, der dem jungen Heinrich ein Fahrrad lieh, was Anfang April 1945 eine außerordentliche Kostbarkeit war: „Er muss ein Heiliger gewesen sein.“ Dankbar auch dem Arzt, der ihm konspirativ geholfen hatte, seinen „Heimaturlaub“ zu verlängern. Dankbar vor allem dem Bauern Johann Peters in Berzbach, von dem er täglich zwei Liter nicht entrahmte Milch für „zwei wertlose Nazikriegsmark“ bekam: „Oh, ihr Milchsuppen des Winters 44/45, vielleicht verdanken wir Euch, verdanken wir dem Bauern Johann Peters unser Leben. Zwei Liter Milch täglich in einem Kriegswinter. Die abendliche Milchsuppe war die einzige sichere Mahlzeit.“ Dankbar schließlich dem Ehepaar Elisabeth und Josef Franken, das im Erdgeschoss seines Hofes Unterkunft bot, als Annemarie schwanger war.

Davon wird auf dem „Böllweg“ kurz und anschaulich in Text und Bild gehandelt. Physisch ist diese Wanderung keine Herausforderung für jene, die zwölf Kilometer gehen können. Bemerkenswerte Anstiege gibt es nicht, auch werden keine höheren Ansprüche an die Trittsicherheit gestellt. Die Ausschilderung ist perfekt, wo immer man die Tour beginnt. Meist geht es auf asphaltierten Wegen voran, die allerdings zwischen Neßhoven und Marienfeld durchaus etwas weniger befahren sein könnten. Die Feldwege wirken, wo sie sich auftun, wie aus dem Bilderbuch. Es geht vorbei an Weiden, Feldern und Teichen, an Kühen, Pferden und Fröschen.

Doch gewiss war Bölls Blick auf diese Szenerie eine ganz andere.

Eine merkwürdige Erfahrung ist das rund um Marienfeld. Während einst die Bewohner, von denen Heinrich Böll ja nur einer war, in „Hunger und Angst“ lebten, wie er schrieb, spazieren wir heute zum bloßen Vergnügen umher. Wir sind nicht auf der existenziellen Suche nach dem täglichen Brot, denn die Stulle haben wir im Rucksack; auch bangen wir nicht um unsere Milch-Ration, denn die Flasche Mineralwasser („Natürlich erfrischend und reich an Mineralien“) gluckst bei jedem Schritt. So kann dieser beschauliche „Böllweg“ auch das Bewusstsein wecken für das Glück, seit dem Kriegsende vom 8. Mai 1945 in Deutschland in Frieden zu leben. Auch nicht schlecht.

Martin Oehlen

Der „Böllweg“ beginnt offiziell in Much am Fit-Hotel in Berghausen 30, 53804 Much. Much ist über den Bahnhof Siegburg und mit anschließender Bus-Verbindung oder über die A 4 erreichbar.

Informationen, inklusive einer Karte, unter http://www.bergisches-wanderland.de

4 Gedanken zu “Literaturland NRW (1): Der Heinrich-Böll-Wanderweg rund um Marienfeld im Bergischen Land

  1. Vielen Dank für die tolle Darstellung dieses „literarischen Weges“, die sehr zum Nachwandern einlädt. Und sicherlich wandert dann auch, so wie du im Text ja sehr anschaulich beschrieben hast, das Bewusstsein mit, wie gut es uns doch heute geht. Mich hat die tägliche Milchsuppe und ihre Wirkung sehr betroffen gemacht. Heute wird die Milch verteufelt, es geht nicht ohne Soja- oder Mandelmilch im Kaffee. Was für eine unterschiedliche Zeit.
    Nun bin ich gespannt, an welche literarischen Orte es euch noch zieht.
    Viele Grüße, Claudia

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    • Liebe Claudia – prima, dass Dir der Text gefällt! Ja, damals war so eine Kanne frischer Milch Gold wert. Wenn man mal nachliest, wie die Bölls – und all die anderen – damals Tag für Tag das Überleben sichern mussten: Wahnsinn! Das Literaturland wollen wir einmal pro Woche würdigen. Je mehr man sich umschaut, desto länger wird die Liste. Aber – wenn Du den ultimativen Tipp hast, lass es uns wissen. Herzliche Grüße, Martin

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      • Als Wuppertalerin fällt mir da sofort Else Lasker Schüler ein. Und eins von Judith Kuckarts Büchern – die Autorin ist in Schwelm geboren, der östlichen Nachbarstadt – spielt in Wuppertal („Kaiserstraße“). In einem ihrer anderen Romane – ich glaube, es ist „Wünsche“ – kann man Schauplätze in Schwelm besuchen. Das ist es, was mir gerade einfällt. Und wenn es zeitlich passt, stehe ich auch gerne als Ortsbegleitung zur Verfügung.
        Viele Grüße, Claudia

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