
Das ist mal eine Ansage: „Die deutsche Gegenwartsliteratur sollte viel experimenteller sein.“ So sieht es Karosh Taha, deren zweiter Roman „Im Bauch der Königin“ im vergangenen ersten Corona-Jahr im DuMont Buchverlag erschienen ist. Nun war sie in der virtuellen Ausgabe der „Zwischenmiete“-Reihe zu Gast, die vom Center of Literature Burg Hülshoff und dem NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft ausgerichtet wird. Korrekt muss es selbstverständlich heißen: Die Zwischenmiete war, wie es das Konzept der Literaturreihe mit dem abermals bestens präparierten Tilman Strasser vorsieht, bei der Autorin in Essen zu Gast.
Das Warm-up fand vor dem Bücherregal statt. „Ich muss lesen, um zu schreiben“, sagte Taha. Die Autobiographie von Mike Tyson habe sie sehr beeindruckt, sei auch wichtig für ihr Schreiben gewesen, und sie werde sicherlich noch mehr als die 40 Seiten lesen, die sie sich bislang gegönnt habe. Außerdem greife sie des Öfteren zu Toni Morrison, die im Grunde schon alles gesagt habe. Dann auch lese sie immer wieder einmal in Koran und Bibel. Und ebenso die Werke von Max Frisch – denn „der schreibt sehr, sehr schön.“ Taha ist der Ansicht, dass man als Schriftstellerin und Schriftsteller nicht ohne jene auskomme, „die vor uns geschrieben haben.“
Nach der kurzen Wegstrecke vom Regal zum Sofa wurde es erfrischend grundsätzlich. „Das Buch als Format ist sehr einschränkend“, sagte Taha. Da sei so vieles vorgeben – die Vorder- und die Rückseite und auch der Klappentext. Das darf man dann getrost auf den dazugehörigen Text beziehen. „Das finde ich schade, weil wir nicht herausgefordert werden.“ Sie plädiert dafür, dass die Lektüre unbequem und herausfordernd sei.
Aus diesem Beweggrund bietet sie in ihrem zweiten Roman – nach dem Debüt „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ von 2019 – zwei Sichtweisen und zwei Wirklichkeiten an. Es sind ineinander verschlungene Geschichten, einmal aus einer männlichen und einmal aus einer weiblichen Perspektive erzählt, „die man wie einen Zopf lesen kann.“ Da wie dort geht es um die Selbstbestimmung der Frau.
An der Gegenwartsliteratur missfällt der Kölner Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendiatin von 2019, dass diese vielfach im 19. Jahrhundert verhaftet scheine. Sie nennt als Referenzgröße Jane Austen. Diese Position bedauere sie, weil ein Text so viel mehr könne – beispielsweise dürfe er auch nur aus Bildern bestehen. Taha plädiert dafür, stärker zu experimentieren: „Es geht um die Brechung von Anfang, Ende und Mitte.“
Die kurdisch-deutsche Autorin, 1987 im Irak geboren, will „das Buch“ als Kunstform nicht schlechtmachen. Auch verstehe sie die Sehnsucht der Leserschaft nach Ordnung. „Aber als Künstlerin habe ich die Aufgabe“, sagt sie, „diese Ordnung abzuschaffen.“
Martin Oehlen
Karosh Taha: „Im Bauch der Königin“, DuMont, 250 Seiten, 22 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

Hallo,
sehr interessante Aussagen! Ich muss gestehen, ich habe bisher weder „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ noch „Im Bauch der Königin“ gelesen – obwohl ersteres seit Monaten hier darauf wartet, gelesen zu werden, und letzteres auf meiner dezent unverschämten Wunschliste steht. Und da war es wieder, das alte Problem: zu viele Bücher, zu wenig Zeit…
LG,
Mikka
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Vielen Dank fürs Feedback. Dass das Buch als Medium der Kunst seine Grenzen hat, fand ich tatsächlich erfrischend erläutert. Und die Sache mit den viel zu vielen verlockenden Büchern – die kann ich sehr gut nachvollziehen. Es ist eines der schönsten Luxusprobleme, die es gibt. Herzliche Grüße, Martin
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