Michel Houellebecq macht Schluss: „Ein bisschen schlechter“ ist der dritte und finale Band seiner „Interventionen“

Foto: Bücheratlas

Michel Houellebecq will nicht mehr. Mit dem Essayband „Ein bisschen schlechter“, der soeben im DuMont Buchverlag erschienen ist, sollen seine „Interventionen“ ein Ende haben. Auf dem Umschlag dieses dritten Bandes steht geschrieben: „Eine weitere Ausgabe wird es nicht geben.“ Allerdings hält sich Houellebecq ein Schlupfloch offen: „Ich verspreche nicht unbedingt, mit dem Denken aufzuhören, aber zumindest damit aufzuhören, meine Gedanken und Meinungen der Öffentlichkeit mitzuteilen, es sei denn, es besteht eine ernsthafte moralische Dringlichkeit.“ Wenn es also eng werden sollte, können wir auf ihn zählen.

Schreiben, Rauchen, Pandemie

In den neuen Essays und Interviews geht es so bunt, so provozierend, überraschend und unterhaltsam zu wie in den vorangegangenen „Interventionen“. Insofern verhält sich Houellebecq durchaus konservativ. Zur Erinnerung: Einst ging es los mit „Die Welt als Supermarkt“ (1998, auf Deutsch 1999), worin Houellebecq unter anderem ausführte, Jacques Prévert sei „ein Arschloch“; zehn Jahre später erschien „Ich habe einen Traum“ (2009/2010), worin zu lesen war: „Mein Eindruck ist, dass man sich Religionen gegenüber heute so verhält wie gegenüber bretonischen Volkstänzen: Solange es ein wenig traditionell, ein wenig altmodisch zugeht, wird das Ganze respektabel und fast sympathisch.“

Und wiederum zehn Jahre später sind wir bei der aktuellen Neuerscheinung angelangt. In „Ein bisschen schlechter“ widmet sich der französische Literaturstar diesem Spektrum: Schreiben und Rauchen, Demokratie und Partizipation, Philosophie, Pandemie und Potaufeu (bei Huysmans und Proust), Nihilismus und Katholizismus, der Niedergang Frankreichs, der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten.

Trump ist „einer der besten Präsidenten“

Die Texte kommen nicht frisch vom Schreibtisch, sondern sind durchweg schon an anderer Stelle auf Französisch erschienen. Für das deutschsprachige Publikum freilich ist das Meiste Neuland.

Der jüngste Beitrag stammt aus dem Juni 2020. Darin befasst sich Houellebecq mit dem in Frankreich viel diskutierten Fall des Koma-Patienten Vincent Lambert. In tiefer Ernsthaftigkeit plädiert Houellebecq für den Schutz des Lebens. Selbst wenn ein Komazustand als irreversibel anerkannt würde, wären wir verpflichtet, den davon betroffenen Patienten die bestmöglichen Lebensbedingungen zu verschaffen. Denn: „Niemand kennt die Gedanken, die in ihrem Gehirn Gestalt annehmen. Sie schwanken zwischen Wach- und Schlafzustand, aber niemand weiß, ob sie träumen; und schon ein Leben, das nur aus Träumen besteht, ist es in meinen Augen wert, gelebt zu werden.“

Ohne Frage ist Houellebecq auch in diesen neuen Texten frei von jeder Neigung zur diplomatischen, womöglich gar politisch korrekten Stellungnahme. So hält er Donald Trump für einen „haarsträubenden Clown“ und in persönlicher Hinsicht für „ziemlich widerwärtig“. Dennoch sei der Republikaner „einer der besten Präsidenten, die Amerika je hatte“ – wobei sich der Autor auf die wirtschaftliche Entwicklung und den Kriegsverzicht bezieht.

Beethoven ist genial, McCartney aber auch

Wer Einblicke ins Privatleben schätzt, findet diese im Gespräch mit dem Kollegen Frédéric Beigbeder. Da geht es dann auch mal um auf das auf dem Tisch vergessene Gebiss, die vier Schachteln Zigaretten pro Tag (in Schreibphasen) oder wahre Künstler-Größe: „Wenn ich mir verdeutlichen will, was ein Genie ist, denke ich eher an Beethoven als an Shakespeare. In der jüngeren Zeit sind es McCartney und mit zunehmendem Alter auch Hendrix.“

Houellebecqs Ansichten zum ersten Corona-Lockdown finden sich in einem Brief, den er an die Radiostation „France Inter“ geschickt hatte und der dort am 4. Mai 2020 verlesen wurde. Darin meint er, der Epidemie sei das Kunststück gelungen, „zugleich beängstigend und langweilig zu sein“. Die Ausgangssperre in Frankreich sei für ihn persönlich kein soziales Problem, da man als Schriftsteller ohnehin wie ein Einsiedler lebe. Doch ihm fehle die Bewegung: „ein Schriftsteller muss gehen können“. Houellebecq empfiehlt, vom Schreiben die Finger zu lassen, wenn man nicht die Möglichkeit habe, „sich mehrere Stunden lang dem Gehen in zügigem Tempo zu widmen.“ In so einem Falle könne sich die „angestaute nervöse Spannung“ nicht lösen und drohe der Autor „reizbar, ja verrückt“ zu werden.

Sein Resümee hat dem Buch den Titel verschafft: „Wir werden nach der Ausgangssperre nicht in einer neuen Welt erwachsen; es wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlechter.“

Martin Oehlen

Eine Besprechung von Michel Houellebecqs Roman „Serotonin“ findet sich auf diesem Blog – und zwar HIER .

Michel Houellebecq: „Ein bisschen schlechter“, dt. von Stephan Kleiner, DuMont Buchverlag, 208 Seiten, 23 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

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