
Yann Sola alias Werner Köhler Foto: Privat
Manuel ist nicht zu Hause. Wir drücken uns die Nasen am „El Xadic del Mar“ platt. Ein paar Tische, ein paar Stühle, auf dem Boden Weinkisten. Der Briefkasten neben der Eingangstür scheint schon lange nicht mehr geleert worden zu sein. Am nächsten Abend kommen wir wieder. Die Tür des „El Xadic“ steht weit offen, die Weinkisten sind verschwunden. Drei, vier Gäste nippen auf dem Gehweg an ihrem Aperitif. Dazwischen: Manuel, der Wirt des Lokals. Mittelgroß, graue Locken, leichter Bauchansatz. Ja, so könnte er aussehen: Yann Solas Hauptfigur Perez, Hobbyermittler und Besitzer des Lokals „Conill“ in Banyuls-sur-Mer, für den Manuel und seine „Bar à Vin Nature“ in der Avenue du Puig del Mas Pate standen. Wir frohlocken. „Haben Sie noch zwei Plätze frei?“ Manuel schüttelt mit breitem Lächeln den Kopf. „Je suis desolé“ – Ich bedauere. „Wir sind leider ausgebucht.“
„Der ist immer ausgebucht“, sagt uns später Yann Sola, der eigentlich Werner Köhler heißt und gerade seinen vierten Südfrankreich-Krimi an das Lektorat seines Verlages geschickt hat. „Und wenn er nicht ausgebucht ist, hat er geschlossen. Aber die Küche – nur kalte Sachen – ist sehr gut.“ Letzteres können wir nicht bestätigten. Im „El Xadic“ sind auch am nächsten Tag keine Plätze frei.
2016 ist der erste Band der Perez-Reihe („Tödlicher Tramontane“) erschienen. Was eine gewisse Folgerichtigkeit hat. Werner Köhler, Buchautor, Verleger und Mitbegründer des Kölner Literaturfestivals lit.Cologne, zieht es seit vielen Jahren immer wieder nach Südfrankreich. Besser: In sein Haus in Banyuls-sur-Mer. Als Schüler sei er das erste Mal in der Gegend gestrandet, während einer Tramptour Richtung Marokko. „Als meine Frau und ich dann viele Jahre später ein Haus im Süden suchten, habe ich mich wieder an die Atmosphäre dort erinnert. An das Licht. Die Luft.“ Bald fand sich ein Haus mit Terrasse zum Meer – und aus Werner Köhler wurde der Krimiautor Yann Sola. „Yann, weil ich den Namen schon immer schön fand. Und Sola, weil meine bezaubernde französische Bankberaterin so heißt.“
Die Schauplätze für Solas Bücher waren schnell gefunden. Die Côte Vermeille, jenes sonnenverwöhnte Stück Südfrankreich, das an Spanien grenzt. Sola erkundet die Gegend regelmäßig mit seinem Motorroller. Manchmal ist nicht einmal das nötig, erzählt er. Von seinem Arbeitszimmer könne er bis zum Leuchtturm von Cap Béar schauen. Die markante Landmarke, von der aus man die gesamte Küste überblickt, spielt eine entscheidende Rolle in seinem Krimi „Letzte Fahrt“.
Drei kleine Städte, eingebettet in Weinberge, konkurrieren an der „leuchtend roten Küste“ um die Gunst der Touristen: das malerische – und im Sommer dramatisch überlaufene – Collioure, das geschäftige Port-Vendres. Und eben Banyuls-sur-Mer. Eine Stadt ohne Allüren, sagt Sola. Nicht protzig, nicht anbiedernd. „Du musst zweimal hingucken, um ihre Schönheiten zu entdecken, und auch die Bewohner lassen sich gern ein wenig bitten.“ Knapp 5000 Menschen leben in Banyuls, die Straßenschilder sind zweisprachig. In dieser Ecke Frankreichs spricht man neben Französisch auch Katalanisch.
In der Altstadt ist Perez zu Hause, ein schlitzäugiger Katalane, gut genährt und nicht mehr jung. Neben seinem Restaurant „Conill“ betreibt er einen lukrativen Delikatessenschmuggel. Und: „Er hat dieses Gen, sich in Dinge einzumischen und ihnen auf den Grund zu gehen.“ In „Letzte Fahrt“ kommt er einem mörderischen Duell steinreicher Schatztaucher auf die Spur, die vor der Côte Vermeille nach einem legendären spanischen Schiff, der „Sanctus Franciscus“ suchen.
Seine Bücher seien keine harten Splatterkrimis, betont Sola. „Mein Vorbild ist eher eine Figur wie Agatha Christies Hobbydetektivin Miss Marple. Daher wollte ich auch keinen Polizisten oder Privatdetektiv als Ermittler, sondern jemanden, der mit all dem nichts am Hut hat.“ Einen „kleinen Ganoven und Steuerbetrüger“, der ihm selber „tierisch Spaß“ mache.
Schmale, sanft ansteigende Gassen prägen den alten Kern von Banyuls. Ein gut ausgeschilderter Rundweg („Dans les Pas d’ Aristide“) erinnert an den wohl berühmtesten Sohn der Stadt, den Bildhauer, Maler und Grafiker Aristide Maillol. Im etwas außerhalb gelegenen „Maison Métairie“, in dessen Garten der 1944 gestorbene Künstler begraben liegt, ist heute ein Museum untergebracht.
Am Eingang der Altstadt, an der großzügigen Place Paul Reig, liegt das „Café des Platanes“, ein schlichter Laden mit braunen Kunstlederpolstern und einem stets flimmernden Fernseher. „Café Catalan“, so heißt die Bar in Solas Büchern. Hier sitzt Perez jeden Morgen auf seinem Stammplatz und lässt sich von Tochter Marie-Hélène das Frühstück servieren. Deux Cafés crèmes, deux Croissants, s’il vous plaît – wir tun es dem beleibten Katalanen nach. Auch wenn wir – wie alle anderen Touristen auch – draußen auf dem Platz unter Palmen sitzen statt im Lokal, wo sich die Einheimischen auf einen Kaffee oder Rosé treffen.
Das Meer ist nur ein paar Meter entfernt – Banyuls liegt an einer weiten, sanft geschwungenen Bucht mit steinigem Strand. Auch bis zum neuen Aquarium an der Avenue Pierre Fabre ist es nicht weit. „Chemin Walter Benjamin“ steht auf einem Hinweisschild am Rathaus und verweist auf eine weitere Touristenattraktion der Stadt.
Im September 1940 bricht der von den Nazis verfolgte deutsche Philosoph Walter Benjamin in Banyuls zu seiner letzten Reise auf. Sein Ziel: der spanische Küstenort Portbou. Von dort aus will er weiterreisen nach Portugal. Doch die Flucht endet in einer Katastrophe. Die spanischen Behörden verweigern der Gruppe die Weiterreise und wollen sie zurückschicken nach Frankreich. Am nächsten Tag findet man Benjamin tot in seinem Hotelzimmer. Heute kann man seinen Fluchtweg über die Pyrenäen nachwandern. Startpunkt ist der Bahnhof von Banyuls. In Portbou erinnert seit 1994 eine eindrucksvolle Landschaftsskulptur des israelischen Künstlers Dani Karavan an das Schicksal des verfolgten jüdischen Philosophen.
Die Gegend habe tatsächlich mehr zu bieten als nur den „ollen Perez“, sagt Sola. Auch wenn es schwerfalle, das zuzugeben. Doch „der brave Gesell“ mache zumindest auf die Attraktionen aufmerksam. Wofür wir dem katalanischen Schlitzohr – und natürlich Yann Sola – höchst dankbar sind.
Petra Pluwatsch

So sieht es am Schreibtisch von Werner Köhler in Südfrankreich aus. Von hier aus hat er, wenn er sich nur etwas vorbeugt, einen Blick auf den Leuchtturm von Cap Béar. Foto: Privat

Ein Straßenkunstwerk in der verlassenen Festungsanlage vor dem Leuchtturm von Cap Béar
Die Südfrankreich-Krimis von Yann Sola:
„Tödlicher Tramontane“ (2016), „Gefährliche Ernte“ (2017) und zuletzt
„Letzte Fahrt“, Kiepenheuer und Witsch, 352 Seiten, 9,99 Euro. E-Book: ebenfalls 9,99 Euro.
Pingback: Tatort Südfrankreich (2): Mit Sophie Bonnet in der Provence | Bücheratlas
Pingback: Tatort Südfrankreich (3): Mit Cay Rademacher durch die Provence | Bücheratlas
Pingback: Tatort Südfrankreich (4): Mit Anne Chaplet durch die Ardèche | Bücheratlas
Pingback: Übernachten in Südfrankreich – Unsere besonderen Tipps | Bücheratlas
Pingback: Galerie (7): Cap Béar | Bücheratlas