
Die Botschaft ist eindeutig: Auf nach Venedig! Und das möglichst zügig. Denn die 59. Kunst-Biennale ist eine einzige Verlockung. Das jedenfalls stellten die Talkmasterin und Kunstsammlerin Bettina Böttinger und der Düsseldorfer Kunsthallen-Leiter Gregor Jansen im Literaturhaus Köln fest. Kristof Magnusson, der mit dem Duo den dritten Abend seiner TransLit-Poetikdozentur bestritt, nahm es wohlwollend zur Kenntnis. Der Schriftsteller hat die Reise zum Kunst-Ereignis noch vor sich.
Kulturfans und Kulturgrößen
Seit 2016 geht die TransLit-Reihe an der Universität zu Köln der Frage nach, wie Autorinnen und Autoren über die Grenzen der Literatur hinaus auf andere Künste blicken, wirken, zugreifen. Kristof Magnusson, so sagte es Germanistik-Professor Christof Hamann, sei geradezu prädestiniert dafür. Mit ihm gibt es Ausflüge zur Musik, zum Übersetzen, zum Theater – und eben auch zur bildenden Kunst. Was niemanden erstaunen kann, der vertraut ist mit seinem jüngsten Roman „Ein Mann der Kunst“ (ja, genau: erschienen im Kunstmann-Verlag).
Allerdings war von der famosen Satire, die wir auf diesem Blog HIER vorgestellt haben, an diesem Abend nicht so viel die Rede. Dass überhaupt davon gehandelt wurde, ist Bettina Böttinger zu verdanken, bei der sich ihre Profession Bahn brach, so dass sie kurzfristig aus der Rolle des Gastes in die der Fragenden wechselte. Eher knapp erläuterte der Autor sodann seine Beweggründe, diesen Roman zu schreiben. Vor allem habe ihn die Kollision zwischen bürgerlicher Kulturbegeisterung und abgehobenem Künstlertum gereizt.
Generelles Unbehagen gegen Großintellektuelle
Aber es seien halt immer mehrere Ideen, die in so einem Werk zur Verdichtung gelangten. Entschieden führte Kristof Magnusson sein Missbehagen gegen Allzeitnörgler aus, das er schon in seiner Antrittsvorlesung formuliert hatte (über die wir HIER berichtet haben) und das im Roman durch den Malerfürsten K D Pratz personifiziert wird. Er habe ein „generelles Unbehagen“ angesichts von Großintellektuellen, die sich erst gut fühlten, wenn sie alles schlecht finden könnten, sagte der Poetikdozent.
Nicht nur hätten ihm diese Menschen – es fiel der Name Günter Grass – in jungen Jahren den Spaß an der Literatur und Kunst verdorben. Auch hätten sie ihm Angst gemacht, dass die Welt „ganz, ganz schlimm“ sei. Kristof Magnusson meint, dass eine neue Sprache für die Lösung von Problemen gefunden werden müsse – eine, bei der man sich nicht nach dem Lamento zufrieden zurücklehne, sondern sich daran machen könne, eben diese Probleme zu lösen.
„Höhere Wesen befahlen“
Über die bildende Kunst in der Literatur – als Motiv, als Inspiration – wurde ansonsten kaum gesprochen. Wohl aber über die Literatur bzw. der Text in der bildenden Kunst. Immer wieder prächtig ist da der Verweis auf Sigmar Polke. Seine weiße Leinwand mit schwarzer Ecke ziert die Schreibmaschinen-Zeile am Fuße des Bildes: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“
Kristof Magnusson ist ein Mann der Literatur, der gleichwohl die Kirschen in Nachbars Garten verlockend findet. Er meint, dass die Menschen in der Sphäre der bildenden Kunst viel besser aussehen als die in anderen Künsten. Allerdings führt er als Vergleichsgröße nur die Literatur an. Er meint: „Die Buchmesse ist naturtrüber als das Gallery Weekend in Berlin.“ Selbstverständlich will er mit diesem Votum niemandem zu nahe treten: „Ich bin auch kein Fashion-Element.“
„Lest Ihr das überhaupt?“
Freundschaftlich pendelte der Abend zwischen Geplänkel und Grundsätzlichen, zwischen „lustigem Quatsch“ und documenta-Streit. Auch stellte Gregor Jansen die Frage, wie man es denn mit der Kritik halte. Weil die Antworten nicht sofort purzelten, setzte er leicht populistisch nach: „Lest Ihr das überhaupt?“ Kristof Magnusson liest Rezensionen durchaus. Er hält sie für „relativ qualifiziert“, findet sie „im Prinzip in Ordnung“ und bezeichnet sie als notwendig.
Allerdings hat er festgestellt, dass es in der Literaturkritik eine Tendenz zum „Lauwarmen“ gebe. Da werde in einigen Fällen viel beschrieben, aber wenig geurteilt. Er erklärt sich das Phänomen damit, dass immer mehr Kritikerinnen und Kritiker bei den zahlreichen literarischen Veranstaltungen moderierend auftreten. Wer mit scharfer Kritik an Autorinnen und Autoren aufwarte, verbaue sich womöglich einen lukrativen Auftrag.
„The Milk of Dreams“
So ging es hin und her. Doch das Zentralgestirn war und blieb: Venedig! Gregor Jansen empfahl die zentrale Ausstellung „The Milk of Dreams“ in den Giardini, Bettina Böttinger den polnischen Pavillon mit der Arbeit von Malgorzata Mirga-Tas, der ersten Roma-Künstlerin in der Geschichte der Biennale di Venezia. Der Besuch ist noch bis Ende November möglich. Nichts wie hin.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
finden sich einige Beiträge von und über Kristof Magnusson. Zuletzt erschien ein Beitrag über seine Antrittsvorlesung zur TransLit-Poetikdozentur an der Universität zu Köln – und zwar HIER. Außerdem gibt einen Beitrag zum Auftritt des Autors mit seinem famosen Roman „Ein Mann der Kunst“ im Kölner Literaturhaus – und zwar HIER. Den Roman selbst haben wir HIER gewürdigt.
Zu Iris Hanikas TransLit-Poetikdozentur im Jahr 2021 gibt es zwei Beiträge – zur Eröffnung HIER und zum Abschluss HIER.
Finaler Termin
der TransLit-Poetikdozentur von Kristof Magnusson am Institut für deutsche Sprache und Literatur I an der Universität zu Köln: Literatur und Theater – Werkstattgespräch mit Kay Voges (Volkstheater Wien), moderiert von Michael Eggers (29. Juni 2022, 18 Uhr; Hörsaalgebäude, Raum A2).
Iris Hanika
hatte im vergangenen Jahr die TransLit-Poetikdozentur in Köln inne. Reden, Aufsätze und ergänzende Texte finden sich nun in dem Band „Iris Hanika“, den Christof Hamann und Christian Seebald im Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner herausgegeben haben (192 Seiten, 16 Euro).