Iris Hanika will nur schreiben, nichts mitteilen: Eine „Plauderei mit Fußnoten“ zum Auftakt ihrer TransLit-Poetikdozentur in Köln

Ich habe keine Botschaft“, bekannte Iris Hanika zum Auftakt ihrer TransLit-Poetikdozentur an der Universität zu Köln. Als Schriftstellerin verspüre sie „auch kein Mitteilungsbedürfnis.“ Was sie allerdings umtreibe, sei ein Schreibbedürfnis: „Mein Leben besteht aus Schreibenwollen.“

Die Verteilung der Wörter auf dem Papier

Schon im vergangenen Jahr hätte Iris Hanika die TransLit-Poetikdozentur antreten sollen. Doch dann kam das Virus dazwischen – und damals, so sagte es Professor Christof Hamann vom ausrichtenden Institut für deutsche Sprache und Literatur, sei eine Online-Dozentur noch nicht denkbar gewesen. Das hat sich mittlerweile geändert. Und so begann Iris Hanika nun ihren akademischen Ausflug mit einer live gestreamten „Plauderei mit Fußnoten“. Dabei machte sie so kurzweilig wie anschaulich deutlich, was ihr beim Schreiben wichtig ist und was nicht.

Die Geschichte eines Buches zum Beispiel – die interessiert Iris Hanika eher gar nicht. Nicht der Inhalt ist für sie ausschlaggebend, sondern die Form. Auch als Leserin: Eine Geschichte könne sie nicht zu Tränen rühren, wohl aber ein Satz. Und ebenso gehe es ihr beim Schreiben. Zwar halte eine Geschichte das Buch zusammen. Doch wichtiger sei die Verteilung der Wörter auf dem Papier. Wie in der Musik seien Tonart, Rhythmus und Melodie entscheidend. Iris Hanika, deren Roman „Echos Kammern“ (Literaturverlag Droschl) auf der Shortlist zum Leipziger Buchpreis steht, sehnt sich nach dem „Rauschen der Wörter“.

Wonach sie strebe, sei „das wilde Buch“. Dabei denkt sie zunächst einmal an das „Durcheinander“ in einer gedruckten Zeitung, wo das Politische aus Uganda neben dem Persönlichen eines Jubilars aus der Region zu finden sei. Allerdings müsse es einem Buch gelingen, in diesem großen Durcheinander eine Struktur zu finden: „Ein Buch braucht einen Zusammenhalt.“ Nichts eigne sich dafür besser als eine Geschichte – auch wenn diese, wir sagten es schon, Iris Hanika nicht interessiert.

Die Lust am Scriptorieren

Ihre Grundverfassung sei das „Scriptorieren“, sagte die in Würzburg geborene und in Berlin lebende Autorin. Darunter versteht sie, über Bande auf mittelalterliche Schreibstuben anspielend, das Auftragen von Tinte auf Papier unter Zuhilfenahme einer Feder. Der Computer kommt bei der Verfertigung eines Textes, so sagte sie es im Nachgespräch mit TransLit-Mitorganisator Christian Seebald, erst später ins Spiel. Dann nämlich, wenn es um das Überarbeiten geht, um die Suche nach dem „mot juste“, wie Flaubert es nannte, oder nach einem deplatzierten Komma.

Doch schon im Vortrag selbst führte Iris Hanika ihr Publikum aufs Schönste durch ihre Schreibkammer. Ihr „Handwerkzeug“ seien zunächst einmal Wörter und Grammatik. Dann – und hier wählte sie Puschkin zum Kronzeugen – Genauigkeit und Kürze. Darüber hinaus helfe einem Schriftsteller nur noch Lesen und Schreiben: „Um diese zwei Dinge kommt man nicht herum – es gibt keine Abkürzung.“

Aber worüber soll man überhaupt schreiben? Bei Iris Hanika ist es so, dass sie keinen Plan hat. Wenn sich schließlich die Türe zu einem Buch öffne, wechsele sie die Form, sobald sie sich langweile, sagte sie – und sie langweile sich schnell. Eines sei unabdingbar: „Man muss genau sein, sehr genau, absolut exakt.“ Wirklichkeit müsse Wahrheit werden. Schön gesagt. Allerdings: Wie man das mache, wisse sie nicht, und was Wahrheit sei, ebenso wenig.

Die drei Elementarteilchen

Eine erfrischende Eröffnung war das, in deren Verlauf auch noch Kafka und Büchner, Musil  und Döblin, Nabokov und Stephen King zitiert wurden. Und die von Alexander Roesler, jetzt Lektor bei S. Fischer und ehedem bei Suhrkamp, leichthändig eröffnet worden war. Er machte auf drei Aspekte aufmerksam, die in keinem Iris-Hanika-Buch fehlen: die Psychoanalyse, die Musik und die Stadt – zumal Berlin, im neuen Roman auch New York City. Weil all die Fakten, die Hanika anführe, genau recherchiert seien („based on a true story“), könne man sich ausgehend von ihren Büchern aufmachen und in anderen Medien weiterrecherchieren – im Netz, auf einem Stadtplan undsoweiter.

Roeslers Hinweis auf die „Intermedialität“ zielte mitten ins Herz der TransLit-Poetikdozentur. Denn das Zusammenspiel der Medien nimmt hier die Hauptrolle ein. Ausdrücklich geht es um literarische Texte, die Eingang in andere mediale Formen gefunden haben – Film, Funk, Comic, Musik etc. Oder es geht andersherum um die Integration nicht-literarischer Elemente – wie beispielsweise Fotografien – in einen Roman. Darüber wird dann – anders als bei manchen ehrwürdigen Poetikdozenturen, wie Christof Hamann hervorhob – ein öffentliches Gespräch geführt.

Es wird sich alsbald zeigen, was solche medialen Korrespondenzen mit dem Werk von Iris Hanika zu tun haben. Sie selbst sagt: „Ich finde meine Texte nicht einmal zum Vorlesen geeignet.“ Das klingt ganz nach einem „Ein Roman ist ein Roman ist ein Roman“. Nur geeignet für Leserinnen und Leser. Was mag sie dann von der Verfilmung ihres Romans „Treffen sich zwei“ halten, um den es bei der nächsten Veranstaltung am 19. Mai gehen wird?

Martin Oehlen

Zur Sache

Die Kölner TransLit-Poetikdozentur findet in diesem Jahr zum fünften Male statt. Eingeladen waren bisher Marcel Beyer, Felicitas Hoppe, Thomas Meinecke und Kathrin Röggla.

Die Texte zu den Poetikdozenturen erscheinen im Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner. Der Band über Iris Hanika ist für Anfang 2022 geplant.

Weitere Termine

„Treffen sich zwei“, virtuelles Podiumsgespräch über die Literaturverfilmung mit Iris Hanika, Bert Rebhandl und Claudia Liebrand, am 19. 5. 2021 um 18 Uhr.Zugang unter: https://youtu.be/JzUSWXeJF50 (Eintritt frei).

„Über die Sprache hinaus – Literatur und Musik“, virtuelles Podiumsgespräch mit Iris Hanika, Florian Heesch und Matthias Vogel, am 9. 6. 2021 um 18 Uhr. Zugang unter: https://youtu.be/dTt6BCgpfUQ (Eintritt frei).

Werkstattgespräch „Echos Kammern“ mit Iris Hanika, Christof Hamann und Christian Seebald, am 23. 6. 2021 um 19.30 Uhr. Kooperation mit dem Literaturhaus Köln. Zugang unter: https://dringeblieben.de/videos/werkstattgesprach-echos-kammern-von-iris-hanika (Eintritt: 4 Euro).

Das aktuelle Buch

Iris Hanika: „Echos Kammern“, Literaturverlag Droschl, 240 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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