
Als „lebendes Artefakt“ und als „Anschauungsobjekt“ – so verstand Kristof Magnusson seine Rolle bei der Antrittsvorlesung zur TransLit-Poetikdozentur, die er jetzt an der Universität zu Köln gehalten hat. Nicht mit Thesen wolle er aufwarten, so sagte er, sondern mit Einblicken in sein Denken und Handeln als Schriftsteller und Übersetzer. Das schon mal vorneweg: „An der Literatur, am Lesen begeistert mich immer wieder, was für ein wunderbares Mittel es ist, die Welt aus anderen Perspektiven zu sehen.“ Und wenn hier von „Welt“ die Rede ist, dann meint er damit selbstverständlich auch sich selbst.
Auf dem Weg zu „Apocalypse Miau“
Die TransLit-Reihe, die Prof. Christof Hamann im Jahre 2015 an der Kölner Uni etabliert hat und seitdem leitet, ist keine Poetikdozentur wie alle anderen. Es geht hier nicht nur um die Lehre von der Dichtkunst, sondern um die Literatur im Dialog mit unterschiedlichen Medien und Künsten. Kristof Magnusson tritt in dieser Reihe jetzt die Nachfolge an von Marcel Beyer, Felicitas Hoppe, Thomas Meinecke, Katrin Röggla und Iris Hanika. Der Erwählte hat nach Angaben von Prof. Julia Weitbrecht, die zur Einführung sprach, auf dem Felde der Transmedialität jede Menge zu bieten. Das bestätigt umgehend ein Blick auf die Vita.
Der Autor, 1976 als Sohn deutsch-isländischer Eltern in Hamburg geboren, hat zuletzt den Roman „Ein Mann der Kunst“ (Kunstmann Verlag) und eine Würdigung der Pet Shop Boys (KiWi) veröffentlicht. Drei seiner bislang vier Romane sind für die Bühne adaptiert worden. Seine Komödie „Männerhort“, die an mehr als 100 Bühnen zu sehen war, hat es in die Kinos geschafft. Aktuell entsteht das vierte Theaterstück als Auftragsarbeit für das Volkstheater Wien: eine „Weltuntergangskomödie“ mit dem Titel „Apocalypse Miau“. Zudem hat Kristof Magnusson mehr als 20 Titel aus dem Isländischen ins Deutsche übertragen – vom Roman über Sachbuch, Saga und Gedicht bis hin zu einer Weinkarte („wobei Letzteres fast eine der schwierigsten Aufgaben war“). Nicht zuletzt engagiert er sich für Literatur in Einfacher Sprache.
Erzählen, um zu verstehen
Vieles von dem wird im Rahmen der vierteiligen Kölner Poetikdozentur verhandelt werden. Doch bevor es in die Verästelungen geht, kommt das Grundsätzliche zur Sprache. „Ich kann Sachverhalte besser verstehen, wenn sie in eine Erzählung eingebettet sind.“ sagt der Gastdozent. „Mir sind Dinge weniger unheimlich, wenn es zu ihnen eine Erzählung gibt. Ich selbst kann mich besser verstehen, wenn ich über mich erzähle. Ich kann andere verstehen, wenn ich ihren Erzählungen zuhöre.“
Schreiben bedeute für ihn immer auch, „dem Leben weniger ausgeliefert zu sein.“ Durch das Aufschreiben bekommen Erlebnisse und Erfahrungen, die er gleichsam aus seinem Leben ausschneide und in einen neuen Kontext einfüge, einen anderen Klang und erscheinen in einem anderen Licht. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Autobiografischem und Fiktionalem – das sei für ihn eine der großen Faszinationen des Schreibens.
„Massentaugliche Poppigkeit“
Wie aber schreiben? Vielleicht so wie die Pet Shop Boys Musik machen. Die Band, die ihn schon sein ganzes Leben begleite, also mindestens seit dem 12. Lebensjahr, komme seiner Idee vom Schreiben sehr nahe. Sie greife virulente Themen auf, ohne belehren zu wollen. Besonders gut gefalle ihm, dass bei den Pet Shop Boys „die massentaugliche Poppigkeit niemals zu Lasten des künstlerischen und intellektuellen Anspruchs“ gegangen sei.
Gerade die Gleichzeitigkeit von Oberfläche und Tiefe, von Konsumierbarkeit und durchdachter Struktur hält er für ein künstlerisches Ideal. Natürlich habe die sperrige, unverständliche und verstörende Kunst ihre Bedeutung. Aber auch eine Fuge von Johann Sebastian Bach, so stellt es der Kirchenmusiker fest, sei eingängig und gehe ins Ohr, ohne flach oder simpel zu sein. Er unterstreicht diese Beobachtung mit den Worten von Dolly Parton: „Sie würden sich wundern, wie teuer es ist, so billig auszusehen.“
Die Trennung von Ernst und Unterhaltung
Es war die Mutter, so sagt es Kristof Magnusson, die ihn mit Büchern vertraut gemacht habe. Genauer gesagt: Es war das Gesicht der Mutter, das sie beim Lesen machte. Das habe ihn beeindruckt – und hat ihm wohl veranschaulicht, so schließen wir aus der Andeutung, welche Spannung und Intensität die Literatur aufbauen kann.
Eine große Rolle für sein Schreiben haben die Bücher von Einar Kárason gespielt, zumal „Die Teufelsinsel“ und „Die Goldinsel“. Ihn habe bei der Lektüre die Verbindung von Anspruch mit Spannung und Humor beeindruckt. Die Trennung von Ernst und Unterhaltung sei ja hierzulande immer noch gängig: „Die Vorstellung, dass Spaß, dass Vergnügen immer mit einer Form von höherem Sinn verbunden sein muss, nehme ich als etwas sehr Deutsches wahr.“ Wie gesagt: Nicht so bei Einar Karason. Und auch nicht bei Kristof Magnusson.
Alles mündet in der Literatur
Dass er dann eines Tages eingeladen wurde, die Werke des Isländers zu übersetzen, wertet er als schöne Fügung. Diese Tätigkeit beeinflusse selbstverständlich auch seine Arbeit am Text. Ebenso tun dies die Lesereisen. „Jedes Sprechen über Literatur, jede Erfahrung von Publikumsreaktion beeinflusst mein Schreiben.“ sagt er. Und so werde auch diese TransLit-Poetikdozentur ihre Wirkung auf sein Werk haben. Mal sehen, ob man sie eines Tages ausfindig machen kann.
Der Autor deckte in seiner kurzweiligen Vorlesung vieles auf, was ihn umtreibt. Dazu gehörte auch das Bekenntnis, alles andere als ein Kulturpessimist zu sein. Er gehöre nicht zu denen, die unaufhörlich „die Schlechtigkeit der Welt“ anprangerten und in ihren „Protestposen“ erstarrten.
„Moralische Haltungsfehler“
Seine Erfahrung bislang: Man dürfe Nörgelei nicht mit kritischem Bewusstsein verwechseln. In den öffentlichen Debatten gehe es zu oft um „moralische Haltungsfehler“ und nicht oft genug um die Behebung der Probleme. Sein Antrieb sei nicht Rechthaberei, sondern das Teilen von Begeisterung. Das klingt nun gerade in unseren angespannten Zeiten sehr hilfreich und attraktiv. Und so gab es am Ende des TransLit-Auftakts von Kristof Magnusson nichts als herzlichen Applaus im Hörsaal A2.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
finden sich einige Beiträge von und über Kristof Magnusson. Zuletzt erschien ein Beitrag über den Auftritt des Autors mit seinem famosen Roman „Ein Mann der Kunst“ im Kölner Literaturhaus – und zwar HIER. Den Roman selbst haben wir HIER gewürdigt.
Zu Iris Hanikas TransLit-Poetikdozentur im Jahr 2021 gibt es zwei Beiträge – zur Eröffnung HIER und zum Abschluss HIER.
Weitere Termine
der TransLit-Poetikdozentur von Kristof Magnusson am Institut für deutsche Sprache und Literatur I an der Universität zu Köln:
Literatur und Übersetzung – Podiumsgespräch mit Rosemarie Tietze und Maria Hummitzsch, moderiert von Christof Hamann (18. Mai 2022, 18 Uhr; Hörsaalgebäude, Raum A2).
Literatur und Kunst – Podiumsgespräch mit Bettina Böttinger, moderiert von Gregor Jansen (1. Juni 2022, 18 Uhr; Literaturhaus, Großer Griechenmarkt 39)
Literatur und Theater – Werkstattgespräch mit Kay Voges (Volkstheater Wien), moderiert von Michael Eggers (29. Juni 2022, 18 Uhr; Hörsaalgebäude, Raum A2)
Iris Hanika hatte im vergangenen Jahr die TransLit-Poetikdozentur in Köln inne. Reden, Aufsätze und ergänzende Texte finden sich nun in dem Band „Iris Hanika“, den Christof Hamann und Christian Seebald im Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner herausgegeben haben (192 Seiten, 16 Euro).

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auch ich freu mich, auf diese weise dich dabei gewesen zu sein. 😉
danke für den bericht!
herzliche grüße:
pega
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… d*o*ch …
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Vielen Dank für die freundliche Nachricht! 🙏Und: sehr gerne geschehen.
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