Jüdische Geschichte in Deutschland von Konstantin dem Großen bis heute: Das MiQua in Köln startet seine Publikationsreihe mit Schlaglichtern auf aktuelle Forschungsgebiete

Es kann noch etwas dauern, bis das Jüdische Museum im Archäologischen Quartier in Köln eröffnet wird. Blick von der Portalsgasse auf den Rohbau. Im Hintergrund die Rathauslaube. Foto: Bücheratlas

Ein Anfang ist gemacht. Mit dem Band 1 eröffnet das MiQua in Köln seine wissenschaftliche Publikationsreihe. Hinter dem Buchstaben-Konstrukt MiQua verbirgt sich das „Jüdische Museum im Archäologischen Quartier“ in Köln. Noch ist das neue Museum im Herzen der Stadt, unmittelbar vor dem Rathaus platziert, ein aufstrebendes Bauprojekt. Aber immerhin gibt es nun etwas Konkretes, das man sogar anfassen darf.

Der Band dokumentiert Beiträge der Fachtagung „Jüdische Geschichte und Gegenwart“ in Deutschland. Sie wurde im April 2021 im Rahmen des Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ vom Landschaftsverband Rheinland (LVR), dem Träger des MiQua, und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführt.

„Antisemitische Strömungen nie wirklich verschwunden“

„Jüdinnen und Juden sind selbstverständlicher Teil der deutschen und europäischen Gesellschaft“, schreibt LVR-Kulturdezernentin Milena Karabaic im Grußwort. „Wir müssen aber auch realisieren, dass gleichzeitig hartnäckige Denkmuster, antisemitische Strömungen und Hass nie wirklich verschwunden waren, sondern nach wie vor vorhanden sind und vermehrt offen in Erscheinung treten.“ Von daher sei es erforderlich, die Pluralität jüdischen Lebens in Vergangenheit und Gegenwart „zu beschreiben, zu begreifen und vor allem zu vermitteln.“

Laufende Forschungsprojekte, so erläutert es MiQua-Direktor Thomas Otten in seiner Einführung, wurden auf der Tagung und werden nun in dem Premieren-Band vorgestellt. Daraus kann sich, wie Otten betont, keine allumfassende Bestandsaufnahme ergeben. Vielmehr handelt es sich um „schlaglichtartige Einsichten“.  So ist das Spektrum der Beiträge tatsächlich in jeder Hinsicht bunt – was die Themen (vom Detail zum Großenganzen), die Stile (von meist flüssig bis zuweilen staksig) und die Analyse-Tiefe angeht.

„Was Menschenkraft gemacht“

Das jüdische Viertel („inter judeos sitam“) in Köln, angesiedelt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Dom, steht am Anfang des Reigens. Doch geht es selbstverständlich nicht nur um die „Kahal Kolonia“, die Kölner Gemeinde. Der Blick zielt aufs ganze Land. Daher finden sich ebenso Beiträge über den jüdischen Kulturbund in München und spätantike Bodenfunde in Augsburg, zur jüdischen Architektur, zum Antifaschismus im DDR-Film und nicht zuletzt zur jüdischen Standortbestimmung in der Bundesrepublik.

Neben der Mittelstrecke gibt es bei den Texten auch die Kurztrecke. Da widmen sich die Autorinnen und Autoren zum einen in knappen Porträts Opfern des nationalsozialistischen Terrors. Die Schauspielerin Dora Gerson, die in Auschwitz ermordet worden ist, wird mit der Liedzeile zitiert: „Die Welt ist klein geworden, der Widerschein geworden, von dem, was Menschenkraft aus ihr gemacht.“ Und der Komponist Friedrich Hollaender, der in die USA emigrieren musste, stellte fest: „Man muss kein Gangster sein, um von der Polizei gejagt zu werden. Es genügt, einer Gruppe anzugehören, deren Nase der Polizei nicht passt, dann wird die Polizei zum Gangster.“

Karneval im „Kleinen Kölner Klub“

Zum anderen werden in dem Band auch einige Sachthemen nur punktuell erhellt. Schlaglichter eben. Dazu zählt der berühmte Amsterdam Machsor, ein Gebetbuch für die jüdischen Feiertage aus dem 13. Jahrhundert, den das MiQua und das Joods Historisch Museum in Amsterdam im Jahre 2017 gemeinsam erworben haben. Ebenso wird der Sessionsorden des „Kleinen Kölner Klub“ präsentiert, den der jüdische Karnevalsverein im Jahre 1929 dem Büttenredner Karl Küpper verliehen hatte.

Und dann ist da noch das vielbeschworene Dokument aus dem Jahre 321, demzufolge Kaiser Konstantin den Kölner Ratsherren (decurionibus aggripinensibus) gestattet, Juden in den Rat zu berufen. Ob dies tatsächlich der älteste Beleg für eine jüdische Gemeinde nördlich der Alpen ist, kann nicht als gesichert gelten. Jedenfalls weist Sebastian Ristow auf allerlei Aspekte hin, die eine eindeutige Bewertung erschweren.

Der Auftakt der MiQua-Reihe gleicht einem Füllhorn. Tatsächlich könnte jedes eingebrachte Thema einen eigenen Band füllen. Damit stünden dann schon die Titel für die Bände 2 bis 23 fest. Aber vermutlich hat das MiQua seinen ganz anderen Editionsplan schon weit vorangetrieben. Wir sind gespannt.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

finden sich weitere Beiträge zur jüdischen Geschichte und zum Holocaust. Darunter sind:

Peter Longerichs Untersuchung zum Antisemitismus in Deutschland von der Aufklärung bis heute (HIER);

der Speyrer Judenhof als Weltkulturerbe (HIER);

die jüdischen Stätten in Worms (HIER);

der Gedenkort am ehemaligen Deportationslager in Köln-Müngersdorf (HIER);

ein Besuch bei Lien de Jong, die als Kind in Holland den Holocaust überlebte (HIER).

„Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland – Aktuelle Fragen und Positionen“, Band 1 der Publikationsreihe MiQua, hrsg. von Laura Cohen, Thomas Otten und Christian Twiehaus, Nünnerich-Asmus Verlag, 176 Seiten, 25 Euro.

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