
Gunther Geltinger vor Afrika-Karte und Buch-Exemplar. Screenshot: Bücheratlas
Wenn es immer besser wird, ist es eines Tages richtig gut. Die dritte Ausgabe des neuen Formats „Literaturhaus Köln virtuell“ setzte den stetigen Aufwärtstrend entschieden fort – technisch wie konzeptionell. So war es nur folgerichtig, dass Gunther Geltinger, der diesmal mit seinem Reise-, Liebes- und Afrika-Roman „Benzin“ im digitalen Raum zu Gast war, am Ende und gleichsam aus dem Off der Übertragung feststellte: „Wenn man das als Nebenreihe aufrechterhalten könnte, würde es das Programm bereichern.“ Will sagen: Auch wenn die Lesungen alter Ordnung hoffentlich bald wieder möglich sein werden, könnte die Beibehaltung des virtuellen Schaufensters attraktiv sein. Was nichts als wahr ist – zumal für die Zuschauer, die jenseits des ÖPNV teilhaben wollen am literarischen Angebot aus dem Westen der Republik. Zürich, Berlin, Karlsruhe waren einige Ortsmarken, die jetzt im Chat-Raum aufblinkten.
Die Schaltungen funktionierten, der Ton sah vom Schnarren ab und das Bild fror nicht ein. Neu auch, dass Fragen der Zuschauer moderierend eingebracht wurden. Und neu überdies, dass sich das Publikum im Live-Bild einbringen konnte. Den Anfang machte Husch Josten, die selbst am kommenden Dienstag (5. Mai) ihren Auftritt in diesem neuen Format von Literaturhaus und Volkshochschule haben wird. Sie fragte ihren Kollegen Geltinger, ob er den meine, auf seinen Reisen das „wahre“ Afrika kennengelernt zu haben. Geltinger antwortete, dass ihm das am ehesten in der Natur gelungen sein. Aber es habe auch einige „wahrhaftige“ Momente in den Begegnungen im Süden Afrikas gegeben, wo der Roman spielt: Immer dann, wenn es im Gespräch keine Rolle mehr gespielt habe, welche Hautfarbe die Teilnehmer haben. Oft sei dies aber nicht der Fall gewesen.
Die Unmöglichkeit eines Touristen, das „wahre“ Afrika kennenzulernen, war sogar der Auslöser für diesen Roman gewesen. Die koloniale Vergangenheit sei immer noch virulent, so der Autor, auch in der Sprache. Was selbstverständlich kein Hinderungsgrund ist, sich auch als Europäer für Länder wie Südafrika oder Zimbabwe zu begeistern. Geltinger meint sogar, dass Südafrika mit seinen vielen Ethnien ein Vorbild für Europa sein könnte.
„Benzin“ ist ein Roman mit autobiographischen Akzenten. Nach Ansicht von Gunther Geltinger ist das autofiktionale Erzählen das Genre unserer Zeit. Ob es daran liege, dass die Autoren heute mehr zu sagen haben als früher, wie Husch Josten auch noch fragte, oder daran, dass sie sich wichtiger nehmen? Geltinger sieht beide Optionen als möglich an. Auch verweist er darauf, dass gerade in der digitalen Welt zuweilen die Person wichtiger sei als der Inhalt, den sie vertrete. Möglicherweise färbe das auf die Literatur ab. Wie auch immer: Die Autofiktion habe es in den Rang eines literarischen Genres geschafft.
Dichte, lohnende 90 Minuten waren das. Da fehlte auch nicht die pandemische Gegenwart. Der Schriftsteller lebt in dieser alles andere als entspannt. Auch weil er an einem neuen Stoff sitzt und nicht weiß, ob er dem treu bleiben kann, ohne auf die Corona-Erfahrung einzugehen. Schließlich versteht er sich ja als Autor, der an der Gegenwart entlangschreibt. Gunther Geltinger empfindet gerade in diesen Lockdown-Tagen eine große Unruhe. Von der vielbeschworenen Entschleunigung keine Spur.
Martin Oehlen

Husch Josten (unten im Bild) meldete sich mit einer Frage zu Wort. Darüber der Autor Gunther Geltinger und ganz oben Irene Ofteringer von der VHS (links) und Bettina Fischer vom Literaturhaus. Screenshot: Bücheratlas
Den Roman „Benzin“ haben wir auf diesem Blog vorgestellt – und zwar HIER.
Ulrike Anna Bleier eröffnete die Reihe „Literaturhaus Köln aktuell“ – mehr dazu HIER.
Bastian Schneider war der zweite Gast der Reihe – HIER.
Von Husch Josten war auf diesem Blog zuletzt HIER die Rede