
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein – die Bilderzyklen, die jetzt im Bilderbuchmuseum Burg Wissem in Troisdorf zu sehen sind. Zwar handelt es sich in beiden Fällen um künstlerisch gestaltete Plakate aus der Ukraine. Doch sie unterscheiden sich wie Tag und Nacht. Oder wie Himmel und Hölle.
Erst „Yellow & Blue“, dann das „Kriegstagebuch“
Bei dem Zyklus „Yellow & Blue“ handelt es sich um Motive, die wenige Jahre vor Russlands Überfall entstanden sind. Da werden Raveparties gefeiert, schießen die Hochhäuser ins Kraut und verlieren sich Vater und Sohn bei einer sommerlichen Fahrradfahrt im Kornfeld. Werbewirksam leuchten hier die Landesfarben Himmelblau und Weizengelb.
Hingegen wartet der Zyklus „Kriegstagebuch“ mit Bildern auf, die mitten aus der Zerstörung kommen, der das Land seit dem 24. Februar 2022 ausgesetzt ist. Die Motive zeigen den Schrecken als groß und größer werdenden Schatten. Indem sie die Gegenwart ins Bild rücken, sind sie auch Klage und Anklage. Politische Kunst in Reinform.
Plakate aus zwei Welten
„Ukraine: gestern und heute“ ist eine kleine Schau, die allerdings eine hohe Intensität entwickelt. Jedes Motiv – das liegt in der Natur einer plakativen Illustration – ist klar und entschieden in der Ansprache. Doch im Miteinander von Frieden und Krieg entfalten beide Zyklen eine besondere Kraft. Es sind Szenen aus zwei Welten.
Die ukrainischen Künstlerinnen und Künstler, deren Werke ausgestellt werden, gehören zum 2014 gegründeten „Pictoric Illustrators Club“. Der setzte sich zu Beginn aus rund 30 Personen zusammen und hat mittlerweile etwa 160 in seinen Reihen. Anna Sarvira aus Kiew gehört zu den drei Gründern des „Pictoric Illustrators Club“. Sie hielt sich gerade in Deutschland auf, als der Krieg ausbrach – und seitdem lebt sie in Köln.
„Wir sind keine Soldaten“
Auf Vermittlung der Kinderbuchautorin und Literaturkritikerin Ute Wegmann hat sie nun diese Ausstellung auf Burg Wissem arrangiert. Die beiden Frauen hatten sich bei einer Solidaritätsveranstaltung für die Ukraine kennengelernt, die das Literaturhaus Köln und die Literaturszene Köln realisiert hatten – ein Bericht dazu findet sich auf diesem Blog HIER. Dass die Troisdorfer Schau, die bis zum 8. Mai zu sehen sein wird, in kürzester Zeit auf die Beine gestellt werden konnte, ist ein Kraftakt, auf den Museumsdirektorin Pauline Liesen mit berechtigtem Stolz hinweist.

Ähnliche Ausstellungen werden vom Illustratoren-Club auch in anderen Ländern organisiert. Zum einen soll die Aufmerksamkeit für die Ukraine geweckt und um Spenden geworben werden. Zum anderen geht es aber auch um die Kunst in Zeiten des Krieges. „Wir sind keine Soldaten“, sagt Anna Sarvira bei der Pressekonferenz. „Aber wir können mit unseren Plakaten unseren Beitrag leisten“ – auch wenn es schwerfalle, sich an den Zeichentisch zu setzen, während in der Heimat die Raketen einschlagen oder die Nachrichten aus Butscha für Entsetzen sorgen.
Gedanken vor dem Überfall
Die Bilder aus dem „Kriegstagebuch“ spiegeln die Entwicklung des Putin-Krieges in den letzten Wochen wieder. Ute Wegmann macht darauf aufmerksam, dass die Verzweiflung immer stärker in den Vordergrund trete. Auch falle auf, dass mehr und mehr notleidende Kinder auf den Plakaten zu sehen seien.
Anna Sarvira selbst war vor dem russischen Einmarsch, als die Spannungen schon deutlich spürbar waren, vom Museum of Modern Art (MoMA) in New York gebeten worden, Bilder zur eigenen Gefühlslage zu liefern. Damals fürchteten viele Ukrainerinnen und Ukrainer, so sagt es Anna Sarvira, dass es zum Äußersten kommen könnte. „Doch niemand wollte darüber reden, weil man dachte, dass es dann auch geschehen würde.“
Traum vom Weizenfeld
So habe sie sich Gedanken gemacht, was alles in ihren Notfallrucksack gehöre. Medizin, Fischkonserven, eine Axt (wofür auch immer)? Sie habe viele Möglichkeiten durchdacht, aber am Ende doch keinen Plan gehabt, was sie bei einem Einmarsch tun würde. Sollte sie rennen, könnte sie kämpfen, würde sie den Schutzraum rechtzeitig erreichen? All diese Gedankengänge habe sie dann in ihren (online weiterhin abrufbaren) Comicszenen fürs MoMA untergebracht – und plötzlich kamen Menschen auf sie zu und sagten, dass sie genau dasselbe empfänden.
Anna Sarviras Traum ist der von vielen Menschen. Er ist ganz einfach: Die Ukraine soll so schnell wie möglich das „Kriegstagebuch“ beiseitelegen und zum „Yellow & Blue“ zurückkehren. In ein Land mit blauem Himmel und gelben Weizenfeldern.
Martin Oehlen
Die Ausstellung „Ukraine: gestern und heute“ im Bilderbuchmuseum Burg Wissem in Troisdorf, zwischen Köln und Bonn gelegen, wird am 8. April 2022 um 19 Uhr eröffnet und dauert bis zum 8. Mai 2022.
Am Internationalen Museumstag, also am 15. Mai, sollen die ausgestellten Plakate zum Verkauf angeboten werden, um auf diese Weise Geld für die Ukraine zu sammeln.