
Ein dickes Kompliment markiert den Anfang. Monica Ali, die einst mit ihrem Debütroman „Brick Lane“ (2003) für Furore gesorgt hat und nun mit ihrem gefeierten neuen Roman „Liebesheirat“ auf Lesetournee in Deutschland ist, stellte gleich zu Beginn ihres Kölner Auftritts fest: „Das ist das netteste Publikum, das ich je hatte.“ Wie das denn?
Üppig sprudelnde Quelle
Das Publikum habe schon applaudiert, sagte die Schriftstellerin, bevor die Protagonisten auf der Bühne des Kölnischen Kunstvereins überhaupt etwas geleistet hätten. Tatsächlich gab es diesen Beifall für alle, die Bettina Fischer vom ausrichtenden Literaturhaus Köln vorstellte: Gleich zweimal für die aus England angereiste Monica Ali, dann für Moderator Julian Hanebeck, für Schauspielerin Azizè Flittner, die die deutschen Texte las, und überdies für Dorothee Merkel, die „Liebesheirat“ aus dem Englischen ins Deutsche übertragen hat und in der ersten Reihe saß. Ihnen allen waren die „positiven Vibes“ der Besucher gewiss.
Anders als bei den vorangegangenen Romanen, so erzählte es die bestens aufgelegte Monica Ali, habe sie sich bei „Liebesheirat“ erst einmal der Inspiration überlassen. Fixiert wurde, was ins Manuskript drängte. Offenbar war sie da auf eine üppig sprudelnde Quelle gestoßen. Jedenfalls hatte sie plötzlich 240.000 Wörter niedergeschrieben. Das ist nicht wenig. Dann aber setzte der Prozess der Kontrolle, der Ordnung und der Reduktion ein. Das Ergebnis ihres Schreibrausches habe sie schließlich um die Hälfte gekürzt.

Die Rolle der Frau in Großbritannien
Was dabei herausgekommen ist, ist die Geschichte von Yasmin und Joe, von zwei sehr unterschiedlichen Familien, von Schein und Geheimnis. Ein nicht selten komischer Roman ist das, den wir auf diesem Blog bereits gepriesen haben – und zwar HIER.
Dass „Liebesheirat“ von Moderator Hanebeck mit Jane Austen (1775-1817) in Verbindung gebracht wurde, gefiel Monica Ali sichtlich. Die Autorin von „Emma“ und „Stolz und Vorurteil“ hat nach ihrer Auffassung die Romane um Liebe und Heirat genutzt, um über Frauen, Klasse, Macht und Geld in der britischen Gesellschaft aufzuklären. In dieser Tradition sieht sich Monica Ali bestens aufgehoben.
Keine Fantasie-Verbote
Eine kleine Varianz räumte sie allerdings ein: Über Sex habe Jane Austen nicht geschrieben. Anders als Monica Ali. Für sie ist Sex ein Schlüssel, um zu den Stärken und Schwächen der Charaktere vorzudringenden. Eine Warnung war ihr in diesem Zusammenhang wichtig: Man möge ihren Roman bloß nicht wegen der Sexszenen kaufen. Davon gebe es nämlich nur zwei. „Liebesheirat“ sei nun wirklich nicht „Fifty Shades of Grey“.
Dass der Roman von unterschiedlichen Kulturen handelt, veranlasste Moderator Hanebeck zu der Frage, wie es Monica Ali mit der Debatte um kulturelle Übergriffigkeit halte. Die Autorin versicherte, sich der Thematik durchaus bewusst zu sein. Allerdings machte sie überzeugend deutlich, dass sie nichts von Fantasie-Verboten halte. Man dürfe nicht arrogant sein und so tun, als ob man alles wüsste. Gleichwohl sei es die Aufgabe von Autorinnen und Autoren, sich in andere Positionen hineinzuversetzen. Nur so könne Literatur leisten, was sie auszeichnet: Schreiben und Lesen fördere die Empathie.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
findet sich die Besprechung von Monica Alis Roman „Liebesheirat“ – und zwar HIER.
Weitere Lesungen von Monica Ali
in München am 7. April um 20 Uhr im Literaturhaus München, Moderation: Tobias Döring;
in Hannover am 8. April um 20 Uhr als Veranstaltung des Literarischen Salons Hannover im Conti Campus;
in Hamburg am 9. April 2022 um 19.30 Uhr als Veranstaltung des Literaturhaus Hamburg im UKE (Erika-Haus), Moderation: Margarete von Schwarzkopf.
Monica Ali: „Liebesheirat“, dt. von Dorothee Merkel, Klett-Cotta, 592 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

Für mich die schrägste Jane Austen-Adaption:
LikeLike