
Monika Helfer hat in ihrer Wohnung in Vorarlberg eine Bühne für Formen, Farben und Figuren errichtet, die wie ein wunderbar lockender Märchenwald anmutet. Foto: Bücheratlas
Maria Moosbrugger ist die schönste Frau weit und breit. Sie weiß, „dass sie den Männern gefällt, nicht einen kennt sie, bei dem sie nicht sicher ist.“ Doch sie hat ja den Josef, der auch nicht schlecht aussieht, allerdings arm ist, weil der Hof in den Alpen viel zu wenig abwirft, so dass er mit ein paar geheimnisvollen „Geschäftchen“ zugange ist. Als Josef aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrt, ist die kinderreiche Familie wieder einmal um einen Kopf größer geworden. Doch Josef freut sich nicht: „Dieses Mädchen verabscheute er, die Margarete, die meine Mutter werden wird, weil er dachte, dass sie nicht sein Kind sei.“
So erzählt es Monika Helfer, geboren im Bregenzerwald, zu Beginn ihres Romans „Die Bagage“. Dass hier eine autobiographische Geschichte zu lesen ist, steht schnell fest. Allerdings gibt es Fragen, die nicht mehr beantwortet werden können, auch nicht von Tante Kathe, der besten Quelle. „Die Erinnerung muss als heilloses Durcheinander gesehen werden.“ heißt es einmal. „Erst wenn man ein Drama daraus macht, herrscht Ordnung.“ Allerdings ist diese Ordnung nicht gleichzusetzen mit Gewissheit. So merkt Monika Helfer in ihrer Marien-Erzählung allzeit an, wenn sie nicht sicher ist, was Tatsache und was nur Möglichkeit ist. Tante Kathe ist immerhin „hundertprozentig“ sicher, dass Josef der Vater von Grete ist.
Es ist ein anrührender Familienroman um die Würde der Maria Moosbrugger. Die Großmutter erstrahlt desto heller in ihrer physischen und psychischen Not, je derber die Niedertracht der Menschen unten im Dorf ist. Dort pestet zumal der Pfarrer, weil er Maria verdächtigt, sich auf einen Fremden eingelassen zu haben, während der Josef im Krieg ist. Und sexuell bedrängt wird sie in dieser Zeit ausgerechnet vom Bürgermeister, dem Josef den Auftrag gegeben hatte, auf sie aufzupassen.
Aber ganz allein ist Maria nicht. Sie hat ihre „Bagage“. Abschätzig wird die Familie von den Dörflern so genannt. Es ist eine Bagage, die zusammenhält. Zumal der älteste Sohn Lorenz zeigt, dass er im Ernstfall zu allem fähig ist – wenn es also darum geht, die Mutter zu beschützen und die Familie vorm Hungern zu bewahren.
Monika Helfer erkundet auch, wieviel von Maria Moosbrugger in ihr selbst und in ihrer Familie steckt, in jener eigenen Bagage also, der sie den Roman widmet. Tante Kathe sagte der Erzählerin, als diese noch ein Mädchen war, die Großmutter sei wie sie gewesen. Das war eine Warnung: „Pass auf, dass du nicht so wirst wie sie.“ Gemeint war damit Marias Schönheit. Die galt als nicht gut „wegen der Folgen.“ Auch hat die Erzählerin einmal – wie schon ehedem die Großmutter – einem Liebhaber in die Hand gebissen. Eine liebende Besitzergreifung der schmerzhaften Art.
Und die Bagage der Erzählerin? „So bin ich aber nicht, und so will ich auch nicht sein.“ sagt Sohn Lorenz über den Onkel Lorenz, dem zu Ehren er seinen Vornamen bekommen hat. Und über Tochter Paula steht geschrieben, sie sei „gleich lebhaft“ wie ihre Urgroßmutter gewesen. Michael Köhlmeier, der mit Monika Helfer verheiratet ist, hat über Paula, die 2003 bei einer Wanderung ums Leben gekommen ist, die Novelle „Idylle mit ertrinkendem Hund“ geschrieben. Und so ist auch „Die Bagage“ ein Buch der Erinnerung an jene, die nicht mehr sind.
Monika Helfer erzählt ein großes Drama in einem kleinen Winkel des Weltgeschehens. Mit einer Wärme, die sofort für die Familie einnimmt, und mit einer Ruhe, in der viele Aspekte beleuchtet werden können. Was man in diesem Frühjahr lesen sollte? „Die Bagage“ gehört gewiss auf diese Liste.
Martin Oehlen
Monika Helfer: „Die Bagage“, Hanser, 160 Seiten, 19 Euro. E-Book: 14,99 Euro.
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