Ausflug ins Kaiserjahr (7): Hildegard von Bingen als Kaiserflüsterin und Kräuterkundlerin

Das „Kaiserjahr“ in Rheinland-Pfalz widmet sich an vielen historischen Orten dem Mittelalter. Im Zentrum steht die Mainzer Ausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere mittelalterliche Stätten. Unsere Ausflugstour endet mit dieser Folge.

Bingen

Vielfältig sind die Ansichten der Hildegard von Bingen, die das Museum am Strom ausstellt. Foto: Bücheratlas

Hildegard von Bingen (1098 – 1179) ist eine der populärsten Frauen des Mittelalters. Die Heilige hat noch heute ihre Anhänger unter Gläubigen, Literaturfreunden, Musikliebhabern, Naturbewussten, Heilkundlern, Historikern und vielen anderen mehr. Sie alle machen und machten sich ein Bild von der Benediktinerin, die mit ihren Visionen für Verblüffung sorgte und die selbstbewusst mit den Mächtigsten ihrer Zeit in Verbindung stand. Doch wer war sie genau? Die letzte Station unserer Tour durchs Kaiserjahr 2020 führt uns nach Bingen am Rhein.

Das „Historische Museum am Strom“, an der Rheinpromenade im ehemaligen „Electricitäts-Werk“ von 1898 untergebracht, ist bemüht, die historisch nachweisbare Hildegard zu präsentieren. Die  Äbtissin, Kirchenlehrerin, Mystikerin, Autorin, Komponistin, Forscherin und anderes mehr sei „ein starkes Label“, sagt Museumsdirektor Matthias Schmandt. Doch es gebe viel „Schneegestöber und Phantasie“ in der Beschäftigung mit ihrem Leben und Wirken. Sein Museum wolle „Hildegard von Bingen ins 12. Jahrhundert zurückholen.“ Die Quellenlage sei so dicht – mit dem Hauptwerk „Scivias“ („Wisse die Wege“), mit Briefen, Kompositionen und Illustrationen -, dass dies für die Forschung geradezu wie „ein Sechser im Lotto“ sei.

Das Museum feiert Hildegard aktuell in einer Sonderausstellung als „Kaiserflüsterin“. Immerhin gilt sie Beraterin von Friedrich Barbarossa, hat ihn womöglich in der Kaiserpfalz von Ingelheim getroffen – unseren Besuch dort gibt es HIER . Auch mit Barbarossas Ehefrau, der Kaiserin Beatrix, stand sie in Kontakt. Das Museum erwägt, ob es dabei möglicherweise um die Geburt eines Thronfolgers ging.

Sicher ist, dass Papst Eugen III. ihre Visionen gleichsam autorisiert hat. Sie selbst schreibt in ihrer „Vita Hildegardis“: Er „trug mir auf, das, was ich in der Schau sah und hörte, möglichst genau der Schrift“ anzuvertrauen. Mit einer ihrer Prophezeiungen wird auch der Kölner Dombau in Verbindung gebracht. Aber das ist wohl nur ein romantische Legende von Ludwig Bauer aus dem 19. Jahrhundert gewesen.

Unmittelbar neben dem Museum geht es in den – Achtung, Wortspiel – „Hildegarten“. Einige der 293 Pflanzen, die Hildegard in ihrer „Physica“ auf ihre jeweilige Heilwirkung hin beschrieben hat, sind dort zu sehen. Zur anderen Seite geht der Blick über die in den Rhein mündende Nahe hinaus Richtung Rupertsberg. Dort hatte Hildegard um 1150 ihr Kloster gegründet. Doch Spuren des Gebäudes finden sich kaum mehr.

Wer womöglich nach dem musealen Erstkontakt mit Hildegard einmal eines ihrer Werke aufschlägt, wird sich wundern. Die gelehrte Frau hat kaum ein Thema ausgelassen. Da geht es viel um ihre religiösen Visionen von Gott und Mensch und Kosmos. Dann aber auch um den ganzen Rest – um Mondaufgang und Haarausfall, „Fleischeslust“ und „Beleibtheit“, Kreuzzug und Edelstein. Selbst die Eigenschaften des Rheinwassers beim Kochen werden angeführt. Selbstverständlich ist das alles auf der Höhe des mittelalterlichen Wissens und Glaubens, also in den Ausführungen teilweise sehr bizarr. Aber allemal ist das breite Spektrum ihrer Interessen verblüffend. Geradezu vorbildlich. Eine starke Erscheinung.     

Martin Oehlen

Die bisherigen Beiträge zum „Kaiserjahr“

1 Mainz mit der Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“. Wer mag, kann den Beitrag HIER nachlesen.

2 Speyer mit Kaiser-Krypta, Judenhof und „Medicus“-Ausstellung – HIER .

3 Burg Trifels, die einst Reichsburg war und von den Nazis in „schöpferischer Denkmalpflege“ gestaltet wurde – HIER .

4 Klosterruine Limburg, wo der fünfte Advent abgeschafft wurde – HIER .  

5 Worms mit berühmter Wandnische, jüdischen Zeugnissen und dem Nibelungenmuseum – HIER .

6 Ingelheim lag mit seiner Kaiserpfalz an der Autobahn des Mittelalters – HIER .

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