Das „Kaiserjahr“ in Rheinland-Pfalz erinnert an vielen historischen Orten an das Mittelalter. Im Zentrum steht die Mainzer Ausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Stätten, an denen in diesem kaiserlichen Zusammenhang auf Spuren der Vergangenheit hingewiesen werden. Davon später mehr. Erst einmal geht es in die Herzkammer.

Die Kaiser mussten ein wenig warten. Mit der großen Mainzer Ausstellung über die Herrschaftszeiten von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa, die jetzt im Landesmuseum zu sehen ist, sollte ursprünglich das „Kaiserjahr“ in Rheinland-Pfalz sein funkensprühendes Finale erleben. Doch dann kam das Virus in die Quere. Nun beginnt mit der außerordentlich reich bestückten Schau auch ein Reigen von 26 kleineren Ausstellungen an 15 Orten, die alle wegen der Pandemie verschoben worden sind – mit sehr unterschiedlichen Stationen von Annweiler bis Worms. Auf einige gehen wir demnächst an dieser Stelle noch ein.
„Games of Thrones“ im Mittelalter

Ganz ohne kalendarischen Anlass geht es in „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“ um die „Games of Thrones“ des Mittelalters. Auch wenn die Könige und Kaiser scheinbar übermächtig waren, so konnten sie doch nicht auf die Unterstützung von Bischöfen und Fürsten, Rittern und später auch Ministerialen verzichten. Der vor zwei Jahren verstorbene Mediävist Stefan Weinfurter, der die Ausstellung mit angestoßen hat, sprach in diesem Zusammenhang von „Wirkverbünden“. Sein Kollege Bernd Schneidmüller von der Universität Heidelberg, der die wissenschaftliche Leitung der Ausstellung innehat, sagt es jetzt so: „Wir lösen die Kaiser aus ihrer göttlichen Einsamkeit und rücken das Zusammenwirken und Gestalten ins Zentrum.“
Schauplatz ist der Raum beiderseits des Rheins – mit Köln und Aachen im Norden und Basel im Süden, Metz im Westen und Frankfurt am Main im Osten. Es ist für Schneidmüller „eine Herzkammer des Kaiserreichs“. Und das war es ebenso für Otto von Freising. In dem Gebiet, „das der hochberühmte Rhein“ durschneidet, schreibt der Biograf Kaiser Friedrichs Barbarossa im 12. Jahrhundert, „liegt bekanntlich die größte Kraft des Reichs.“
„Entzauberung der Welt“

Das Spannende, ja, Epochale jener Zeit ist die „Entzauberung der Welt“. Der Kaiser, der als „Gesalbter des Herrn“ angesehen wurde und dessen Herrschaft gottgegeben schien, musste im Investiturstreit dem Papst nachgeben. Das Wormser Konkordat von 1122 besiegelte, dass das Weltliche und das Geistliche, dass Staat und Kirche getrennte Bereiche sein sollten. Ein gewaltiger Schritt nach vorne. Was in Stein gehauen war, geriet ins Wanken – und mancher Zeitgenosse kam ins Grübeln. „Um 1100 entwickelte sich die Kultur des Zweifels und Abwägens zur machtvollen Triebfeder in der lateineuropäischen Kultur“, schreibt Schneidmüller im Katalog. „Grundlage dieser Streitkultur wurde das Vertrauen auf die Kraft des menschlichen Verstands.“
Die insgesamt 330 Objekte feiern die Aura des Originals. Exemplarisch für ihre Erlesenheit steht der „Codex Manesse“, der unter starkem Polizeischutz den Weg aus der Heidelberger Universitätsbibliothek nach Mainz gefunden hat. Er wird den konservatorischen Regeln zufolge vermutlich erst wieder 2036 ausgestellt werden dürfen.
Bei der „Großen Heidelberger Liederhandschrift“ handelt es sich um ein herausragendes Zeugnis der Buchkunst und ein einmaliges Dokument mittelhochdeutscher Dichtung mit insgesamt 138 Miniaturen. Den Anfang macht König Heinrich VI., den eine Schriftrolle in der linken Hand als Dichter ausweist. Dem jeweiligen gesellschaftlichen Rang entsprechend geht es in dem Werk voran, so dass eine literarische Lichtgestalt wie Walther von der Vogelweide erst weiter hinten gewürdigt wird.
„Leithandschrift der Hofschule“

Die in Mainz versammelten Handschriften ergeben eine Bibliothek von unschätzbarem Wert. Allein die Autorennamen sind eine Wucht: Einhart mit seiner Karls-Biografie, Ekkehard von Aura, Lampert von Hersfeld mit seinen Annalen, Otto von Freising und Rahewin, Gottfried von Viterbo, Hildegard von Bingen und Thomasin von Zerklaere mit seinem „Welschen Gast“.
Neben dem „Codex Manesse“ ist das Ada-Evangeliar besonders kostbar, das um 800 in Aachen entstanden ist und für das der Aufnahmeantrag zum Weltdokumentenerbe der Unesco gestellt ist. Es gilt als „Leithandschrift der Hofschule Karls des Großen“. Nicht minder beeindruckend ist der Codex Egberti, der für den Trierer Erzbischof Egbert geschaffen wurde und im Katalog „als ein kaum zu übertreffender Höhepunkt der Kunst um 1000“ gefeiert wird. Elementar für die Ausstellung sind klösterliche Güterverzeichnisse wie das Prümer Urbar aus dem 9. Jahrhundert (in einer Abschrift von 1122) und der Lorscher Codex aus dem 12. Jahrhundert, weil sie Hunderte von Orts- und Personennamen auf ihrem jeweiligen Besitz anführen. Diese stehen für das „Leben der Vielen“ – für die ganz und gar überwältigende Mehrheit der Menschen, die im Mittelalter keinerlei Einfluss auf die Politik nehmen konnten.
Es ist eine berauschende Fülle zu erkunden. Zu den Highlights zählen weiter das Adelheidkreuz aus St. Paul im österreichischen Lavanttal, das größte Reliquienkreuz des Mittelalters. Oder die kupferne, in ihrer Schlichtheit imponierende Grabkrone der Kaiserin Gisela. Zudem der Cappenberger Kopf, der lange Zeit als Porträtbüste Kaiser Friedrich Barbarossas angesehen wurde. Diese Sicht vertrat noch die legendäre Stuttgarter Stauferausstellung von 1977, die den vergoldeten Bronzekopf zu ihrem Signet erkoren und auf alle vier Katalogbände platziert hatte. Jüngere Forschungen legen allerdings nahe, dass es sich eher um eine Darstellung von Johannes dem Täufer handeln könnte.
Finessen gibt es bei nahezu jedem Exponat. So auch beim Bronzeleuchter mit den Allegorien der Erdteile. Bei dieser Arbeit aus dem 12. Jahrhundert handelt es sich um „das einzige bekannte Beispiel der Zeit“, das die Personifikationen der Kontinente zeigt. Asien wird mit einem gefüllten Gefäß und dem lateinischen Wort für „Reichtum“ bedacht, Afrika mit einem aufgeschlagenen Buch und „Wissenschaft“ – und Europa mit Schwert und Schild und dem Wörtchen „Bellum“, also „Krieg“. Von dem Kontinent, den wir Amerika nennen, wusste man damals noch nichts im Reich. Auch nichts von Australien und Ozeanien.
SchUM-Städte sollen Welterbe werden
Die Ausstellung verweist entschieden auf die Strahlkraft der jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz. Das gilt selbstverständlich nur für die friedlichen Zeiten und nicht für die der Pogrome. Zumal anhand der architektonischen Denkmäler, der Mikwen und Synagogen, lässt sich noch heute entdecken, wie vital der Austausch der drei Gemeinden untereinander war. Ende des 12. Jahrhunderts gaben sie sich sogar gemeinsame Statuten.
Seit 2005 laufen die Bemühungen, die sogenannten SchUM-Städte – ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der drei hebräischen Städtenamen – in den Rang eines Weltkulturerbes zu erheben. Da finden kulturhistorische und politische Motive zueinander. Die Entscheidung der Unesco wird im kommenden Jahr erwartet. Doch schon jetzt, so sagt es Landeskulturminister Konrad Wolf, habe der langwierige Bewerbungsprozess das Wissen um die so reiche wie grausame Geschichte des aschkenasischen Judentums gefördert – eine Geschichte zwischen weithin wirkender Gelehrsamkeit und mörderischer Verfolgung.
„Viel kräftige Kirsche, etwas pfeffrig“

Der Rundgang endet vor einem Exemplar der „Goldenen Bulle“ von 1356, in der unter anderem die Wahl des römisch-deutschen Königs durch die sieben Kurfürsten festgelegt wird. Diese Anerkennung der Fürstenmacht, so heißt es, sei ein erster Schritt zur föderalen Ordnung unserer Tage gewesen: von den Kurfürsten zu den Landesfürsten. Sogar die Reihenfolge, in der der Herrscher mit den glorreichen Sieben zu einem Festakt schreiten sollte, ist exakt geregelt. Zu den Kurfürsten gehörten die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, deren jeweiliges „Belegexemplar“ der Urkunde nun (aus konservatorischen Gründen) abwechselnd ausgestellt wird.
Es wird viel geboten in Mainz, aber nicht zu viel. Die Ausstellung, organisiert von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, hält Maß in ihren vier Abteilungen. Sie erdrückt den Besucher nicht mit einer Überfülle, bietet grafisch griffig gestaltete Informationswände, führt durch farbig wohl temperierte Räume und ist erfolgreich um Allgemeinverständlichkeit bemüht.
Selbst das Leibliche behält sie im Blick. So hat das älteste Weingut der Pfalz einige Weine aus Trauben gewonnen, die schon im Mittelalter gekeltert wurden. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Gänsfüßer heute besser schmeckt als er es ehedem tat. Denn vor 1000 Jahren ging es den Winzern nicht um Qualität, sondern um Quantität. Die Blume? Beim Staatsweingut schmeckt man’s so: „Viel kräftige Kirsche, etwas pfeffrig.“
Martin Oehlen
Daten zur Schau
„Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“ im Landesmuseum Mainz, Große Bleiche 49.
Geöffnet bis 18. April 2021, Mi.-So. 10-17 Uhr und Di. 10-20 Uhr.
Eintritt: 12 Euro (erm. 9 Euro)
Achtung – es empfiehlt sich eine Anmeldung per Online. Als wir am Sonntagmorgen ins Landesmuseum kamen, wurden wir vertröstet. Die Ausstellung sei für die nächsten Tage ausgebucht. Immerhin – der Museumsmitarbeitet spendete freundlich und geduldig Trost. Und tat dies stets aufs Neue bei jedem weiteren Besucher, der kein Karte reserviert hatte.
Der Katalog erscheint im Verlag wbg Theiss und kostet im Buchhandel 48 Euro.
