Regina Porters amerikanischer Familienroman führt von Martin Luther King bis zu Barack Obama

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Ausblick auf Amerika Foto: Bücheratlas

Das Unerhörte ereignet sich im zweiten Kapitel. Agnes und ihr Freund Claude werden auf der Damascus Road in Georgia von der Polizei angehalten. Eine Schikane, ganz klar. Und ein Übergriff. Denn die weißen Polizisten vergehen sich anscheinend an der jungen schwarzen Frau. Genaues wird man nicht erfahren. Allerdings führt der Vorfall dazu, dass sich Agnes von Claude trennt und hastig einen anderen Mann heiratet. Trotz des Straßennamens ist dies kein biblisches Damaskus-Erlebnis, nach dem sich alles zum Guten wendet. Dem verzweifelt-verwirrten Ex sagt Claude noch dies: „Es ist nicht deine Schuld.“ Ihre Tochter aus der neuen Beziehung wird sie Claudia nennen.

Wie ein böses Omen sticht diese fatale Episode heraus in Regina Porters Roman „Die Reisenden“, der von zwei Familien in den USA erzählt, einer schwarzen und einer weißen. Viel ist darin von Vietnam die Rede und was der Krieg in den Seelen der Veteranen angerichtet hat – an Gewaltausbrüchen herrscht wahrlich kein Mangel. Noch mehr freilich spielt die Rassenproblematik eine Rolle in dem Roman, dessen Handlungszeitraum im Kern begrenzt wird von der Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King und vom Amtsantritt des ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama.

Zahlreiche Männer und Frauen betreten hier die Bühne, mal als Jugendliche, mal als Eheleute, mal als Großeltern. Da ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten, wer zu wem gehört. So ist die zweiseitige Liste der „Handelnden Personen“, die am Ende des Romans zu finden ist, sehr hilfreich. Überdies kommen einige historische Persönlichkeiten ins Spiel – darunter die Flugpionierin Bessie Coleman und die Künstlerin Lee Krasner. Dass zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos die Kapitel illustrieren, verstärkt den Eindruck, dass die Autorin hier ein Familienalbum aufschlägt.

Porter erzählt von den großen und kleinen Dramen mit Tempo und Energie, mal der Erzählung vorgreifend und dann wieder in der Chronologie zurückgehend. Auch sorgt sie dafür, dass die Geschichten einander spiegeln und ihre Protagonisten aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Wunderbar erfrischend ist es, wenn Porter jäh und lakonisch in der Erzählung voranspringt. „Das Klimakterium kann dein Feind sein oder aber dein bester Freund“, sagt James etwas allzu täppisch zu seiner Ehefrau. Denn schon im nächsten Satz ist diese Ehe Vergangenheit: „Sigrid nahm Rufus, den gemeinsamen Sohn, und zog ans andere Ende des Landes, in eine Wohnung im spanischen Stil in Los Angeles. Heute geht sie fast jeden Morgen am Strand joggen und trinkt abends Saporro-Bier mit ihrem Freund.“

Auffallend an Porters Prosa-Debüt ist die flotte Dialogführung. Wenn Rede und Gegenrede zuweilen klackern wie die Kugel im Flipper-Automaten, dann weist dies auf Porters Erfahrung als Dramatikerin hin. Und vermutlich ist die Theaterliebe auch der Grund dafür, dass William Shakespeare und Tom Stoppard (mit seinem Drama über Hamlets Jugendfreunde Rosenkranz und Güldenstern) ein wichtiges Erzählmotiv sind. Gleich ist man geneigt, den Klassiker zu zitieren: „Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Frau‘n und Männer bloße Spieler; sie treten auf und gehen wieder ab.“

Einiges misslingt in diesen Familien. Es gibt scheiternde Beziehungen und Drogen, einen spektakulären Selbstmord und einen Nasenbeinbruch, Diskriminierung und patriarchalischen Terror. Und dass die Hündin Stella mit einer Smith & Wesson spielen darf, bis sich ein Schuss aus der Waffe löst, ist auch nicht so komisch. Doch allemal durchweht den Roman die Hoffnung auf ein glückliches Leben. Trotz Vietnam und Rassismus. „Die Reisenden“, von denen der Roman in seinem Titel spricht, sind eben nur noch nicht an ihrem Ziel angekommen.

Lesungen mit Regina Porter

in Köln im Literaturhaus am 9. Februar 2020 um 18 Uhr. Moderation: Angela Spizig. Den deutschen Text liest Milena Karas;

in Hamburg in der Buchhandlung Lüders am 11. Februar 2020;

in Zürich im Festsaal Kaufleuten am 12. Februar 2020 um 20 Uhr;

in Freiburg (Deutschland) im Literaturhaus am 13. Februar 2020 um 19.30 Uhr;

in Basel im Literaturhaus am 14. Februar 2020 um 19 Uhr und

in Heidelberg im Deutsch-Amerikanischen Institut am 15. Februar 2020 um 20 Uhr.

Regina Porter: „Die Reisenden“, dt. von Tanja Handels, S. Fischer, 380 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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