
Paul Celan hatte seinen Wohnsitz in Paris. Foto: Bücheratlas
„Eigentlich tät ich nichts lieber als Briefe schreiben“, heißt es in einem Brief von Paul Celan aus dem Jahre 1968. Nur komme ihm halt „so manches Gegenbriefliche in die Quere“. Das steht außer Frage. Gleichwohl pflegt Celan seine Kontakte. Der Output ist enorm. Im Buchhandel liegen bald 20 Briefbände des Mannes vor, der 1920 als Paul Antschel im rumänischen Czernowitz geboren wurde und 1970 in Frankreich gestorben ist. Darunter sind die Korrespondenzen mit Ingeborg Bachmann („Herzzeit“), der Ehefrau Gisèle Celan-Lestrange und der verehrten Nelly Sachs, den weiteren Freundinnen Ilana Shmueli und Gisela Dischner, „den rheinischen Freunden“ Heinrich Böll, Paul Schallück und Rolf Schroers, dem Schulfreund Gustav Chomed und dem Kollegen René Char. Doch was Barbara Wiedemann nun dem Band „etwas ganz und gar Persönliches“ zusammengestellt und kommentiert hat, eröffnet in zweierlei Hinsicht eine neue Dimension.
Zum einen wird erstmals ein repräsentativer Ausschnitt aus all den vielen Adressaten gewählt, den beruflichen, familiären und den ganz und gar privaten. Zum anderen sind von den 691 abgedruckten Briefen an 252 Personen 330 bislang noch nicht veröffentlicht worden. So handeln zwei dieser „neuen“ Dokumente davon, wie Celan vom Tod seiner deportierten Eltern erfuhr; sein Vater war im Arbeitslager an Typhus gestorben, seine Mutter von einem SS-Mann erschlagen worden.
Der Lyriker als Prosa-Autor
Die Auswahl erfasst die Jahre 1934 bis 1979, doch der regelmäßige Briefverkehr setzt erst 1948 ein, als Celans erster Gedichtband „Der Sand aus den Urnen“ erschien. Der Lyriker präsentiert sich in diesen Briefen als vorzüglicher Prosa-Autor. Makellos die Wortwahl, elegant der Fluss der Sätze. Ernsthaftigkeit dominiert. Doch Ironisch-Satirisches taucht auch mal auf: „Ach ja, etwas ist faul im Staate D-Mark.“ Dabei strebt Celan ausdrücklich keine Literatur an, wie er etwa in einem frühen Brief an Hans Erich Nossack feststellt: „Als Ihr Brief kam, wollte ich sofort antworten, tat es aber nicht, weil ich fürchtete, dieser Brief, diese Antwort könnte Literatur werden und damit schon das, wovor Sie mich warnten: Verrat an den Gedichten.“ Und doch – Literatur sind diese geschliffenen Texte allemal.
Wenn es um die Ablehnung einer Einladung oder die Zurückweisung einer Interpretation geht, findet Celan zu einer geradezu unerbittlichen Klarheit. Und wenn er Dankesworte formuliert, so wirken diese nicht abgestanden. In aller Regel wahrt der Autor die Form, was dazu führt, dass viele Briefe mit der Bitte beginnen, man möge ihm seine Säumigkeit nachsehen: „Ich habe lange nicht geschrieben – verzeih.“ Allerdings gibt es auch erhebliche Beispiele dafür, wie er aus der Haut fahren kann.
Beeindruckend ist seine unerbittliche Fürsorge für das eigene Werk. Kein Kritiker, kein Literaturwissenschaftler, kein Lektor und auch kein Verleger (wenngleich da der Ton etwas verbindlicher wurde) hatte es leicht mit diesem Autor. Viele Veranstaltungen schlug er aus, manche ihm zugedachte Widmung lehnte er ab. Selbst einige Literaturpreise nahm er nicht an. Mal schien es ihm, als hülfe die Preissumme einem anderen Autor mehr. Mal lag die Ablehnung darin begründet, dass Celan unliebsame Personen im Umfeld der Ehrung ausgemacht hatte.
„Das niederträchtige Weib“
Die alte und die neue „Hitlerei“ sind ihm, dem Opfer des Nationalsozialismus und dem Autor des Gedichts „Todesfuge“, ein ewiger Sorgenstoff. Da geht Celan keinem Streit aus dem Wege. Auch nicht mit Günter Grass („Ich musste ihm die Freundschaft aufkündigen, ihm und seiner Frau die Tür weisen.“), Alfred Andersch („ein Schurke“) oder Heinrich Böll. Ihm wirft er vor, in privater Gesellschaft der angeblich antisemitischen Einlassung einer dritten Person nicht entschieden widersprochen zu haben: „Ein bitterer Brief – Sie verdienen ihn.“ Die Kritik an dem „patentierten Mitmenschen“ wiederholt Celan dann in Schreiben an Max Frisch, Paul Schallück und anderen. Böll kündigt Celan daraufhin die Freundschaft. Allerdings renkt sich diese Beziehung später wieder ein („wir haben einander wehgetan“). Auch die zu Grass.
Schwer erträglich sind für Celan zudem jene Personen, die den Vorwurf von Claire Goll nicht entschieden zurückweisen, er habe Gedichte ihres verstorbenen Mannes Yvan Goll plagiiert. Celan schreibt an den Freund und Kollegen Hermann Lenz: „Das niederträchtige Weib setzt ihre Infamien ungestört fort…“ Einem anderen Adressaten teilt er mit: „Es ist grotesk, Menschen, die mit Büchern umgehen, beweisen zu müssen, dass z. B. meine Gedichte viel früher als die Gollschen erschienen sind, und zwar nicht nur in Zeitschriften, sondern auch in Buchform.“ Dieser „Rufmord“ treibt ihn lebenslang um.
Gisèle weiß „alles“ über Ingeborg
Ganz in Liebe getaucht sind die Briefe an Ingeborg Bachmann, jedenfalls zu Beginn ihrer Beziehung. 1949 schreibt Celan von seinem Pariser Wohnsitz aus: „Wie weit oder wie nah bist Du, Ingeborg? Sag es mir, damit ich weiß, ob Du die Augen schließt, wenn ich Dich jetzt küsse.“ Im Oktober 1957 teilt er Bachmann mit, dass er seiner Ehefrau Gisèle „alles gesagt“ habe und jene nun so weit sei, „dass sie alles hinnehmen will, was immer es auch sei, alles“. Im selben Brief noch der Hinweis: „Du bist überall in meinen Gedichten, Ingeborg, auch da, wo Du nicht zu sein schienst“. Schließlich in einem weiteren Brief aus dem November 1957 schreibt er, dass sein Gedicht „Köln, Am Hof“ eines seiner schönsten sei – „Durch Dich, Ingeborg, durch Dich“.
Von vielem mehr ist die Rede. Von seiner Bereitschaft, sich für bedürftige Kollegen zu engagieren. Von seiner Arbeit als immens fleißiger Übersetzer von russischer und französischer Lyrik. Von seinem Selbstverständnis als Jude. Von Hölderlin und Heidegger. Von Überlegungen, aus Paris fortzuziehen – doch er verwirft Köln, er verwirft Israel. Selbstverständlich zieht sich seine Poetik durch die gesamte Korrespondenz. An Hermann Kasack schreibt er mit „Emphase“, wie er selbst einräumt: „Sind Gedichte nicht dies: die ihrer Endlichkeit eingedenk bleibende Unendlichkeitssprechung von Sterblichkeit und Umsonst?“
„Ein anderer Mensch werden“
Schließlich spiegeln diese Briefe auch Paul Celans psychische Krankheit. Zum einen mag man diese in gelegentlicher Sprunghaftigkeit erkennen, wenn er ein Telegramm abschickt und am nächsten Tag dessen Botschaft zurücknimmt. Zum anderen und deutlicher werden seine Qualen, wenn er selbst davon spricht. An Ehefrau Gisèle, mit der er den Sohn Eric hat, schreibt er 1963 aus einer Klinik: „Es drängt mich, bald wieder bei Euch zu sein, doch zuvor muss ich ein anderer Mensch werden (oder besser, etwas unempfindlicher, was die nebensächlichen Dinge angeht).“ Zwei Jahre später versucht er im „Wahnzustand“, wie es im Kommentar des Bandes heißt, seine Ehefrau mit dem Messer zu töten. Gisèle Celan-Lestrange kann mit ihrem Sohn aus der Wohnung fliehen. Das Paar bleibt gleichwohl bis zu Celans Tod – vermutlich war es Selbstmord – in Kontakt.
Ein Leben in Briefen ist nicht das ganze Leben. Schon gar nicht, wenn entscheidende Kapitel wie Celans Erfahrungen im Ghetto und im Arbeitslager weitgehend außen vor bleiben. Auch fehlen die Schreiben der Adressaten. Gleichwohl kommt man in diesen Briefen dem Dichter recht nahe. Seinen Freuden, seinen Grundsätzen und seinen Dämonen. Dieses aus- und eindrucksvolle Mosaik ist die große Leistung der Herausgeberin Barbara Wiedemann, die schon so viele Publikationen zu Paul Celan verantwortet hat.
Eine willkommene Lektüre ist der Band zudem gerade in diesem Paul-Celan-Jahr, da 2020 an den 100. Geburtstag (im November) und den 50. Todestag (im April) des Lyrikers erinnert wird.
Martin Oehlen
Paul Celan: „»Etwas ganz und gar Persönliches« – Briefe 1934-1970“, hrsg. von Barbara Wiedemann, Suhrkamp, 1286 Seiten, 78 Euro. E-Book: 69,99 Euro.
Ich war in Paris, aber ich hatte keine Gelegenheit, von diesem Buch zu hören
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