Jürgen Becker, 1932 in Köln geboren, erhielt er im Jahre 2014 den Georg-Büchner-Preis. Er kennt die Frankfurter Buchmesse seit fast 60 Jahren, als Journalist und vor allem als Schriftsteller. Hier schildert er seine Erfahrungen.

Spätsommerliches Oktoberlicht fällt in die Halle 4 der Frankfurter Buchmesse Foto: Bücheratlas
Das erste Mal war ich 1959 oder 1960 auf der Buchmesse – damals noch nicht als Autor, sondern als Mitarbeiter des Westdeutschen Rundfunks. Roland H. Wiegenstein, der Redakteur des Literarischen Studios, hatte mich zum Kritikerempfang des Suhrkamp-Verlags mitgenommen. Peter Weiss las aus „Der Schatten des Körpers des Kutschers“, seinem ersten Buch bei Suhrkamp, das große Wirkung gehabt hat. Das nächste Mal war ich dann 1962 als Autor in Frankfurt. Hans Magnus Enzensberger hatte gerade die Anthologie „Vorzeichen“ mit fünf jungen Autoren veröffentlicht, zu denen ich gehörte – neben Gisela Elsner, Ror Wolf, Hans Günter Michelsen und Christian Grote.
Damals war das ein großes Abenteuer für mich – zum Verlag zu gehen, zur Buchmesse, Kollegen und Journalisten zu treffen, dann die berühmten Parties bei Rowohlt und bei Hanser. Die Messe war eine einzige große Literatur-Party, die tagelang dauerte und durch die man am Ende taumelte, auch weil man nicht mehr ganz nüchtern war. Aber es war sehr anregend, sehr schön, sehr lebendig. Man kam heraus aus seiner Isolation am Schreibtisch und befand sich plötzlich in so einem großen literarischen Zusammenhang. Die „Polizeimesse“ von 1968 habe ich auch erlebt, das war verrückt. Die war stark politisiert – aber worum es im Einzelnen genau ging, weiß ich gar nicht mehr.
Damals war die Messe noch überschaubar – da konnte man an einem Tag alles sehen, was man sehen wollte. Aber das Marktgeschehen interessierte einen ja auch nicht wirklich. Ich erinnere mich, dass mich 1967 Marcel Reich-Ranicki interviewt hat, weil ich da gerade den Preis der Gruppe 47 bekommen hatte. Damals sagte ich zu ihm: „Ich glaube mit der Literatur, die uns beschäftigt, hat die Messe nichts zu tun. Hier geht es ums Marktgeschehen, ums Geschäft.“ Was uns interessierte, waren Begegnungen und Kontakte. Auf der Messe habe ich Helmut Heißenbüttel kennengelernt, der sehr wichtig für mich war, oder wir sind mit Peter Handke rumgezogen, was sehr lustig war. Ich habe auch mal für den Deutschlandfunk und dessen Sendung „Extra“ live von der Buchmesse berichtet. Da führte ich Interviews mit Günter Grass oder Inge Feltrinelli – ich erinnere mich, dass ich für sie als Musik „The Lady is a Tramp“ ausgesucht hatte. Diese Sendungen waren für mich eine besondere Art, die Messe zu erleben: Nicht Objekt zu sein, sondern selber den Leuten hinterher zu sein.
In den letzten Jahren war ich nicht mehr so oft da. Und in diesem Jahr ist es so, dass das nächste Buch erst nach der Messe erscheinen wird: „Gelegenheiten“, eine Sammlung, meiner Aufsätze und Reden. Das wird nicht auf der Messe vorgestellt, sondern am 1. November in einer Veranstaltung des Kölner Literaturhauses im Kölnischen Kunstverein.
Ich habe nie zu denen gehört, die auf die Messe geschimpft haben, die gesagt haben, das sei ja alles fürchterlich. Ich fand sie immer sehr anregend, belebend. In der Erinnerung rauscht alles zu einem großen Fest zusammen, das man in verschiedenen Etappen erlebt hat.
Aufgezeichnet von Martin Oehlen
Jürgen Becker: „Gelegenheiten – Aufsätze und Gespräche, Reden und Rezensionen“, hrsg. von Gabriele Ewenz, Suhrkamp, 416 Seiten, 18 Euro. E-Book: 15,99 Euro. Erscheint am 21. Oktober.
Buchvorstellung mit Jürgen Becker und Gabriele Ewenz am 1. November 2018 um 17 Uhr im Kölnischen Kunstverein in Köln, Hahnenstraße 6. Eintritt 10 Euro und ermäßigt 8 Euro.
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