Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium für Özlem Özgül Dündar

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Özlem Özgül Dündar vor der Preisverleihung im Kölner Rathaus Fotos: Bücheratlas

Das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium für Literatur der Stadt Köln geht in diesem Jahr an Özlem Özgül Dündar.  Dabei handelt es sich um eines von fünf Förderstipendien für junge Künstler, jeweils mit 10.000 Euro dotiert, die von Oberbürgermeisterin Henriette Reker übergeben worden sind. Also  – wenig Geld ist das nicht. Die Autorin mit deutsch-türkischem Hintergrund, 1983 in Solingen geboren, erhält dadurch Unterstützung für einen Roman, der im Entstehen begriffen ist. Titel des „work in progress: „und ich brenne“. Was daraus bisher zu lesen und zu hören war, ist ebenso eigenwillig wie eindrucksvoll, ästhetisch anspruchsvoll und inhaltlich erheblich. Vor dem Hintergrund des rassistischen Brandanschlags in Solingen, bei dem vor 25 Jahren fünf Menschen ums Leben kamen, lässt Dündar vier Mütter zu Wort kommen – drei von ihnen zählen zu den Opfern, eine von ihnen hat einen Attentäter zum Sohn. Weitere Personen, so sagte sie es in der Video-Einspielung zur Verleihung, kommen hinzu. Der Schrecken wird rekapituliert in einem intensiven Strömen von Erinnerungen und Empfindungen, ohne Punkt und Komma, in konsequenter Kleinschreibung, solcherart den Überdruck während und nach dem Schrecken andeutend.

„tränen weine ich nicht mehr“, sagt die eine Mutter, „auch die stückzahl von tränen ist begrenzt auch die sind nicht endlos irgendwann kommen keine tränen mehr die augen hören einfach auf sie sind dann leer kennst du diesen moment in dem die tränen aufhören und dir bleibt nicht einmal mehr das weinen auch das wird dir genommen“. Und von der Mutter eines Täters hören wir: „ja man muss nicht gleich vom schlimmsten ausgehen und so viele polizisten und sie starren mich an und ich kann die gesichter nicht lesen was ist es nun was ist es“.  Die dritte Mutter versucht ihr Kind zu retten und kommt dabei ums Leben:  „ich kann nicht atmen und ich packe mein kind es ist noch so winzig ich packe es und ich kann keinem helfen und knalle die tür zu und knalle sie den flammen ins Gesicht und renne zum fenster und öffne es und ich stelle mich auf den fensterrahmen und halte mit der einen hand den rahmen und mit der anderen mein kind ganz fest“. Schließlich die vierte Mutter:  „mit der kraft des feuers zerfalle ich immer mehr und ich bin ganz und gar pulverisiert und ich zerfalle in asche und zerstreue mich zerstreue mich in den wind der durch das haus weht und ich zerstreue mich und werde in die nacht gewirbelt und ich liege hauchdünn verteilt auf dem boden an den wänden hauchdünn und meine partikel schwirren in der luft und legen sich auf die gesichter der beobachtenden“.

Der Roman-Auszug der Autorin hat zuvor schon Eindruck gemacht beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Fast durchweg positiv waren die Einlassungen der dortigen Jury, die online nachzulesen sind, ebenso das dort diskutierte Exzerpt. Die Autorin erhielt am Ende den Kelag-Preis, auch der mit 10.000 Euro dotiert.  Das wird die Kölner Jury freuen, die sich bestätigt sehen darf in ihrer Entscheidung für ein literarisches Versprechen.

Martin Oehlen

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Alle fünf Preisträger: Selma Gültoprak (Bildende Kunst), Stefan Ramírez Pérez (Medienkunst), Tamara Lukasheva (Jazz), Jonah Haven (Musik) und Özlem Özgül Dündar (von links)

Lesung: Im Kölner Literaturhaus  tritt Özlem Özgül Dündar am 18. September um 20 Uhr auf.

http://www.ksta.de

 

 

2 Gedanken zu “Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium für Özlem Özgül Dündar

  1. Pingback: Özlem Özgül Dündars Roman „Und ich brenne“ über den Brandanschlag von Solingen | Bücheratlas

  2. Pingback: Förderstipendium der Stadt Köln 2019 für Literatur | Literaturszene Köln e.V.

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