
Was passiert da gerade? Geht die Sonne auf oder geht sie unter? Egal – eines ist gewiss: So schön kann es in den USA sein. Foto: Bücheratlas
„Was passiert da gerade mit uns?“ Nathan stellt die Frage. Eine Antwort scheint er nicht zu erwarten. Amerika ist verwirrt – und die drei befreundeten Familien in Arizona, die Richard Russo in seiner Erzählung „Sh*tshow“ vorstellt, sind es auch. Dabei handelt es sich um aufgeschlossene, gebildete Zeitgenossen. Doch nach dem Sieg von Donald Trump ist der Wahlkater groß. Und dann werden im Whirlpool von David und Ellie, die pensionierte Universitätsdozenten sind und hier im Mittelpunkt stehen, auch noch Fäkalien platziert. Spätestens bei dieser Metapher wird drastisch deutlich, was Russo von den trumpisierten Vereinigten Staaten hält: Es stinkt zum Himmel.
Russo zeigt kein Bild der gesamten Gesellschaft, sondern verweilt im Segment der akademischen Oberschicht. Selbst dort, wo man sich liberal gibt, ist man der Haltung seiner Freunde nicht mehr sicher. Als Clay wütet, „dass dieser faschistische Dreckskerl ins Amt gekommen ist“, beschwichtigt Nathan: „Klar, der Typ ist ein Schwein, aber kein zweiter Hitler.“ Dann gesteht er, für Trump gestimmt zu haben – weil er meinte, „dass ein richtiger Politikwechsel, selbst wenn er eine zeitlich begrenzte Wendung zum Schlechteren bedeutet, uns alle aufwecken würde.“
Vor wenigen Wochen veröffentlichte Kiepenheuer & Witsch die zornesrote Satire „Der größte Kapitän aller Zeiten“, in der Dave Eggers den US-Präsidenten lächerlich macht (eine Besprechung gibt es HIER). Nun also die Kurzgeschichte seines Landsmannes Russo über ein verstörtes Amerika. Von beiden Autoren sind kurz zuvor auf Deutsch Romane erschienen: „Die Parade“ von Eggers ( HIER ) und „Jenseits der Erwartungen“ von Russo ( HIER ). Es scheint so, dass für sie der Druck so groß geworden ist, dass sie sich anschließend in zwei schnellen Texten Luft verschaffen mussten. Was nur zu verständlich ist: Amerikas Krise ist atemberaubend.
Der Riss geht durch die Gesellschaft, er geht durch Freundeskreise und in diesem Fall auch durch den zentralen Ehebund. Politisch sind David und Ellie einer Meinung. Doch die „Sh*itshow“ entwickelt eine ungeahnte Sprengkraft. Tochter Alison rät zum Umzug von Tucson ins liberale Kalifornien: „Wenigstens ist das hier immer noch Amerika.“ Aber der Ich-Erzähler Dave ist eine typische Richard-Russo-Figur: Das Glas ist für ihn nicht halbleer, sondern halbvoll. Und der nächste Wahltag ist nicht mehr so weit weg.
Martin Oehlen
Was hierzu passt:
Wie es sich mit Narzissten und ihrer toxischen Macht verhält, hat die Psychoanalytikerin Marie-France Hirigoyen kürzlich in einem Sachbuch festgehalten – mehr dazu HIER.
Richard Russo: „Sh*tshow“, dt. von Monika Köpfer, DuMont, 72 Seiten, 10 Euro. E-Book: 4,99 Euro.