
Dublin bietet N. zahlreiche Gelegenheiten, den Heimweg hinauszuzögern. Foto: Bücheratlas
Der Tag ist schon etwas vorangeschritten, da hat N. noch immer „das Gefühl, dass er wegen der Lage zu Hause eigentlich etwas tun müsste, egal was.“ Da kann man dem Mann nur zustimmen. Denn soeben ist seine Frau gestorben. Daheim wüten die beiden Schwägerinnen am Telefon, N. möge sich endlich um die Aufbahrung, den Sarg und die Begräbnisfeier kümmern. Doch N. irrlichtert durch Dublin.
Máirtín Ó Cadhain (1906 – 1970) erzählt in dem Roman „Die Asche des Tages“, der in seinem Todesjahr erschienen ist, eine packende, abstruse, schwarzhumorige Geschichte. Statt sich um die Beisetzung zu kümmern, lässt sich N. treiben – im Büro, in der Kneipe, auf der Parkbank, im Kaufhaus, bei Dreharbeiten, in der Kirche und auf der Pferderennbahn. All dies wird noch dadurch getoppt, dass er sich auf eine kurze „Lustreise“ mit Knutschi einlässt. Er trinkt und betet, plant und verwirft, klagt an und bereut, trifft Bekannte und Unbekannte, aber kommt nicht voran. Der Mann ist wirklich von sehr eigener Art.
N. betrauert nicht seine Frau, sondern sich selbst. Wegen der Umstände und vor allem wegen der anstehenden Kosten. Es fällt ihm manches derbe Wort ein, um seinem Frust Luft zu verschaffen. In seiner selbstgerechten Selbstbefragung erweist er sich nicht selten als schlicht gestrickt. Das kollidiert mit der Behauptung, dass er als Beamter im Heimatministerium und als freier Mitarbeiter für Radio und Fernsehen journalistisch tätig ist. Da möchte man schon ein wenig mehr Einsicht und Zielstrebigkeit für möglich halten. Aber wer weiß – womöglich ist die Verwirrung, die zuweilen kafkaeske Dimensionen annimmt, nur der Tagesform geschuldet.
In Irland wird Máirtín Ó Cadhain zuweilen in einem Atemzug mit Samuel Beckett und James Joyce genannt. Dass er außerhalb der Republik nicht so berühmt geworden ist wie die beiden Giganten, mag daran liegen, dass er auf Irisch geschrieben hat. Das ist eine Sprache, die nicht vielen vertraut ist. Umso schöner, dass sich nun die Übersetzerin Gabriele Haefs des Werks angenommen hat.
Diesen Roman zu lesen ist ein überraschendes Vergnügen. Gleich kommt einem der „Ulysses“ von Joyce in den Sinn. Nicht wegen der literaturhistorischen Bedeutung, mit der „Die Asche des Tages“ dann doch nicht mitthalten kann. Wohl aber weckt der Handlungsort Dublin, die knapp bemessene Zeitspanne von wenig mehr als einem Tag sowie die starke Einbeziehung von N.s Gedankenströmen diese Assoziation.
Ó Cadhain hatte sich schon zuvor einmal auf die Toten eingelassen. In seinem als Hauptwerk gepriesenen „Grabgeflüster“ von 1949, das vor drei Jahren ebenfalls im Kröner-Verlag auf Deutsch erschienen ist, kommen die Verstorbenen ausführlich zu Wort. Eine dieser Gestalten bekennt: „Ich wüsste gern, ob ich laut und gut betrauert worden bin.“ Tja. Der Leichnam von N.s Ehefrau, das steht fest, hätte mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt. Auch wenn dann wohl nicht ein so herrlich kauziger Roman herausgekommen wäre.
Martin Oehlen
Máirtín Ó Cadhain: „Die Asche des Tages“, dt. von Gabriele Haefs, Alfred Kröner Verlag, 156 Seiten, 18 Euro.
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