Viel aktueller kann eine literarische Erzählung kaum grundiert sein. Husch Josten, die bei der vierten Veranstaltung des „Literaturhaus Köln virtuell“ zu Gast war, landete mit ihrer zweifellos frisch vom Schreibtisch kommenden Kurzgeschichte „Bar jeder Kritik“ mitten in der pandemischen Gegenwart. Denn da ist zügig vom US-Präsidenten die Rede, der alles auf sich beziehe und immer wieder in eine frühkindliche Trotzphase verfalle. Auch dass er das Corona-Virus zunächst einmal als lächerliche Grippe verharmlost hat, wird in Erinnerung gerufen.
So dicht dran an der Tagesaktualität ist die Literatur nicht oft. Für die weit verbreitete Zurückhaltung mag es gute Gründe geben. Die kennt auch Husch Josten. Gleichwohl packt sie den Stier bei den Hörnern. Im Gespräch mit Bettina Fischer vom Literaturhaus Köln, das bei diesem virtuellen Live-Auftritt abermals mit der Kölner VHS kooperiert hat, sagte die Autorin: „Ich finde es wichtig, die Zeit, in der wir uns befinden, festzuhalten.“ Sie bekennt sich zu einer „Zeugenschaft des Moments“. Und wenn der Moment von welthistorischer Dimension ist, so denken wir uns das, ist eine solche Zeugenschaft nur umso lohnender: Wie ist das, wie war das – dieses Corona-Gefühl?
Gleichwohl hat Husch Jostens Geschichte noch einen ganz anderen Twist. Denn da macht uns eine Ich-Erzählerin mit dem amerikanischen Ehepaar Sullivan bekannt, das fern der Heimat in einer Postkartenidylle seinen Urlaub verbringt. Es weiß noch nicht, wie es scheint, dass der Rückflug womöglich kompliziert werden könnte.
Husch Josten porträtiert auf der literarischen Kurzstrecke eine Beziehung, die in der Eheroutine erstickt ist. Vom Desinteresse zur Abneigung ist es nicht weit. Die Erzählerin, die als dritte Person mit am Tisch der Sullivans zu sitzen scheint, führt aus, dass schon die Art, wie der Mund des Partners vor der Berührung mit der Kaffeetasse zuckt oder sein Kiefer die Nüsse zermalmt, die negativen Vibrations fördern kann. Ingeborg Bachmann hätte solche Zweisamkeit gewiss feiner beschrieben, sagt die Ich-Erzählerin, hätte womöglich von einem Talent zur Traurigkeit gesprochen. Doch so viel Zurückhaltung mutet sie sich nicht zu. Sie wolle nicht „erbittlich“ sein. Um wen es sich bei der Erzählerin handelt? Den Clou gibt es im letzten Satz – womöglich demnächst einmal nachzulesen in einem Erzählungsband.
Mittlerweile könne sie sich wieder aufs Schreiben konzentrieren, sagte Husch Josten im Gespräch. Am Anfang der Corona-Krise sei das überhaupt nicht möglich gewesen. Doch dann habe sie sich eine „Nachrichten-Hygiene“ auferlegt. Man muss ja nicht permanent am Live-Ticker kleben.
Einen Wunsch hat die Autorin an die Politik: „Klare Angaben, was wir zu erwarten haben und wie wir uns verhalten sollen.“ Im Moment liefen viele Dinge durcheinander, meint sie. Es gehe ihr nicht um die Ankündigung, dass man alles im Griff habe. Sondern um klare Antworten – denn „die sind systemrelevant.“
Martin Oehlen
Die bisherigen Veranstaltungen im Rahmen von „Literaturhaus Köln virtuell“ haben wir auf dem Bücheratlas besprochen. Die Links, bitteschön:
Ulrike Anna Bleier,
Bastian Schneider,
Gunther Geltinger.
Einen Beitrag über die Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises an Husch Josten findet sich HIER.