Das Finale ist da! Nach einem Besuch im Buddenbrookhaus (HIER), einem Blick auf das Verhältnis zwischen Thomas Mann und Lübeck (HIER) sowie einem Besuch der Ausstellung zu Heinrich Manns „Der Untertan“ (HIER) geht es im vierten und letzten Teil unserer Dezember-Reihe um Weihnachten und die Zukunft. Das ist ein gutes Stichwort: Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir die bestmöglichen Festtage! Bleiben Sie uns, bleibt Ihr uns gewogen!

O Tantenbaum“, singt Christian Buddenbook zum Vergnügen der Jüngsten in der Familie. Während alle anderen mit fröhlichem Ernst zur Bescherung schreiten, macht er den Hampelmann. Ja, die Weihnachtszeit ist keine schlechte Gelegenheit, um sich mal wieder auf die „Buddenbrooks“ einzulassen. Thomas Mann schildert in seinem Familienroman – achtes Kapitel im achten Teil – mit Wärme und Ironie den Festabend in der großbürgerlichen, allerdings ganz und gar nicht sorgenfreien Familie. Da wird einerseits kunstvoll auf die Stimmungstube gedrückt und andererseits der Riss im achtsam gepflegten Festgebäude offenbar – nicht nur, weil Christian zwischendurch mal einen Abstecher in seinen Klub macht.
Vor der Nachtruhe noch etwas kohlensaures Natron
„Weihnachten bei Buddenbrooks“ – das steht aktuell auch als Veranstaltung in Lübeck auf dem Programm. Mit Lesung und Musik, Speis und Trank in einem Hotel. Alles auf Grundlage des Romans. Das kann man selbstverständlich auch privat nachzelebrieren. Wer zum Beispiel Anregungen für das Festtagsmenü benötigt, wird bei Thomas Mann fündig. Nach der Bescherung – zu der Biskuits und Mandelcreme „aus Eiern, geriebenen Mandeln und Rosenwasser“ gereicht werden – kommen viele reich gefüllte Schüsseln und Platten auf den Festmahlstisch. Vorneweg gibt es den Karpfen und dann den Puter, „gefüllt mit einem Brei von Maronen, Rosinen und Äpfeln“, dazu Kartoffeln, zweierlei Gemüse und zweierlei Kompott.
Und zum Nachtisch? Nein, es ist nicht der legendäre Plettenpudding, der an anderen Romanstellen aufgetischt wird, also jenes „schichtweise Gemisch aus Makronen, Himbeeren, Biskuits und Eiercreme“. Die Zubereitung ist in einem Rezeptbuch von Auguste Mann (1857-1913) überliefert, einer Kusine von Heinrich und Tomas Mann. Statt Plettenpudding werden an Weihnachten rote, weiße und braune Eisbaisers gereicht. Da greift jeder und jede gerne zu. Das kann dann auch einmal zuviel des Guten sein. Dem kleinen Hanno wird daher zur Nacht noch vorsorglich ein Glas kohlensaures Natron gereicht.


Diederich fängt an, am Christkind zu zweifeln
In der Hansestadt wurden Heinrich Mann (1871 – 1950) und Thomas Mann (1875 – 1955) geboren, der Ältere in der Breiten Straße 52-54, der Jüngere in der Breiten Straße 38. Dass sie im Denken, Schreiben und Handeln von sehr unterschiedlicher Art waren, ist weithin bekannt. Sie unterscheidet eben nicht nur, dass Heinrich viel und zügig schrieb und Thomas eher langsam. Legendär ist die jahrelange Eiszeit zwischen ihnen aufgrund politischer und ästhetischer Differenzen.
Immerhin findet sich auch in Heinrich Manns „Der Untertan“ ein Hinweis auf das Weihnachtsfest. Allerdings wird es nicht von sanfter Ironie umspielt, sondern von bissiger Satire. Über den Romanhelden Diederich Heßling, der als Schüler aus lauter Obrigkeitshörigkeit den Rohrstock des Lehrers bekränzt, und seine Mutter heißt es: „Aus den Festen pressten sie gemeinsam, vermittelst Gesang, Klavierspielen und Märchenerzählen, den letzten Tropfen Stimmung heraus.“ Und weiter: „Als Diederich am Christkind zu zweifeln anfing, ließ er sich von der Mutter bewegen, noch ein Weilchen zu glauben, und er fühlte sich dadurch erleichtert, treu und gut.“
Später dann, als Diederich Heßling schon ein ausgewachsener Stinkstiefel ist, trieft er an Weihnachten vor Selbstmitleid: „Ich passe nicht in diese harte Zeit“, dachte Diederich, „aß Marzipan von seinem Teller und träumte in die Lichter des Weihnachtsbaumes.“
Reiche Paketpost zum Fest
Das Interesse an den Manns wird in den kommenden Jahren kaum abflauen. Denn einige markante Jubiläen stehen an. Zunächst einmal 2024! Dann sind es 100 Jahre her, dass Thomas Manns „Der Zauberberg“ veröffentlicht wurde. Es ist bis heute sein international berühmtester Roman, wie Hans Wißkirchen sagt, der Präsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft. Rund um den „Zauberberg“, der vom Hamburger Kaufmannssohn Hans Castorp in einem luxuriösen Lungen-Sanatorium in den Schweizer Alpen erzählt, ist eine Ausstellung geplant. Womöglich wird dann auch daran erinnert, dass „Der Zauberberg“ ob seines Krankheits-Motivs in den vergangenen Corona-Jahren zahlreiche Theater-Dramatisierungen erfahren hat.
Weihnachten wird auch in diesem Roman gefeiert. Mit reich geschmücktem Baum, ausführlichem Mahl und vielen Geschenken. Auch ohne Amazon und Co. war „die Paketpost“, wie geschrieben steht, „reich gewesen.“ Auf die Präsente kommt es vor allem an. Hingegen ist die Intensität der Besinnung, der privaten wie der religiösen, schon damals eher bescheiden bis nicht vorhanden.
Stattdessen macht der Intellektuelle Lodovico Settembrini an Heiligabend ein paar kecke Anmerkungen über den „Tischlersohn und Menschheits-Rabbi, dessen Geburtstag man heute fingiere.“ Ob Jesus wirklich gelebt habe, sei ungewiss. Was damals geboren worden sei, „das sei die Idee des Wertes der Einzelseele“ und der „der Gleichheit“ gewesen – „mit einem Worte die individualistische Demokratie.“ Schon ist die Stimmung hin: Die fremdwortverliebte Frau Stöhr hält Settembrinis Ausdrucksweise für „equivok und gemütlos“ und verlässt den Tisch „unter Protest“.
„Was ist denn die Zeit“
Für die Gäste des Berghofs ist Weihnachten vor allem eine Zäsur im Jahreslauf. Es sind Tage mit viel Schmuck, aber doch auch solche, wie Hans Castorp nüchtern konstatiert, mit einem Morgen, Mittag und Abend. Gleich nach dem zweiten Weihnachtstag liegt das Weihnachtsfest im Vergangenen beziehungsweise in jahresferner Zukunft: „zwölf Monate waren nun wieder bis dahin, wo es sich im Kreislauf erneuern würde.“
Nach Weihnachten ist eben immer vor Weihnachten. Was wie eine Banalität klingt, ist für den „Zauberberg“ elementar: Thomas Mann selbst hat von ihm als einem „Zeitroman“ im doppelten Sinne gesprochen. Dieter Borchmeyer gar meint in seiner aktuellen Thomas-Mann-Monographie „Werk und Zeit“, dass „kaum ein Roman der Weltliteratur so stark von der Frage ‚Was ist denn die Zeit‘, dem augustinischen ‚Quid est enim tempus‘ bestimmt“ sei.
Jubiläen rund um die Manns
Das „Zauberberg“-Jubiläum ist nur der Auftakt zu einem Jubiläums-Reigen. So steht 2025 der 150. Geburtstag von Thomas Mann an. Neben einer Ausstellung, die den „Weltbürger“ präsentieren will, soll es eine Festwoche geben. Zugleich läuft im Jahre 2025 die Schutzfrist für die Thomas- Mann-Werke ab. Es ist dann also nicht mehr nur der S. Fischer Verlag, der 70 Jahre nach dem Tod des Autors dessen Schriften publizieren darf.
Und noch ein Jubiläum: Im Jahre 2026 werden die „Buddenbrooks“ 125 Jahre alt. Auch das soll gefeiert werden – aber leider nicht im Buddenbrookhaus, dessen Ausbau dann noch nicht abgeschlossen sein wird. Die Pforte in der Mengstraße 4 wird sich – voraussichtlich – erst 2027 öffnen. Dann heißt es: Nichts wie hin.
Martin Oehlen

Die bisherigen Teile
unserer Mann-o-Mann-Reihe sind leicht greifbar. Der Auftakt im Buddenbrookhaus findet sich HIER, die Beziehungskiste zwischen Thomas Mann zu seiner Geburtsstadt HIER und die Ausstellung zu Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ HIER.
Heinrich Mann: „Der Untertan“, Reclam, 686 Seiten, 10,80 Euro. E-Book: 9,49 Euro.
Thomas Mann: „Buddenbrooks“, S. Fischer, 848 Seiten, 14 Euro. E-Book: 1,99 Euro.
Thomas Mann: „Der Zauberberg“, S. Fischer, 1008 Seiten, 18 Euro. E-Book: 7,99 Euro.
Dieter Borchmeyer: „Thomas Mann – Werk und Zeit“, Insel, 1552 Seiten, 58 Euro. E-Book: 49,99 Euro.




Dem „Bücheratlas“ und seinen klugen und kenntnisreichen Herausgebern Dank für viele interessante literarische Anregungen in 2022.
Und so wünsche ich frohe Weihnacht und ein friedvolles „Buch-reiches“ Neues Jahr 2023 – auch in der Erwartung vieler neuer spannender Posts.
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Lieber Günter Nawe – vielen Dank für die freundliche Worte! Auch Ihnen wünschen wir fabelhafte Festtage. Und – bitte – bleiben Sie uns gewogen.
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