Mann-o-Mann (1): Buddenbrookhaus in Lübeck wird neu aufgestellt und Dieter Borchmeyer errichtet ein Thomas-Mann-Monument

Wer an Lübeck denkt, denkt womöglich zunächst an Marzipan. Und dann an das bullige Holstentor. Aber danach kommt doch schon das Buddenbrookhaus ins Bewusstsein. Das Museum erinnert vor allem an Heinrich und Thomas Mann – will aber bald den Blick weiten. Unsere kleine Dezemberreihe führt zu den Manns in Lübeck und geht auf Dieter Borchmeyers monumentale Werkmonographie zu Thomas Mann ein, die an diesem Montag erscheint.

Das Buddenbrookhaus in der Lübecker Mengstraße 4 ist derzeit wegen Umbaus geschlossen. Foto: Bücheratlas

Was ist das.“ Ein Satz ohne Fragezeichen. Mit ihm beginnt Thomas Manns Welterfolg „Buddenbrooks“ von 1901, der den Untertitel „Verfall einer Familie“ trägt. Dafür hat er 1929 den Literaturnobelpreis erhalten, also nicht für sein Gesamtwerk, das im Jahr der Verleihung noch im Wachstumsstadium war. In dem großen Gesellschaftsroman taucht die Ortsangabe Lübeck zwar nirgends auf. Doch alle Straßennamen weisen als Schauplatz auf die Stadt im Norden, in der Thomas Mann (1875 – 1955) und sein Bruder Heinrich Mann (1871 – 1950) geboren wurden, der Jüngere in der Breiten Straße 38 und der Ältere in der Breiten Straße 52-54.

„Was ist denn hier los?!?“ ist jetzt an der Fassade des Buddenbrookhauses in der Mengstraße 4 in Lübeck zu lesen. Sogar mit zwei Fragezeichen (und einem Ausrufezeichen). Die Antwort lautet: Aktuell wird das Gebäude, in dem die Großeltern von Thomas und Heinrich Mann gelebt haben, umfassend umgebaut, saniert und erweitert.

„Mir ahnt nichts Gutes“

Die Eingriffe sind überfällig. Denn im Kellergewölbe aus dem 13. Jahrhundert lösen sich schon manche Steine auf. Da fallen einem gleich die Buddenbrooks selbst ein, bei denen die Fassade bröckelt und der Niedergang nicht aufzuhalten ist. Ganz so wie es im Roman zu lesen ist: „Mir ahnt nichts Gutes.“ Ursprünglich sollte der Titel sogar „Abwärts“ lauten, aber das klang in den Ohren des Verlags wenig verkaufsfördernd.

Vier weitere Mann-Häuser gibt es weltweit: in Nidden an der Kurischen Nehrung, wo Thomas Mann die Sommer von 1930 bis 1932 verbrachte, in München, Zürich und in Pacific Palisades im Westen von Los Angeles, dem Exil in Kalifornien. In der Lübecker Altstadt allerdings ergibt sich die einzigartige Gelegenheit, sagt Prof. Hans Wißkirchen, der Präsident der „Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft“ und Leitende Direktor der Lübecker Museen, einen in zweierlei Hinsicht authentischen Ort zu besichtigen.

„Casa Buddenbrook“

Zum einen wohnten die Großeltern von Heinrich und Thomas Mann in dem klassizistischen Gebäude, in dem sich die Enkel dann auch häufig aufhielten. Zum anderen ist das Haus Schauplatz, ja, geradezu Protagonist des Romans. Als solcher verändert sich das Gemäuer im Laufe der Geschichte. Nicht von ungefähr heben einige der rund 40 Übersetzungen genau darauf ab und titeln ausdrücklich „Casa Buddenbrook“ oder „Husid Buddenbrook“. Der Roman, dies nur zur Erinnerung, lässt in seinem deutschen Originaltitel das „Haus“ noch weg.

Eine solche Verbindung von Herkunftsort und Romanschauplatz sei einmalig, meint Hans Wißkirchen. Ja, das „Museum der Unschuld“ in Istanbul ist seit zehn Jahren dem gleichnamigen Roman von Orhan Pamuk gewidmet. Doch der türkische Nobelpreisträger lebe nicht in diesem Gebäude im Stadtteil Beyoglu. Und das Haus am Frauenplan in Weimar, in dem Goethe gewohnt hat, sei von diesem nie zum Zentrum eines Romans gemacht worden. Wie gesagt: Gibt’s nur in Lübeck.

Denkmalschutz und Nachbarschaft

Jedoch – dieser „auratische Ort“ ist seit 2019 geschlossen. Anfänglich glaubte man, dass Planung und Ausführung von Umbau, Sanierung und Erweiterung durch das Büro TMH S Architekten drei Jahre in Anspruch nehmen würde. Aber es zieht sich. Debatten mit dem Denkmalschutz und Auseinandersetzungen mit der Nachbarschaft haben das Projekt verzögert. Nun soll dem Publikum 2027 ein neu erstrahlendes Haus präsentiert werden, das sich „als museale Rekonstruktion“ versteht. Will sagen: Das Raumprogramm ist dicht dran am Original, aber doch so frei gestaltet, dass ein attraktiver Rundgang möglich ist. Auch sind die Zwischenwände austauschbar. Dafür werden Baukosten in Höhe von 34 Millionen Euro veranschlagt.

Um mehr Raum zu gewinnen, wurde 2013 das Nachbarhaus in der Mengstraße 6 angekauft. Dessen klassizistische Fassade muss für den Umbau „beiseitegestellt“ werden. Das ist kein geringer Aufwand und verweist auf ein Kuriosum am Rande: Die backsteingotische Fassade selbst ist schon einmal umgezogen. Nach der Kriegszerstörung wurde sie aus der 300 Meter entfernten Fischstraße in die Mengstraße versetzt, weil sie hier besser ins aufzubauende Lübeck zu passen schien. 

„Sparsam, aber mit Wucht“

Die Exponate sollen „sparsam, aber mit Wucht“, so Hans Wißkirchen, in den Räumen verteilt werden. Dazu zählen auch die beiden Bücherschränke, die ursprünglich fürs Geschirr gedacht waren. Thomas Mann hat sie auf allen seinen Lebensstationen mitgenommen, auch ins Exil nach Los Angeles. Der Autor habe sich „sein Lübeck“ in der Fremde neu aufgebaut, meint Birte Lipinski, die seit 2014 Leiterin des Buddenbrookhauses ist. Von einem der beiden Schränke will sie künftig die Rückseite präsentieren, auf der noch die Zollmarken kleben.  

Das neue Haus wird sich dann nicht nur wie bisher auf die Großmeister Thomas und Heinrich Mann konzentrieren. Vielmehr sollen in der Dauerausstellung – ehedem 380 Quadratmeter groß, demnächst 700 Quadratmeter – auch die anderen Manns in den Blick genommen werden: Katia, Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth (Mann Borgese) und Michael. Hans Wißkirchen ist der Ansicht, dass eine solche Familie Seltenheitswert habe. Zum Vergleich fallen ihm auf Anhieb nur die Wagners und die Kennedys ein.

Fächer und Familienbibel im Drägerhaus

Bis es so weit ist, muss man sich ein wenig bescheiden. Immerhin präsentiert sich das Buddenbrookhaus mit einigen ausgewählten Exponaten im Museum Behnhaus Drägerhaus, nur wenige Schritte entfernt in der Königstraße. Allerdings besteht auch dort Sanierungsbedarf, so dass alle zusammenrücken müssen. Da mischen sich nun die Familienbibel der Manns von 1722, ein Fächer aus Heinrich Breloers „Buddenbrooks“-Verfilmung von 2008 oder ein goldener Druckbleistift von Thomas Mann aus dem Jahre 1955 unter die Kunst des 19. Jahrhunderts und der Klassischen Moderne („Von Caspar David Friedrich bis Edvard Munch“).

Birte Lipinski, Leiterin des Buddenbrookhauses, vor einem Standleuchter, den Thomas Mann bei jedem Umzug mitgenommen hat. Derzeit ist der siebenarmige Leuchter im Lübecker Museum Benhaus Drägerhaus ausgestellt. Der Entwurf wird Karl Friedrich Schinkel bzw. seinem Umfeld zugeschrieben. Foto: Bücheratlas

Weiter kann man sich auf mehreren Mann-Routen einem Stadtrundgang anschließen. Die führen rund um die Marienkirche, welche ausgestattet ist mit dem höchsten Backsteingewölbe der Welt, vorbei an den Geburtshäusern, dem Gymnasium Katharineum und dem schwarz lasierten Rathaus mit seinem Ratskeller. Unterwegs erfahren die Promenierenden womöglich auch, dass die Stadt eine Weile gar nicht gut auf Thomas Mann zu sprechen war. Mehr dazu im zweiten Teil.

Martin Oehlen

Fortsetzung folgt in Kürze auf diesem Blog.

  • Dieter Borchmeyers monumentale Monographie

    „Thomas Mann – Werk und Zeit“

    Es gibt schon Tausende Veröffentlichungen rund um Thomas Mann – allerdings noch keine wie diese. Dieter Borchmeyers monumentaler Band „Werk und Zeit“ (Insel Verlag, 58 Euro) ist nach eigenen Angaben „wohl die erste wirklich umfassende“ Darstellung des Gesamtwerks. Borchmeyer, 1941 in Essen geboren und Professor emeritus der Heidelberger Universität, hat keine Biografie im Sinn. Gleichwohl stellt er das umfangreiche Werk immer wieder in Bezug zur Person des Autors und seiner Zeit. Die Spanne reicht vom Prosastück „Vision“, das Thomas Mann 1893 in der Schülerzeitschrift „Der Frühlingssturm“ veröffentlicht hat, bis zum „Versuch über Schiller“ von 1955. Nicht zuletzt der politische Wandel des Autors, vom Kaisertreuen zum Demokraten, wird rund um die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918) auf spannende Weise deutlich gemacht.

    Es ist ein lehrreiches Vergnügen, mit Dieter Borchmeyer durch Thomas Manns Veröffentlichungen zu blättern. Er erläutert die Haupt- und Nebenströme mit der Lust eines Fans und der Akribie eines Literaturwissenschaftlers. Ja, das Aufkommen an Fachbegriffen ist nicht gering. Und einige wenige Male erreicht der Hochschullehrer eine erhebliche Satzlänge. Die hätte dem Weltautor aus Lübeck gewiss gefallen. Wir lesen solche Verschachtelungskunst als Ausdruck von Borchmeyers immensem Wissen um die Details und um das Großeganze.

    Die Tiefenschärfe der Untersuchung ist enorm. Allein der „Zauberberg“ (1924) kommt auf 120 Seiten – von insgesamt 1552 Seiten. Dort und überall bleibt Borchmeyers Deutung dicht am Text. Aber selbstverständlich flicht er die Rezeption ein, die Forschung und die Kritik. Nicht zuletzt zitiert er Thomas Mann selbst, der zumal in „On Myself“ (1940) die Einordung in eigener Sache vollzogen hat. Dabei ist klar, dass ein Autor nicht prinzipiell der beste Exeget seiner Kunst ist. Da haben andere – beispielsweise Germanisten – womöglich einen besseren Überblick.  

    Es ist schön, Thomas Mann zu lesen. Und noch schöner ist die Lektüre, wenn man um all die vielen Anspielungen und Subtexte weiß, um die Leitmotive und Nebenlinien, um die Einflüsse von Goethe und Wagner, um die Entstehung und Aufnahme der Werke. Dafür sorgt Dieter Borchmeyer. Er ist ein Cicerone, der die Leserinnen und Leser souverän und faszinierend durch den Werkkosmos des Thomas Mann geleitet. (M. Oe.)

Ausstellung

„Buddenbrooks im Behnhaus“, Museum Behnhaus Drägerhaus, Di – So von 10 – 17 Uhr. Bis 31. 12. 2022.

Unsere Abbildung

am Kopf des Beitrags zeigt eine Fassadenverkleidung am im Umbau befindlichen Buddenbrookhaus.

Dieter Borchmeyer: Thomas Mann – Werk und Zeit, Insel, 1552 Seiten, 58 Euro. E-Book: 49,99 Euro.

Thomas Mann: „Buddenbrooks“, S. Fischer, 848 Seiten, 14 Euro. E-Book: 1,99 Euro.

2 Gedanken zu “Mann-o-Mann (1): Buddenbrookhaus in Lübeck wird neu aufgestellt und Dieter Borchmeyer errichtet ein Thomas-Mann-Monument

  1. Höchst interessant und spannend, was aus dem Buddenbrooks-Haus wird – irgendwann einmal.
    Danke aber auch für die ausführliche und erläuternde Darstellung des gesamten „Vorgangs“..

    Gefällt 1 Person

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