„Es gibt keine andere Möglichkeit als zu gewinnen“: Frankfurter Buchmesse überlässt der Ukrainerin Olia Zhuk ihren Instagram-Account

Instagram-Account der Frankfurter Buchmesse mit der Ankündigung der befristeten Übernahme durch Olia Zhuk. Screenshot: Bücheratlas

Die Frankfurter Buchmesse hat ihren Instagram-Account für zwei Tage an die Ukrainerin Olia Zhuk übergeben. Der Takeover begann am Mittwoch um 12 Uhr und endete am Donnerstag um 18 Uhr, währte also 30 Stunden. „Damit wollen wir Olia Zhuk als wichtige Stimme unter Kulturschaffenden in der Ukraine mehr Reichweite verschaffen“, erklärte die Buchmesse. Olia Zhuk ist stellvertretende Direktorin für Zeitgenössische Kunst und Museumsangelegenheiten im Mystetskyi Arsenal Museum in Kiew. Aus ihren englischen Posts führen wie hier einige Passagen auf Deutsch an. Die kompletten, deutlich längeren Texte gibt es – wie gesagt – auf dem Instagram-Account der Frankfurter Buchmesse.


Erster Post: Bücherfest im Mai

Um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, wie optimistisch wir trotz der schrecklichen Schäden in unseren Städten und trotz der Todesopfer sind: Vor einigen Tagen haben mich ukrainische Verleger gefragt, ob wir das Arsenal Book Festival wie geplant Ende Mai veranstalten werden. Es mag nach schwarzem Humor klingen, ist es aber nicht. Wir meinen es verdammt ernst! Es gibt keine andere Möglichkeit als zu gewinnen.

Zweiter Post: Das Gefühl, eine Zielscheibe zu sein

Neurowissenschaftler sagen, dass es 21 Tage dauert, um eine Gewohnheit zu entwickeln. Das stimmt nicht wirklich. An monotones Sirenen- und Warnsignal und an harte körperliche Bedingungen kann man sich gewöhnen, aber nicht an das ständige Gefühl, eine Zielscheibe zu sein.

Dritter Post: Solidarität und Empathie

Die französische Philosophin Simone Weil schrieb in ihrem Fabriktagebuch: „Das Böse ist in unserer Vorstellung romantisch und vielfältig; das Böse in der Realität ist düster, eintönig, öde, langweilig. Das Gute in unserer Vorstellung ist langweilig; das Gute in der Realität ist immer neu, wunderbar, berauschend.“ Heute lernen wir die „Banalität des Bösen“, wie es Hannah Arendt formuliert hat, zu erkennen und in unserer Solidarität und Empathie kreativ zu sein.

Vierter Post: Heimat ist Frieden

Hallo, es ist der 29. Tag des russischen Krieges in der Ukraine. Fast einen Monat lang Bombardierungen, Schlafentzug und immer einsatzbereit gekleidet sein. Das gilt für die meisten Ukrainer. Meine Kollegen arbeiten und schreiben oft an internationale Freunde, antworten internationalen Journalisten aus unterirdischen Schutzräumen. Eine der häufigsten Fragen, die wir beantworten, lautet: „Warum verlassen Sie die Ukraine nicht?“. Weil hier (…) viele Menschen immer noch denken, dass „Frieden ist, wenn man zu Hause bleibt“. Unsere Häuser sind die letzte Verbindung zu unserem Verständnis von Frieden – sogar mitten im Krieg.

Fünfter Post: Klarheit durch Literatur

Die Stimmen der Schriftstellerinnen und Schriftsteller bringen mehr Facetten und gleichzeitig mehr Klarheit in unser Verständnis der komplexen Realität. Unterstützen Sie die Ukraine durch die Veröffentlichung ukrainischer Autoren!

Sechster Post: Haus der Schriftstellerinnen und Schriftsteller

Am 7. März beschädigte eine russische Bombe in Charkiw das berühmte Haus der Schriftstellerinnen und Schriftsteller (bekannt als „Slovo“), ein nationales Kulturerbe und eine wichtige Gedenkstätte. In den 1930er Jahren wurde es von vielen prominenten ukrainischen Autoren bewohnt – darunter Volodymyr Sosyura, Mykola Kulish, Pavlo Tychyna, Ivan Bagryany und Mike Johansen. Bis 1938 hatten die sowjetischen Behörden die Bewohner aus 40 der 64 Wohnungen des Gebäudes festgenommen. Diese Tragödie ist Teil unserer kollektiven Erinnerung an die Vernichtung der ukrainischen Kultur durch die Politik der stalinistischen sowjetisch-russischen Führer. Der Name dafür: hingerichtete Wiedergeburt (Executed Renaissance). Bedenken Sie – die ganze Generation von Schriftstellern wurde getötet, bedenken Sie, was diese Lücke für die nationale Literatur bedeutet. Jetzt wurde derselbe Ort zur Zielscheibe, was durchaus symbolisch erscheint und zeigt, dass sich in den vergangenen hundert Jahren nichts an der menschenverachtenden russischen Herrschaftsideologie geändert hat.

Siebter Post: Eine andere Klanglandschaft

(Zu einer Infografik der Künstlerin Nadja Kelm über die Zahl der Luftalarme in Kiew in jüngster Zeit:) Es ist wie eine schlechte Lotterie – man weiß nie, wo genau sie treffen werden. Diese Geräusche, manchmal mit anschließenden Explosionen, sind monoton und furchterregend. Seit Russland einen umfassenden Krieg in der Ukraine begonnen hat, schickte es uns mehr als 1100 Raketen. Wir wollen eine andere Klanglandschaft.

Achter Post: Der Krieg hat kein Herz

„The War That Changed Rondo“ ist ein ukrainisches Buch darüber, dass der Krieg kein Herz hat, dass er uns alle betrifft und dass er bei allen Narben hinterlässt. Dieses Buch ist eine Gelegenheit für nachdenkliche Gespräche mit Kindern (oder mit sich selbst) darüber, was heute im Land oder anderswo auf der Welt passiert. (…) „The War That Changed Rondo“ von Romana Romanyshyn und Andriy Lesiv (@art_studio_agrafka Agrafka) ist heute eines der beliebtesten ukrainischen Bücher der Welt.

(M. Oe.)

Auf diesem Blog

findet sich ein Beitrag über eine Solidaritätsveranstaltung der Kölner Literaturszene mit der Ukraine – und zwar HIER. Unter dem Stichwort Ukraine öffnen sich noch weitere Artikel, in denen Russlands Einmarsch in die Ukraine zur Sprache kommt. Etwa auch anlässlich einer Lyrik-Aktion des Trakl-Hauses in Salzburg – das gibt es HIER.

Der Link

http://www.instagram.com/buchmesse

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