
Ein Gedicht hat noch keinen Krieg verhindert oder gar beendet. Aber wenn man keine andere Chance hat, dann muss man auch diese nutzen. In Salzburg, wo der österreichische Dichter Georg Trakl 1887 geboren wurde, gibt es einen frischen Aushang im Schaukasten der Georg-Trakl-Forschungs-und-Gedenkstätte, die sich am Waagplatz befindet. Dort ist das Gedicht „Die Schwermut“ zu lesen, das 1914 entstanden ist. Und zu lesen ist es nicht nur auf Deutsch, sondern auch, dafür wurde aus aktuellem Anlass gesorgt, in russischer und ukrainischer Übersetzung.
Es herrscht Krieg. Und wir sind mittendrin. In der ersten Strophe öffnet sich „ein dunkler Mund“ und stirbt ein Dorf „in braunen Bildern“; in der zweiten treten Soldaten auf und „vom Hügel, wo sterbend die Sonne rollt / stürzt das lachende Blut“; in der dritten Strophe schließlich herrscht kühle Herbstesnacht über „zerbrochenem Männergebein“.

Es ist ein Anti-Kriegs-Gedicht über den Schrecken, den Trakl hautnah erlebte, nachdem er sich im ersten Weltkriegsjahr 1914 freiwillig für den Dienst in der österreichisch-ungarischen Armee gemeldet hatte. Als Apotheker war er abkommandiert, nach der Schlacht von Grodek in der heutigen Ukraine rund 90 Schwerverletzte zu versorgen – allein auf sich gestellt und ohne ausreichende Medizin, zumal ohne Narkosemittel. Nach zwei Tagen der Hilflosigkeit inmitten des Schmerzes und des Sterbens erlitt der „Medikamentenakzessist“ einen Nervenzusammenbruch. Ein Selbstmordversuch mit der Waffe scheiterte, ein Fluchtversuch ebenso. Georg Trakl wurde ins Krakauer Militärhospital eingeliefert. Dort starb er am 3. November 1914 an einer Überdosis Kokain.
Dieser dreisprachige Gedichtaushang, zufällig entdeckt am Tag der russischen Invasion in die Ukraine, ist nur eine Beobachtung am Rande. Es ist der Versuch, nicht sprachlos zu bleiben, wenn einem die Worte fehlen.
Martin Oehlen
Die Schwermut
Gewaltig bist du dunkler Mund
Im Innern, aus Herbstgewölk
Geformte Gestalt,
Goldner Abendstille;
Ein grünlich dämmernder Bergstrom
In zerbrochner Föhren
Schattenbezirk;
Ein Dorf,
Das fromm in braunen Bildern abstirbt.
Da springen die schwarzen Pferde
Auf nebliger Weide.
Ihr Soldaten!
Vom Hügel, wo sterbend die Sonne rollt
Stürzt das lachende Blut –
Unter Eichen
Sprachlos! O grollende Schwermut
Des Heers; ein strahlender Helm
Sank klirrend von purpurner Stirne.
Herbstesnacht so kühle kommt,
Erglänzt mit Sternen
Über zerbrochenem Männergebein
Die stille Mönchin.
Die Georg-Trakl-Forschungs-und-Gedenkstätte befindet sich in Salzburg am Waagplatz 1A (Durchgang zur Stiege II).