Auf den Spuren von Gustave Flaubert (2): Am Strand von Trouville-sur-mer findet der 15-Jährige seine unmögliche Liebe – und das auf den ersten Blick

Gustave Flaubert wurde vor 200 Jahren, am 12. Dezember 1821, in Rouen geboren. Einigen seiner Spuren sind wir in der Normandie nachgegangen. Nicht vergessen wollen wir, dass er sich immer wieder einmal in Paris aufgehalten hat – in der Rue Dauphin, am Boulevard du Temple, im Faubourg Saint-Honoré. Doch sein Zentrum blieb der küstennahe Westen. Nach dem Start in seiner Geburtsstadt Rouen geht es diesmal nach Trouville-sur-mer und demnächst nach Croisset.

Der Strand von Trouville-sur-mer. Wer hier einen rot gestreiften Bademantel findet, darf sich auf einiges gefasst machen. Foto: Bücheratlas

Liebe auf den ersten Blick – die erfährt Gustave Flaubert als 15-Jähriger im August 1836 in Trouville. In dem Seebad, gleich gegenüber von Deauville gelegen, macht die aus Rouen stammende Arztfamilie Flaubert gerne Urlaub. Eines Tages entdeckt der promenierende Gustave am Strand einen rot gestreiften Bademantel, der auf dem Sand liegt und von der herannahenden Flut bedroht wird. Gustave greift zu und bringt das Kleidungsstück in Sicherheit. Als sich die Besitzerin bald nach dieser Heldentat bei ihm bedankt, ist er wie vom Donner gerührt.

In den autobiographischen „Memoiren eines Irren“ von 1838, die erst posthum veröffentlicht werden, schreibt Flaubert über seine himmlische Maria: „Was für ein Blick! – wie schön war diese Frau! – ich sehe noch die feurigen Augen unter den schwarzen Brauen, auf mich geheftet wie eine Sonne. Sie war groß, brünett, mit herrlichem schwarzen Haar, das ihr in Flechten herabfiel auf die Schultern; die Nase war griechisch, glühend der Blick, die Brauen hoch und wundervoll geschwungen; ihre Haut war feurig und wie von samtigem Gold, sie war fein und erlesen, man sah azurblaue Adern sich schlängeln auf diesem bräunlich-purpurnen Busen.“  So geht es eine Weile weiter. Kurzum: „Ich war starr vor Staunen, als wäre Venus herabgestiegen von ihrem Sockel und wandle dahin.“ Aber ach, Madame ist nicht nur deutlich älter als Gustave, sondern auch noch vergeben.

An der Promenade von Trouville wird an Gustave Flauberts Liebe zu Elisa Schlésinger erinnert. Foto: Bücheratlas

Ewiglich wird sich Gustave Flaubert nach der elf Jahre älteren Elisa Schlésinger (zu Anfang noch: Foucault) verzehren. Sie findet Eingang in das bereits erwähnte Jugendwerk „Memoiren eines Irren“ („Mémoires d’un fou“), dann auch im offiziellen Debüt „Madame Bovary“ und in „Lehrjahre der Männlichkeit“ („L’Éducation sentimentale“). Sämtliche Romane liegen in neuen Übersetzungen von Elisabeth Edl bei Hanser vor.  

Es bleibt eine unerfüllte Liebe. Dennoch ist Elisa Schlésingers Bedeutung für Flaubert bestimmend, wie Wolfgang Matz im Nachwort zu den „Memoiren eines Irren“ schreibt: „Sie wurde zum Kristallisationspunkt seiner eigenen Lehrjahre der Männlichkeit. An ihr entzündete sich sein lebenslanges Wunschbild weiblicher Erotik, vor allem jedoch die so typische Vorstellung der unmöglichen Liebe.

An die Blitzschlag-Begegnung zu Trouville erinnert eine Statue in der Nähe des Casinos. Flauberts Blick geht dorthin, wo einst das Hotel Bellevue stand, in dem Elisa Schlésinger mit Mann und Kind zuweilen logierte. Mit einigem Stolz ist am Fuße des Denkmals vermerkt, dass Flaubert „seine stärksten emotionalen und ästhetischen Eindrücke in Trouville gewonnen“ habe. Was die Emotionen betrifft, so kann das schon stimmen.

Im fortgeschrittenen Alter, an einem Mittwochabend im September 1871, schreibt er an Elisa Schlésinger, dass der Strand von Trouville „für mich immer die Spur Ihrer Schritte tragen wird.“ Die Briefauswahl, die Cornelia Hasting für den Dörlemann-Verlag besorgt hat, liefert einige Beispiele für diese lebenslange Liebe. Darin wird Flaubert nicht müde, seine Zuneigung zu bekunden. Elisa bleibt für ihn: „meine immer Geliebte“.  

Martin Oehlen

Der erste Teil unserer Reise zu Flaubert führte nach Rouen, was HIER nachgelesen werden kann.

Auf diesem Blog findet sich eine Besprechung von Elisabeth Edls Neuübersetzung der „Lehrjahre der Männlichkeit“ genau HIER; außerdem haben wir bereits Michael Winocks starke Flaubert-Biografie HIER gewürdigt. Beide Werke erscheinen im Hanser-Verlag.

Neuerscheinungen

Gustave Flaubert: „Memoiren eines Irren“, dt. von Elisabeth Edl, Hanser, 240 Seiten, 28 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

Gustave Flaubert: „Ich schreibe gerade eine kleine Albernheit – Ausgewählte Briefe 1832-1880“, hrsg. und übersetzt von Cornelia Hastings, Dörlemann, 320 Seiten, 27 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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