Die Wiederentdeckung des Manuel Chaves Nogales: Werkausgabe startet mit „Ifni – Spaniens letztes koloniales Abenteuer“ im Kupido-Verlag

Marokko im vergangenen Jahrhundert: Manuel Chaves Nogales schildert beobachtet dort Spaniens Sicherung seiner kolonialen Eroberung. Foto: Bücheratlas

Manuel Chaves Nogales, 1897 in Sevilla geboren und 1944 in London gestorben, schreibt im April 1934: „Ich habe nicht das Zeug zum Helden.“ Das mag schon sein. Aber bänglich war der Journalist gewiss nicht. Tatsächlich wirkt der Spanier zuweilen äußerst kühn, wenn es darum geht, eine gute Geschichte zu recherchieren. Bestes Beispiel dafür sind die vielen Bruchlandungen, die er als Flugpassagier überlebt hat. Eine davon sorgte im Jahre 1934 für einige Unannehmlichkeiten in Marokko.

Bruchlandung war „ein mordsmäßiger Hieb“

Der Dienstunfall – „ein mordsmäßiger Hieb“ – ereignete sich, als Nogales die militärische Sicherung der spanischen Enklave Ifni beobachten wollte. Seine Reportage-Reihe über „Spaniens letztes koloniales Abenteuer“ erschien dann auch in der Tageszeitung „Ahora“, deren stellvertretender Direktor er war. Doch zunächst meldete das Blatt am 17. April den Unfall: Während des Flugs habe die Tanknadel plötzlich „leer“ angezeigt (was sich später als Tanknadel-Defekt erweisen sollte). Daher setzte der Pilot zur Notlandung am Strand bei Agadir an, bei der das Fahrwerk kollabierte. „Ahora“ bat die Leserschaft um Nachsicht: „Unsere Berichterstattung wird sich deshalb geringfügig verzögern.“

Als „embedded journalist“ war Nogales mit den spanischen Truppen in Nordafrika unterwegs. Am 22. April 1934 schreibt er: „Überraschend erhalte ich vom Oberst die Genehmigung, mich der Kolonne anzuschließen, die in zwei Stunden aufbrechen wird, um den südlichen Teil des Territoriums zu besetzen.“  Dabei hegt der Linksliberale und Antifaschist keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inbesitznahme. Er verweist stattdessen auf über 400 Jahre alte Ansprüche auf das wüstenkarge Territorium. Die müssten durchgesetzt werden: „Pazifismus hin oder her.“

„Was ist mit Deutschland?“

Lebendig und selbstbewusst geht der Autor Nogales ans Werk: „Wendet euch an mich, ich weiß, worüber ich schreibe.“ Allerdings ist seine Perspektive keine unparteiische, sondern eine spanische. Und sein Blick auf die Einheimischen ist – wie könnte es anders sein – zeitgebunden. Herablassend äußert er sich etwa über einen einheimischen Anführer, den er als „Blauen Sultan“ vorstellt und der auf ihn mit seinen „kurzen, unter den blauen Ballon seines Bauches gekreuzten Beinchen wie ein Bilderbuchschurke“ wirke. Allerdings ist der „Blaue Sultan“, das wird aus Nogales‘ Reportage deutlich, auf der Höhe der Zeit. So fragt der Berber den Spanier fünf Jahre vor Hitlers Überfall auf Polen: „Und in Europa wird niemand einen Krieg anzetteln? Was ist mit Deutschland?“

Mit diesen Reportagen aus Ifni beginnt der Kölner Kupido Verlag von Frank Henseleit die Herausgabe der Werke von Manuel Chaves Nogales. Der Journalist hatte sich auch als Schriftsteller einen Namen gemacht. Allerdings ist sein Name bald schon vergessen worden. Auch weil er als Gegner des Franco-Regimes totgeschwiegen wurde. Nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs floh Nogales 1936 erst nach Frankreich, dann dort 1940 vor den Nazis weiter nach England.   

Rarität und Reiz

Manuel Chaves Nogales wieder ins Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit zu heben, auch jenseits von Spanien, ist das Ziel von Kupido. Den Verlag gibt es bereits seit 1996. Doch erst seit dem vergangenen Jahr ist seine Stimme deutlich vernehmbar geworden. Da machte der Übersetzer Frank Henseleit Ernst – mit einem ambitionierten und dichten Programm. Aktuell liegen elf Titel vor. Allemal geht das Interesse in den iberischen und arabischen Raum. Das sind gewiss keine Angebote, die zwingend auf einer Bestsellerliste landen werden. Aber es sind Bücher, die in spannende Winkel der Literatur leuchten.

Der Band „Ifni“ ist dafür in jeder Hinsicht ein gutes Beispiel. Rarität und Reiz  des Textes kommen hier ebenso zusammen wie die verlegerischen Interessensphären Spanien und Arabien. Die Emphase, mit der Nogales in die Tasten gehauen hat, findet eine deutliche Entsprechung in der Aufmachung der deutschsprachigen Ausgabe. Die Gestaltung ist innen wie außen attraktiv – der Halbleineneinband mit Lesebändchen, die Bebilderung, der Abdruck des „Ahora“-Zeitungskopfes mit Datum zu Beginn eines jeden Kapitels.

Vergleiche mit Viktor Klemperer und Thomas Mann

Auch nimmt Herausgeber Frank Henseleit in seinem Vorwort mächtig Fahrt auf. Er vergleicht Manuel Chaves Nogales unter anderem mit

  • Viktor Klemperer (aufgrund der „Integrität und Scharfsinnigkeit“ in den 1930er und 1940er Jahren),
  • Fernando Pessoa (aufgrund der „späten Wiederentdeckung für die literarische Welt“),
  • Truman Capote (aufgrund des modellhaften Non-Fiction-Romans „Juan Martínez“) und
  • Thomas Mann (aufgrund der Radiobeiträge zu Kriegszeiten).

„Ifni“ ist erst der Anfang. Dreizehn weitere Bände sollen folgen. Darunter „Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes“ und die preisgekrönte Reportage über „Die Ankunft der Ruth Elder“, der amerikanischen Flugpionierin, die 1927 europäisches Festland angesteuert hatte, aber auf Höhe der Azoren notwassern musste. Im Rahmen des erzählerischen Werks locken „Die verliebte Bolschewikin“, die fiktive Autobiographie „Leben und Großtaten des Toreros Juan Belmonte – von ihm selbst erzählt“ und „Die Erinnerungen des Meistertänzers Juan Martínez, der dabei war“.  

Das Ende von Spaniens letztem kolonialen Abenteuer hat Manuel Chaves Nogales übrigens nicht mehr erlebt. Ifni wurde erst 1969 an Marokko zurückgegeben.  

Martin Oehlen

Manuel Chaves Nogales: „Ifni – Spaniens letztes koloniales Abenteuer“, hrsg. und übersetzt von Frank Henseleit, Kupido Verlag, 160 Seiten, 24,80 Euro.

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