„Von Kölle lernen“: Ulla Hahn spricht in der Literatur-in-Köln-Reihe über ihr Interview mit Wolfgang Overath, ihren Sehnsuchtsort und die Heimat in der Sprache

Da steht noch ein Paar Schuhe am Rhein: Ausstellungsstück im rekonstruierten „Leseschuppen“ in Monheim am Rhein, gleich neben dem Haus, in dem Ulla Hahn aufgewachsen ist. Foto: Bücheratlas

Gleich zwei Sehnsuchtsorte hat Ulla Hahn, die 1945 in Brachthausen im Sauerland geboren wurde und in Hamburg lebt. Der eine ist Monheim, wo sie aufgewachsen ist, und der zweite ist Köln, nur ein paar Kilometer rheinaufwärts. „Sobald der Zug aus dem Norden über die Deutzer Brücke rollt und ich die zwei Zacken des Doms und den eckigen Kopf von Groß St. Martin sehe, stellt sich diese Erregung ein, wie beim Wiedersehen mit einem geliebten Menschen.“ Dann sei es wieder da: „dieses Leben im Augenblick, das ich nirgends so verspüre wie in dieser Stadt, diese lebende Zuversicht.“

„Kapott, en neu“

So sagt es die Schriftstellerin, von der zuletzt der Gedichtband „stille trommeln“ erschienen ist, im sechsten Band der kleinen-feinen Schriftenreihe des Literatur-in-Köln-Archivs der Stadtbibliothek Köln. Diese wird von Gabriele Ewenz, der Leiterin des Archivs, herausgegeben und erscheint im Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner. Zuletzt ging es dort in Band 5 um „Heinrich Böll und die Bildende Kunst“. 

Die Entschiedenheit, mit der Ulla Hahn nun im Gespräch mit Gabriele Ewenz zum Lobe Kölns anhebt, ist enorm. Zwar merkt sie kritisch an, dass es „ein bisschen viel Fastelovend das ganze Jahr hindurch“ gebe. Auch stellt sie fest, dass die Stadt nicht die sauberste sei – wobei sie den Einwand sogleich mit dem Hinweis relativiert, dass wohl auch andere Großstädte dieses Problem kennen. Doch viel lieber rühmt sie die Kirchen im „hilije Kölle“, die rheinische Toleranz („Jeck loss Jeck elans“), den Klüngel („dieses verschmitzte Manövrieren nach eigenem Gutdünken“), das Kölsch vom Fass, „decke Bunne met Speck“, die Heiterkeit und vor allem die Mundart. Ihre Köln-Hymne endet in der überraschenden Losung „Von Kölle lernen“: „Von seiner tapferen, zuversichtlichen Geschichte. Nichts lässt sich festhalten für immer. That’s life. Kapott, en neu. Oder wie es in der letzten Zeile eines meiner Gedichte aus ‚stille trommeln‘ heißt: ‚Die Welt hört nicht auf zu beginnen.‘ Lommer jonn!“

„Tot auf dem Weiher“

Ulla Hahn ist in ihrem Roman „Spiel der Zeit“ aus dem Jahre 2014, der zur autobiographischen Tetralogie um ihr Alter Ego Hilla Palm gehört, ausführlich auf ihre Köln-Erfahrungen in den 60er Jahren eingegangen. Darauf verweist sie auch im Gespräch und erinnert an ihre sehr kurze Karriere als Sportjournalistin. Da stieg sie beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ gleich hoch ein. Denn als erster Auftrag stand für die Seiteneinsteigerin, so ist hier zu lesen, ein Interview mit Mittelfeld-Legende Wolfgang Overath auf dem Redaktionsplan. Dass ihr Tonband aussetzte und dass der Artikel nicht gedruckt wurde – das war der Stress von damals. Heute hingegen ist diese Anekdote bester Lesestoff.

Statt des Star-Interviews sei dann, so lässt sie wissen, ein Bericht über tote Schwäne am Aachener Weiher ihr Einstiegs-Artikel gewesen. Dass es tatsächlich nicht der Aachener Weiher, sondern der Decksteiner Weiher war, tut nichts zur Sache. Auch ist es vermutlich nicht der erste Artikel gewesen, denn eine einschlägige Archivkarte verweist auf fünf Artikel unter ihrem Namen, die vor dem Schwanen-Beitrag vom 18. Mai 1971 erschienen sind. Der Bericht „Tot auf dem Weiher“ ist überschrieben mit der Zeile: „Unglaubliche Rohheit in den Anlagen: Unbekannte brachten brütende Schwäne um.“ Einen Auszug gibt es am Ende dieses Beitrags.

„Heimat, die einem keiner streitig machen kann“

Von der Sprache im Allgemeinen und der Mundart im Besonderen handelt der Essay, der diesen Band dominiert. Dabei handelt es sich um die erweiterte und überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Ulla Hahn im Jahre 2019 anlässlich der Verleihung der Humboldt-Professur an der Universität Ulm gehalten hat. Ihr Gedankengang wird befeuert von Martin Heideggers Satz „Die Sprache ist das Haus des Seins“. Und er läuft in einigen Schwüngen auf die Erkenntnis hinaus, dass Heimat Sprache sei: „Heimat, die einem keiner streitig machen kann. Nicht einmal eine Diktatur.“

Zwar spreche sie das „Monnemer Platt“ mittlerweile eher wie eine Fremdsprache, räumt Ulla Hahn in diesem Zusammenhang ein. „Zu meiner rheinischen Färbung allerdings stehe ich, wobei die sich mir erst in Hamburg wieder auf die Zunge gedrängt hatte, zu meinem eigenen Erstaunen und zur Freude meines Mannes, met dem isch jelentlisch op Kölsch kalle / dem ich gelegentlich mit Kölsch komme.“

Eine Trias wie bei Böll

Eine finale Einordnung von Gabriele Ewenz zu Essay und Interview rundet den Band ab. Da geht es um Heimat und Heimatverlust und die Parallelen zu Heinrich Böll, den Ulla Hahn nur einmal bei einer gemeinsamen Lesung getroffen hat. Die Autorin habe ähnlich wie Böll im Rheinland und besonders in Köln viel „Material“ gefunden, schreibt Ewenz, das sie in ihren literarischen Texten verwenden konnte: „Heimat, Sprache und Literatur bilden auch hier wie in den Werken Bölls eine Trias.“

„Wie die Steine am Rhein“ ist Kölnerinnen und Kölnern zu empfehlen, die ihre Stadt schätzen, und erst recht jenen, die an ihr zweifeln und verzweifeln. Darüber hinaus werden hier auch alle Literaturliebenden, die Ulla Hahns Schreiben verfolgen, gerne zugreifen.   

Martin Oehlen

Auszug aus Ulla Hahns Artikel „Tot auf dem Weiher“, erschienen unter dem Namen Ursula Hahn am 18. Mai 1971 im „Kölner Stadt-Anzeiger“:

„Zwei Tierpfleger im äußeren Grüngürtel wagten gestern morgen gegen sieben Uhr kaum ihren Augen zu trauen: Zwei Schwäne schwammen auf dem Decksteiner Weiher, doch nicht wie sonst, in majestätischer Schönheit – die Schwäne waren tot. Wenig später bestätigte sich die unheilvolle Ahnung des Kahnfahrers, der die Tiere unverzüglich an Land brachte: Die Schwäne waren keines natürlichen Todes gestorben. Menschen hatten ihnen die Hälse umgedreht.“

Es folgt eine detaillierte Beschreibung des möglichen Tathergangs. Dann, einige Absätze weiter, das Finale: „Mit diesem Schwanenpaar haben die Kölner die ältesten und anhänglichsten Schwäne verloren. Vor drei Jahren suchte sich das Paar den Decksteiner Weiher als Nistplatz aus, seitdem war es ihm treu geblieben. Fernsehzuschauer aus ganz Deutschland konnten das Schwanenpaar bewundern, als es am 19. April dieses Jahres noch in ruhiger Gelassenheit seine Runden vor der Kamera zog. ‚Mariechen saß weinend am Strande‘ war der Titel der humoristischen Sendung, heute, fast einen Monat später, ist wirklich Grund zum Weinen. Mit Bestürzung stehen Tierpfleger und Tierfreunde vor dieser Tat.“

Auf diesem Blog finden sich einige Beiträge zu (und in einem Falle auch: von) Ulla Hahn, die sich über die Suchmaske leicht auffinden lassen.

Zuletzt haben wir eine Besprechung ihres Gedichtbandes „stille trommeln“ veröffentlicht – und zwar HIER.

Ein Besuch im Ulla-Hahn-Haus in Monheim ist HIER nachzulesen.

Aus der lik-Reihe haben wir zuletzt den Band 5 über „Heinrich Böll und die Bildende Kunst“ HIER vorgestellt.

„ … wie die Steine am Rhein – Über Geborgenheit, Heimat und Sprache – Ulla Hahn“, herausgegeben von Gabriele Ewenz, Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner, lik 6, 96 Seiten, 16,80 Euro.

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