Von Monheim bis in die Tiefen des Universums: Ulla Hahn stellt in „stille trommeln“ neue Gedichte aus 20 Jahren vor

Am Rheinufer in Monheim, wo Ulla Hahn einst die Steine titschen ließ. Foto: Bücheratlas

Das waren noch Zeiten, als Ulla Hahn in Gestalt ihrer Romanheldin Hilla Palm gemeinsam mit dem Großvater die Steine am Rhein bei Monheim titschen ließ. Einmal, zweimal, sieben Mal. Wie das damals in „Monnem“ war und wie es danach weiterging, hat die in Hamburg lebende Schriftstellerin Ulla Hahn in vier autobiographischen Romanen erzählt. Während dieser Prosajahre schien die Lyrik, mit der sie einst bekannt geworden ist, vorneweg mit dem Band „Herz über Kopf“ von 1981, in den Hintergrund gerückt zu sein.

„Was die für ein Mensch ist“

Doch das sah nur aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit so aus. Tatsächlich ließen die Verse nie locker. Was in der Romanphase entstanden ist, legt Ulla Hahn nun in „stille trommeln“ vor. In den „neuen Gedichten aus zwanzig Jahren“ geht es auch ums „Titschen“: „Jetzt / lassen wir aber mal so richtig die Silben / titschen wie die Steine aus Großvaters Handgelenk.“

Der Band ist eine Fundgrube. Vielfarbig und gut gefüllt. Da geht es allemal um „U. H.“ herself: „Was die für ein Mensch ist / wie gut ich sie kenne und / ob sie mir antworten wird / wenn ich sie frage / Woher ich komme / Wohin ich gehe / Wie lange noch“. Weiter wird das ureigene Metier erkundet, „diese unendliche Fülle der / sechsundzwanzig Buchstaben“, das Dichten in vielerlei Facetten. Dann ist, gar nicht sentimental, von der Endlichkeit die Rede, dass also „der Pflücker“ keinen vergessen werde. Auch die Musik spielt eine Rolle. Weil Ulla Hahn Erfahrungen als Librettistin sammeln konnte. Aber ebenso, weil im Gedicht Wort und Klang zusammengehören: „Klangkörper“.

„Astronomen und Dichter“

Schließlich und intensiv geht es Richtung Unendlichkeit. Die bibelfeste Ulla Hahn erläutert im ausführlichen Nachwort, dass sie sich mit erhellender Schockwirkung lesend und forschend auf astronomische Phänomene eingelassen habe – buchstäblich beginnend mit dem Urknall. Davon zeugen nun mehrere Gedichte. Die Schriftstellerin plädiert für eine Kooperation von Kunst und Wissenschaft: „Astronomen und Dichter: / zwei Verrückte hinter / der Unendlichkeit her / dem Großen Unbekannten / auf der Spur/ der hinter Milliarden von / Sternbildern kauert / kichert / wie in einem / Bilderrätsel Silbenrätsel Zahlenspiel / mit allen Wunder / wassern gewaschen.“

Wie es sich für eine Fundgrube gehört, gibt es auch überraschende Raritäten. Zum einen ist dies ein Gedicht in Mundart, die bei ihr bislang nur in der Roman-Tetralogie vorgekommen ist: „Bis hück han isch misch / dat nit jetraut / en Jedischt in minger Moddersproch“. Zum anderen ist es ein Frühwerk, das sie im Keller ihres Bruders wiedergefunden hat. Auf der Rückseite eines Flugblatts gegen Mietpreiswucher hatte sie 1973 die „Bitten an Abel“ formuliert. Es ist ein Aufruf zur allgemeinen Verbrüderung: „Lass deinen Bruder Kain / Zu deinem Hüter werden / Bleibe du der seine.“

„Loben will ich“

Die Lyrik der Ulla Hahn sucht nicht das Rätsel, sondern will verständlich sein. Die Texte zu lesen ist im besten Sinne unterhaltend. Auch weil der Humor immer wieder aufblitzt. So wird behauptet, „im Gedicht ist der ernsthafte Mensch / zu“ – und dann steht da eben nicht die Vokabel „Haus“, sondern ist ein entsprechendes Piktogramm aus acht Strichen zu sehen. Wie kriegt man das nochmal hin, ohne den Stift abzusetzen? Egal. Wo waren wir stehen geblieben? Hier: So ernsthaft, wie gemeinhin angenommen, geht es in der Lyrik also nicht immer zu. Auch nicht beim Sonett, das „die Schnauze gestrichen voll“ hat, weil es sich reimen soll, aber nicht will.

Ulla Hahns Gedichte sind entschieden auf Lebensbejahung ausgerichtet. Das Glas ist bei ihr nicht halb leer, sondern mindestens zu Dreiviertel gefüllt: „Loben will ich / Preisen will ich.“ Sie sieht bei allem Negativen eben auch das Positive. Sogar sehr deutlich. Das ist erstaunlich aufbauend in Zeiten der verbreiten Übellaunigkeit. Nach der Lektüre der „stillen trommeln“ möchte man sich Ulla Hahn, nehmt alles nur in allem, als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

Ein Gastbeitrag von Ulla Hahn, in dem sie eine Leseempfehlung formuliert, findet sich HIER . Dort sind weitere Links angegeben.

Das Ulla-Hahn-Haus in Monheim stellen wir unter besonderer Berücksichtigung von „Hilla Leseschuppen“ HIER vor.   

Ulla Hahn: „stille trommeln – Neue Gedichte aus zwanzig Jahren“, Penguin Verlag, 206 Seiten, 20 Euro.

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