Wut und Virus: Start der neuen Staffel des Online-Literaturfestivals „Viral“

2020-05-25 (21)

Moderatorin Isabel Wanger mit Quintett: Klinga Tóth, Romana Ganzoni, Bernd Lüttgerding, Adrian Kasnitz und Melanie Katz (von links nach rechts und von oben nach unten). Screenshot: Bücheratlas

„Kurze Texte zur Zeit“ – und zur Zeit ist der Bedarf an solchen Texten ja groß – gibt es in der neuen Staffel des „Viral“-Projekts auf Facebook. Schon in den ersten Wochen des Lockdowns erfreuten zahlreiche Lesungen deutschsprachiger, zumeist junger Autoren im Live-Streaming, frisch und ungeschminkt. Davon war auf dem Bücheratlas mehrfach die Rede war –  unter anderem HIER und HIER und HIER . Nun gibt es eine Variation von „Viral – das Online-Literaturfestival“ in vier Runden und in Zusammenarbeit mit dem Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin. Beim Start dabei: Melanie Katz aus Zürich, Bernd Lüttgerding aus Peine/Brüssel, Adrian Kasnitz aus Köln, Romana Ganzoni aus Celerina in Graubünden in der Schweiz und Klinga Tóth, Stipendiatin in Zug in der Schweiz.

Melanie Katz bot zum Auftakt  „Eine kleine architektonische Skizze des gegenwärtigen Moments“. Damit lieferte sie eine Art Kompendium der pandemischen Phänomene in Westeuropa. Die Dinge, die wir nur allzu gut kennen, wurden da konkret und kompakt auf den Punkt gebracht: Vom Frühling, der wie ein Sommer wirkt, über den Mundschutz und den eingeschränkten Bewegungsraum bis zum „sooo“ romantischen Applaus für die großartigen Helfer. Wer sich in 5000 Jahren für die Ersteinschläge bei der Corona-Krise interessieren sollte, wäre hier an einer sprudelnden Quelle.  

Im nachfolgenden Kurzgespräch mit Moderatorin Isabel Wanger beklagte Melanie Katz, dass sich die Schweiz schon in einer Phase des „Danach“ wähne. Als sei das Virus besiegt. Wenig später bekannte Bernd Lüttgerding, dass er bislang immer auf die Träume gewartet habe, in denen der Lockdown eine Rolle spiele. Nur – da war und ist nichts, an das er sich erinnern könne. Eine Enttäuschung für ihn. Romana Ganzoni empfahl einen „Diskurs des Zweifels und der Ambivalenz“. Wer immer nur Klarheiten postuliere, in Politik und Presse, liege falsch: Es gebe nicht nur Schwarz und Weiß und Ja und Nein. Klinga Tóth schließlich beklagte die politische Engstirnigkeit der Regierung in ihrer ungarischen Heimat.  Auch sexuelle Misshandlungen und die Not der Minderheiten sprach sie an. Kurzum – sie habe „mega-viel Wut“. 

Adrian Kasnitz ist mit dem „Kalendarium“, in dem er regelmäßig seine Zeit-Eindrücke  poetisch fixiert, sowieso schon immerzu im Hier und Jetzt unterwegs. Er präsentierte  unter anderem vier griffige, noch nicht von der Überarbeitung „verschliffene“, also nach des Autors eigener Angabe rohe Texte zum Corona-Dasein. Unter dem Datum des 29. Februar 2020: „Vor lauter Virus mag ich nicht vor die Tür/ Vor lauter Virus sind die Regale leer.“ Zwei Monate später, wir schreiben den 23. April 2020, ist die Psycho-Lage deutlich eskaliert: „Langsam steigt Wirrnis allen zu Kopf“. Das Füllhorn der Möglichkeiten ist weggesperrt. Was das bedeutet? „Manchmal fällt mir nichts Besseres ein,/ als Dir auf den Hintern zu schau’n,/ schöne Welt da draußen,/ natürlich ohne Dich anzufassen.“

Die Moderatorin wirkte besorgt. Wo bleibe denn das Fröhliche? Adrian Kasnitz formulierte eine Entwarnung: „Ich bin schon fröhlicher als meine Texte.“ 

Noch mehr „kurze Texte zur Zeit“ gibt es am Donnerstag.

Martin Oehlen

 

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