Es war „wie im Paradies“: Geschichte der Stadt Köln im Spätmittelalter

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Die insgesamt acht hölzernen Propheten, die um 1440 entstanden sind und die Ratsmitglieder ermahnten, standen einst im Rathaus, in der „camera prophetarum“. Heutzutage erfreuen sie die Besucher im Museum Schnütgen mit Moral und Würde. Einer der Sprüche auf den Banderolen lautet: „Der öffentliche Nutzen ist dem privaten immer vorzuziehen“. Ein anderer: „Es soll keiner aus dem Rat schwatzen“. Schließlich noch diese Empfehlung: „Nimm langsam Rat, dann eile zur Tat“. Foto: Bücheratlas

Den Kölnern wird gemeinhin nachgesagt, einen besonderen Stolz auf ihre Stadt entwickelt zu haben. Woher diese Neigung rühren mag? Einige Anhaltspunkte finden sich in dem jüngsten Werk der auf 13 Bände angelegten „Geschichte der Stadt Köln“. Das widmet sich freilich nicht der kölnischen Gegenwart, sondern dem Spätmittelalter, als die freie Reichsstadt Köln so wohlhabend und mächtig war wie nie zuvor und nie mehr danach. In der Koehlhoffschen Chronik von 1499, einer der ersten Stadtchroniken überhaupt, steht geschrieben: „Collen eyn Kroyn boven allen Steden schoyn.“

Diese Spitzenstellung wird nun, mehr als 500 Jahre später, im Lichte der neuesten Forschung bestätigt: „Köln hatte am Ende des Spätmittelalters den Zenit seines europaweiten Ansehens erreicht.“ So steht es geschrieben im vierten Band der renommierten, von der Historischen Gesellschaft in Auftrag gegebenen Reihe, der den Zeitraum zwischen 1288 und 1513 abdeckt. Der zentrale Eindruck: Es fällt nicht sonderlich schwer, den kölnischen Superlativ anhand der Entwicklung auf vielen Feldern des städtischen Lebens nachzuweisen.

„Ein Werk – dauerhafter als Bronze“

Zum Glück lagen die entscheidenden Quellen bereits in Editionen vor, als das Historische Archiv der Stadt Köln im Jahre 2009 einstürzte. Was selbstverständlich nicht heißt, dass alle Fragen beantwortet werden können. So tappt ziemlich im Dunkeln, wer sich ein Bild über Löhne und Lebenshaltungskosten machen will.

Trotz der prinzipiell günstigen Quellenlage benötigte auch dieser Band mehr Zeit als zunächst veranschlagt worden war. So verstarb Wolfgang Herborn, der auserkorene Autor, im Jahre 2015. Der Historiker und Journalist Carl Dietmar hat daraufhin das Manuskriptfragment übernommen, grundlegend überarbeitet und erweitert; auf ähnliche Weise hatte er schon 2016 den Band 3 über das Hochmittelalter nach dem Tod von Hugo Stehkämper vollendet. Jetzt gilt das vielleicht kürzeste Vorwort der neueren Historiografie, formuliert vom langjährigen Herausgeber Werner Eck, zur Gänze dem Dank für dieses besondere Engagement. Der Althistoriker Eck, der vor 15 Jahren mit dem famosen Band zur Römerzeit den Reigen eröffnet hatte, meint nun, dass diese „Geschichte der Stadt Köln“ wohl in den nächsten 100 Jahren nicht mehr ersetzt werden wird. Er sagt es mit Horaz: „Ein Werk – dauerhafter als Bronze“.

Damian van Melis, Verleger bei Greven, bezeichnet diese Reihe als größtes Projekt der Verlagsgeschichte, geschaffen „für die Ewigkeit“ und hergestellt in der „besten Tradition des Büchermachens“. Was ein gutes Stichwort ist: Denn die Gestaltung durch Elmar Lixenfeld ist jedes Mal eine ästhetische Freude. Sein grundsätzliches Ziel war es, den Büchern eine gewisse Würde zu verleihen. Das gelingt unter anderem durch Freiraum an den Seitenränder, so dass die Textmassen nicht abschreckend wirken. Auffälliger freilich ist die elegante Schrifttype Eremit, die Lixenfeld für dieses Projekt entwickelt hat. Ihr besonderes Kennzeichen ist der lange Unterstrich beim großen Q (oben im Bild zu sehen). Da habe er sich von Schrifttypen aus Kölns römischer Vergangenheit inspirieren lassen, sagt er. Und eine feine Nuance hat er dem kleinen e beigegegeben – aber nur, wenn es etwas größer gedruckt wird. Dann nämlich trägt das e eine „Nase“ im geschlossenen Feld, als wäre der Buchstabe ins Holz geritzt worden.

Pilger stürmen das „hillige Coellen“

Auch eine Besonderheit ist der Reprint von Anton Woensams Köln-Panorama aus dem Jahre 1531, der dem Band beigefügt ist. Es ist das Porträt des „hilligen Coellen“, wo die Kirchtürme dicht an dicht stehen und auf dem Rhein die unterschiedlichsten Schiffstypen von Geschäftigkeit künden – „Niederländer“ und „Oberländer“, der „Neusser“ und die „Lauertanne“. Umgeben ist die Stadt von einer mächtigen Befestigungsanlage, die bei Dunkelheit von Nachtwächtern bewacht wird, darunter auch solchen zu Pferde, die zu viert ständig um die Stadtmauern reiten. Himmlischen Beistand gab es obendrein. Immerhin war Köln überreich an Reliquien – darunter jenen der Heiligen Ursula mit ihren elftausend Jungfrauen, des wackeren Mauritius mit seiner Thebäischen Legion, den Heiligen Drei Königen und vielen anderen. Sie hatten buchstäblich legendäre, wenngleich historisch kaum einmal nachweisbare Schicksale erlitten, weshalb sie viele Pilger anlockten.

Das Spätmittelalter ist jene Epoche, in der sich das Kölner Bürgertum mehr und mehr von der Herrschaft des Erzbischofs befreite. Dieser Prozess begann mit der Schlacht von Worringen im Jahre 1288, die der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg verloren hatte, und fand seinen zwischenzeitlichen Abschluss mit dem „Reichsstadtprivileg“ von 1475. Darin bestätigte Kaiser Friedrich III. alle Rechte, die der Stadt im Laufe der Zeit mal da und mal dort zugestanden worden waren. Durch die „Reichsunmittelbarkeit“ wurde die Unabhängigkeit der Stadt vom Erzbischof bekräftigt, hatte aber auch zur Folge, dass die Kommune immer mal wieder für Belange des Reiches zur Kasse gebeten wurde.

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Herausgeber Werner Eck (links) und Autor Carl Dietmar Foto: Bücheratlas

Diese Geber-Rolle trieb Köln zum Ende des 15. Jahrhunderts, zumal nach dem „Neusser Krieg“, in eine „Schuldenfalle“, wie Herausgeber Eck auf einer Pressekonferenz im Greven-Verlag sagte, aus der die Stadt so bald nicht mehr herausgekommen sei. Dies freilich ist Stoff für den nächsten Band, der sich mit „Köln im Zeitalter von Reformation und Katholischer Reform“ befassen wird. Autor Gérald Chaix hat dem Herausgeber die Zusendung des Manuskripts bis Ende November 2019 in Aussicht gestellt. Allerdings muss es dann erst einmal aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt werden. Es dauert also noch ein wenig bis zur Veröffentlichung.

„Kölnisches Salz“ aus Portugal

Wesentlich befeuert wurde Kölns Entwicklung zur Selbstbestimmung durch die „überragende Wirtschaftskraft“ der Stadt. Ein Reichtum, der nicht zuletzt dem Stapelrecht von 1259 zu verdanken ist: Alle Waren, die zu Lande oder zu Wasser über Köln transportiert wurden, mussten dort drei Tage lang angeboten werden. Besonders intensiv wurde der Handel mit Wein betrieben, dann aber auch mit Tuchen und Heringen. Die Vokabel „kölnisch“ wurde zu einem weithin leuchtenden Gütesiegel. Dabei stammte gar nicht mal alles aus der Stadt, was ihren Namen trug. Es genügte schon, wenn die Ware dort geprüft worden war. So wurde Salz aus Portugal, das in Seeland veredelt und in Antwerpen erworben worden war, als „kölnisches Salz“ vertrieben. Köln war der Export-Champion des Reiches.

Anschaulich erläutern die Autoren die radikalen Veränderungen der kommunalen Machtverhältnisse. Da geht es um das Schöffenkollegium und die Richerzeche, den engen und den weiten Rat. Und immer wieder um die einflussreichen Familien, die in diesen Gremien vertreten waren: Overstolz, Lyskirchen, Gir, Birkelin, Grin, Scherfgin, Hardevust, Spiegel, Jude, Quattermart, Kleingedank, Benesis, Hirzelin und andere mehr. Sie gerieten bald schon mit den Gaffeln und Zünften in Konflikt um Privilegien. Ja, das Spätmittelalter war einerseits eine ruhmvolle Zeit für Köln, aber andererseits auch geprägt von gewalttätigen Konflikten und drakonischen Strafen

Mit dem Sturz der Geschlechter-Herrschaft im Jahre 1396 schlug die Stadt ein neues Kapitel auf: Der „Verbundbrief“ hielt die neue Verfassung fest, die „einem verhältnismäßig großen Kreis von Einwohnern Mitwirkungsmöglichkeiten in der Stadtpolitik“ einräumte. Jetzt hatten die Vertreter vom Eisenmarkt, vom Wollenamt, den Goldschmieden und den weiteren Verbänden das Sagen. Der „Transfixbrief“ von 1513 erweiterte diese kleine Revolution noch um einige „Bürgerrechte“ – namentlich um jene auf körperliche Unversehrtheit und persönliche Ehre. Die Autoren fassen zusammen: „ein herausragendes Rechtszeugnis an der Wende zur Neuzeit“.

Frauen-Power in der Wirtschaft

Die Rolle der Frauen, deren Zahl die der Männer übertraf, war in Köln eine besondere. Zwar konnten sie die Politik nicht aktiv mitbestimmen. Doch zumindest Angehörige der Ober- oder Mittelschicht besaßen „weit mehr Rechte und berufliche wie wirtschaftliche Möglichkeiten als in vergleichbaren deutschen Städten“. Ein Indiz für diese fortschrittliche Position in Handel und Gewerbe sind die Frauenzünfte (wie die der Seidenspinnerinnen), die es in Westeuropa sonst nur noch in Paris gab. Die vergleichsweise emanzipierte Position bedeutete allerdings auch: Gesetzesbrecherinnen wurde nicht, wie in anderen Städten üblich, Strafmilderung gewährt.

Ein weites Spektrum zwischen Politik und Privatem wird hier geboten. Nicht im hohen akademischen Ton, sondern in einer leicht nachvollziehbaren Weise. Solcherart wird auch die komplexe Geschichte der Juden in der Stadt aufgefächert – vom vitalen Gemeindeleben über das Pogrom von 1349 und die Wiederansiedlung von 1372 bis zur Ausweisung per Ratsbeschluss im Jahre 1424.  Den Grund für die Ausweisung sieht Carl Dietmar nicht nur im latenten Antisemitismus. Auch wollte der Rat auf diese Weise, so lautet die These, den Einfluss des Erzbischofs weiter eindämmen, der als „Schutzherr“ der Juden von diesen „Schutzgeld“ erhielt.

Der Boom der Altkölner Malerei

Weiter gilt ein detailreiches Kapitel den „Generalstudien“, wie die wissenschaftlichen Ausbildungsstätten der Bettelorden genannt wurden, und der Gründung der Universität im Jahre 1388. Köln war zudem ein Zentrum des Buchdrucks – Ulrich Zell war hier der Pionier und könnte mit seinem Verlagsprogramm, in dem auch Werke von Cicero und Petrarca auftauchen, noch heute Eindruck machen. Gewürdigt wird die Architektur von Dom über Rathaus und Ratsturm bis zum Gürzenich. Schließlich ist ein Loblied auf die Altkölner Malerei zu vernehmen, deren Künstler zumeist anonym geblieben sind, sieht man einmal von Stefan Lochner ab.

Die Zeitgenossen waren beeindruckt. Der Humanist Antonius Liber aus Soest gehörte dazu. Er meinte um 1500, „dass Köln dem Paradies gleiche und Rom, Athen, Paris und Venedig in vielen Bereichen übertreffe.“ Beeindruckend ist freilich auch dieser attraktiv gestaltete Band, der das Köln des Spätmittelalters lebendig werden lässt. Ein prächtiges Panorama.

Martin Oehlen

Wolfgang Herborn und Carl Dietmar: „Köln im Spätmittelalter – 1288-1512/13“, Band 4 der „Geschichte der Stadt Köln“, hrsg. von Werner Eck, Greven Verlag, 630 Seiten, 60 Euro.

Dietmar

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