Feridun Zaimoglu über den Kampf der Frauen und das Unrecht der Männer

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„Ich muss mit den Figuren verschmelzen“, sagt Feridun Zaimoglu über sein Schreiben. „Ich bin dann einer, der sich selbst zum Verschwinden bringt.“  Foto: Bücheratlas

*** Feridun Zaimoglu trat mit seinem Roman „Die Geschichte der Frau“ auf dem Kölner Literaturfestival lit.Cologne auf. Gemeinsam mit Karen Duve war er auf dem Literaturschiff zu erleben. Am darauffolgenden Tag trafen wir den Autor in seinem Hotel. Der Roman lässt in zehn sprachmächtigen Kapiteln Frauen aus Sage und Geschichte zu Wort kommen, die von Männern unterdrückt werden und die das nicht hinnehmen. Zaimoglu wurde 1964 in der Türkei geboren und kam bereits im folgenden Jahr mit seinen Eltern nach Deutschland. Er lebt in Kiel. ***

Herr Zaimoglu, in Ihrem neuen Roman „Die Geschichte der Frau“ schlüpfen Sie wieder einmal in die Rolle einer Frau, ja, tatsächlich sind es diesmal sogar zehn Frauenrollen. Wären Sie lieber eine Frau?

Nein. In der wirklichen Wirklichkeit, also nicht in der literarischen Wirklichkeit meiner Bücher, bin ich ein Mann, der die Frauen liebt. Ich bleibe dieser Mann. Es war für mich immer so lebensbestimmend, Frauen zu lieben, dass ich gar nicht auf eine andere Idee käme. Das Beste an meinem Mannsein ist es, eine Frau zu begehren und zu lieben.

Und wie ist es, als Autor in die Rolle einer Frau zu schlüpfen?

Es reicht für mein Schreiben nicht, wenn ich da als Stimmenimitator herangehe. Nein, ich muss mit den Figuren verschmelzen. Ich bin dann einer, der sich selbst zum Verschwinden bringt. Ich breche mit meiner Identität und bin ein gescheiterter Börsenmakler, ein Gangster, ein Vorort-Strizzi, ein Sechsjähriger in Istanbul. Jetzt, bei diesem kühnen Buchprojekt, ging es darum, hintereinander zehn Frauen zu werden. Ich darf mich dann nicht schonen und darf mich nicht scheuen, eine lächerliche Figur abzugeben. Im Alltag werde ich dann lebensuntauglich und freue mich, wenn ich nicht gegen Wände laufe. Es geht um eine Verwandlung.  Raus aus der Komfortzone. Es ist eine körperliche Herausforderung. Das hat zur Folge, dass ich schlecht schlafe und träume, dass ich abnehme oder zunehme. Das mag dann für Leute, die eher mit kalter Prosa etwas anfangen können, schwierig und schwitzig klingen. Aber ich brauche genau diesen Schweiß und Dreck. Je unzufriedener ich dann bin, desto besser ist es für den Roman.

„Auf der Liste standen 40 oder 50 Frauen“

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„Ja, ich bin Partei.“ sagt Feridun Zaimoglu über seinen Roman.  Foto: Bücheratlas

Der Roman passt mit seinem Blick auf die Frauen, die sich gegen die männliche Unterdrückung wehren, bestens zur #MeToo-Bewegung.

Ich mag es sehr, wenn die Macht und die Mächtigen angefochten werden. Und ich es mag sehr, wenn mächtige Männer, die Missbrauch betrieben und andere Menschen gedemütigt haben, zu Fall kommen.  Es ist herrlich, wenn sie beim Namen genannt werden. Ein Hoch auf #MeToo. Was mein Schreiben angeht: Komischerweise  wird mir seit einigen Jahren immer mal wieder der Vorwurf gemacht, dass ich mir ein Thema der Zeit aussuche. Bei „Siebentürmeviertel“ war es so, als es um Flüchtlinge ging – als könnte ich 800 Seiten schreiben, wenn ich auf die Jetztzeit schiele. Bei „Evangelio“ hieß es: Ja, klar, im Luther-Jahr kommt der mit einem Luther-Buch. Man unterstellt mir ein taktisches Verhältnis zum Schreiben. Dabei denke ich nie an so etwas. Wer sich auf die neuesten Nachrichten bezieht, kann nur wunderbare journalistische Arbeiten schreiben, aber keinen Roman.

Was war denn jetzt der Anlass?

Bei mir hat sich im Laufe der Jahre ein Verdruss eingestellt ob der Thesen und Theorien, mit denen man es in der Gender-Debatte zu tun hat. Ich bin dieser akademischen Floskeln überdrüssig. Man ist in so einer Blase und tut so, als wären diese intellektuellen Kämpfe die Kämpfe der Wirklichkeit. Ich liebe die Intellektualität, die schwierige Prosa, die Abwendung von der Wirklichkeit und das Nachdenken darüber. Nur bin ich nicht dafür, dass man über die Wirklichkeit die Theorie-Kappe stülpt. Mir ging es bei diesem Buch darum, auf die Kämpfe der Frauen hinzuweisen. Ganz konkret.

Sie haben sich für zehn Frauen aus Sage und Historie entschieden, von der Vorzeit bis zum Jahr 1968. Warum zehn Frauen?

Es ist natürlich ein unvollständiges Buch. Eine Auswahl zu treffen ist immer ein Akt der Willkür. Auf der Liste meiner Lieblinge standen 40 oder 50 Frauen. Ich hätte einen Tausendseiter hinlegen können. Aber es war mir auch wichtig, nicht noch einmal die Frauen vorzustellen, über die schon viel geschrieben worden ist. Ich wollte jene sichtbar machen, über die man vielleicht nicht so viel weiß.

Der Roman liest sich wie eine Streitschrift für den Kampf der Frauen. Auf jeden Fall sind Sie Partei – oder?

Ja, ich bin Partei. Aber ich bin erst einmal Literat und hoffe, dass dies als Literatur angesehen wird. Man geht mich ja unter anderem an wegen der Sprache. Ich habe mich bei jeder Geschichte um die richtige Sprache und den richtigen Ton bemüht. Aber ich habe in jedem Fall aus der Sicht der Frau geschrieben. Insofern ist es frauenrechtlerisches, ein kämpferisches Buch. Es ist eine lächerliche Anfechtung der Macht. Lächerlich – weil: Mein Gott, ein  Schreiber aus Kiel schreibt ein Buch.

Die Kapitel sind jeweils um die 34 Seiten stark. Haben Sie sich vom Platz her bewusst eingeschränkt?

Ich wollte immer mehr erzählen, natürlich. Ich habe im Vorfeld sehr diszipliniert arbeiten müssen, um bei meinem Vorsatz zu bleiben, jeweils eine bestimmte, entscheidende Szene auszuleuchten. Es ist immer eine Gegenwart, was vielleicht bei manchem für gewisses Befremden sorgt. Kein touristischer Blick, kein Conférencier, der erst einmal das Panorama erläutert. Diese Überrumpelung ist wichtig. Natürlich hätte ich über Zippora, die Frau des Moses, über Judith, Brunhild oder Valerie Solanas noch mehr schreiben können. Ja, ich hatte Lust auf Ausschreitungen im wahrsten Sinne des Wortes.

Mit Valerie Solanas endet der Roman. Die Warhol-Attentäterin plädiert in Ihrem Text für einen militanten Kampf der Frauen gegen die Männer. Was halten Sie davon?

Ein schwieriges Thema. Darf ich als Mann überhaupt etwas dazu sagen? Solanas war eine zornige, kluge Frau, eine Künstlerin, die man als kriminelle Geistesgestörte hingestellt hat. Ja, wie weit darf der Kampf gehen?  Für mich ist es nicht in Ordnung, anderen Menschen wehzutun, ich bin ein altmodischer radikaler Humanist.  Valeria Solanas hat drei Schüsse auf Andy Warhol abgegeben, was er knapp überlebt hat. Das war nicht in Ordnung. Aber man sollte vielleicht auch über die Gewalt von Andy Warhol in seinen Kunstfilmen, in seinen Worten, in seinem Verhalten nachdenken. Solanas hat, als sie sich stellte, den Journalisten zugerufen: Wenn ihr mich verstehen wollt, lest mein Manifest. Darin geht es um die Zerstückelung der Gesellschaft und der Männer.

„Alles ist brüchig, seltsam und angsteinflößend“

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„Es ist Unrecht, das von Männern ausgeht, und wenn andere Männer dagegenhalten, ist das gut.“ meint Feridun Zaimoglu, der hier die Raute macht. Foto: Bücheratlas

Gibt es für Sie in der Gegenwart Frauen, die den Kampf um Gleichberechtigung in besonderer Weise führen?

Es gibt sie wirklich. Es sind die Namenlosen. Abertausend von namenlosen Frauen, die diesen Kampf austragen. Wenn ich an die Herkunftskultur meiner Eltern denke, dann ist es dort möglich, dass eine Frau einen Bewerber ablehnt und der ihr anschließend Salzsäure ins Gesicht schüttet. Wir leben in Zeiten, in denen es noch Ehrenmorde gibt. Vor all diese namenlosen Frauen, die trotz der Gefahr den Kampf aufnehmen,  habe ich eine Hochachtung. Wir Männer können ja nicht einfach beiseitetreten und sagen: Sollen die ihren Kampf mal machen. Es ist Unrecht, das von Männern ausgeht, und wenn andere Männer dagegenhalten, ist das gut. Daher finde ich es bedauerlich, wenn die eine oder andere Separationistin, die nichts mit Männern zu tun haben will, diese Unterstützung ablehnt.

Das Bild der pfeifenden Schlangen kommt mehr als einmal in ihrem Roman vor. Wofür steht das?

Ich habe mir überlegt, wie ich das Unsagbare in Bilder packen kann. Für Zippora sind die pfeifenden Schlangen in der Wüste ein Zeichen des Ausgesetztseins und der Unbehaustheit. In dieser Welt wird man nicht heimisch. Man soll nicht denken, dass man nicht heimgesucht wird. Alles ist brüchig, seltsam und angsteinflößend. Das Leben ist eine große Unheimlichkeit.

Das Gespräch führte Martin Oehlen

http://www.ksta.de

Feridun Zaimoglu: „Die Geschichte der  Frau“, Kiepenheuer & Witsch, 396 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

Zaimoglu

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