
Im Land der Hutträgerinnen
Ich falle auf in Südkorea. Nicht, weil ich eine Europäerin bin. Nicht, weil ich kaum ein Wort Koreanisch spreche und meine Kleidung funktional ist. Ich falle auf, weil ich keinen Hut trage. Bloßen Hauptes reise ich durch das Land. Die Sonne hat einen roten Streifen in meine Kopfhaut gebrannt, an stürmischen Tagen zerzausen Windböen meine Frisur, bei Nieselregen sitzen tausende kleine Wasserperlen in meinen Haaren.
Viele Frauen in diesem Land tragen eine Kopfbedeckung. Baseballkappen, gestreifte Sonnenhüte. Enganliegende, gehäkelte Kappen, die aussehen wie aus den 1920er Jahren. Kleine Mützen und gigantische Sonnenschilde, die am Hinterkopf mit einem Klettverschluss verschlossen werden. Auf dem Namdaemun-Markt in Seoul, dem größten seiner Art, reiht sich Hutladen an Hutladen. Marktschreier preisen lautstark die neuesten Modelle an, während die Frauen Hut um Hut aufprobieren. Steht mir dieser, steht mir jener? Bei den Touristinnen auf Jeju, der größten Ferieninsel des Landes, sind orangefarbene Sonnenhütchen mit zwei kleinen grünen Blättern als Verzierung der Renner. Sie sollen eine Hallabong darstellen, eine koreanische Orange, die auf dem Eiland angebaut wird.
Ich war durchaus willens, mich anzupassen, und setzte probehalber Hütchen und Mützchen und Käppchen auf. Keines gefiel mir. So reiste ich weiterhin barhäuptig von Stadt zu Stadt, eine Hutlose im Land der Hutträgerinnen.
„Better not look down“


Die beiden Kästen standen in einer Ecke des Hotelzimmers, verborgen hinter dem Fenstervorhang. Die Aufschrift war auch auf Englisch zu haben, und so erfuhren wir, dass es sich bei dem Inhalt um Notfallseile handelte. In der Wand entdeckten wir zwei fest verankerte Eisenringe. In die könnten wir die Seile im Fall der Fälle – Feuer, Erdbeben – einhaken und uns, unterstützt durch einen Gurt, Richtung Boden in Sicherheit bringen. 35 Meter lang war das Seil – lang genug, um vorbei an 17 Stockwerken in die Tiefe zu gelangen. In Klammern gibt es den Hinweis, die Contenance zu bewahren: „While descending, face the wall and better not look down.“
Die Südkoreaner, das lernten wir bald, sind ein vorsichtiges Volk. Eines, das jederzeit mit allem rechnet. In den see-nahen Städten zeigen Hinweisschilder, wohin man im Falle eines Tsunami flüchten kann. Auf Jeju, der Insel, die ihre Existenz einer langen Serie von Vulkanausbrüchen verdankt, gibt es ausgewiesene Plätze, die im Falle eines Erdbebens aufzusuchen sind. Wer eine südkoreanische Telefonnummer hat, wird zuweilen, in unserem Fall an etwa jedem dritten Tag, mit einem „Öffentlichen Sicherheitshinweis“ bedacht: Ein Waldbrand hier, eine verlorene gegangene Person dort. Es gibt raketensichere Schutzräume für die Bevölkerung, falls der Nachbar aus dem Norden auf dumme Gedanken kommt. Wie groß die Angst vor einem Angriff Nordkoreas ist, wurde uns anschaulich in der Hafenstadt Sokcho demonstriert. „Wenn Sie so etwas im Meer sehen“, lautete die Erläuterung eines Fotos auf einem Hinweisschild an der Promenade, „dann rufen Sie bitte nicht die Polizei. Das ist kein U-Boot.“
Der gut betuchte Hund

Zunächst hielten wir es für eine Marotte der Einwohnerinnen und Einwohner von Sokcho. Viele trugen ihre Hunde, kleine wollige Geschöpfe mit großen Augen und weißem Fell, auf dem Arm. Hineingekuschelt in die Armbeuge ihrer Besitzerinnen und Besitzer, wurden die Tierchen auf der Uferpromenade im Stadtpark spazieren getragen. Sie sahen so aus, als hätten sie noch keinen Schritt auf dem Boden getan, geschweige denn, sich einmal an einem Baum erleichtert. Selbstverständlich waren die Hunde bekleidet. Sie trugen karierte Mäntel, Strickpullover und Strampelanzüge. Einem saß ein schwarz-grünes Militärkäppi zwischen den sorgsam getrimmten Schlappohren. Vielleicht, überlegten wir, sind diese Hunde ja aus Plüsch, eventuell sogar ausgestopft. Doch dann zuckte ein Näschen, blinzelten zwei schwarze Kulleraugen in die Sonne. Nie haben wir einen Hund bellen gehört, nicht einmal ein leises Winseln kam ihnen über die haarigen Lippen.
Später, in anderen Städten, in Daegu und Busan, auf Jeju, sogar in Seoul, sahen wir Hunde, die bei Tisch einen eigenen Stuhl bekamen oder in schmal geschnittenen Wagen spaziergefahren wurden. Wenn es ihnen darin zu langweilig wurde und sie sich fordernd auf die Hinterbeine stellten, nahmen ihre Besitzer sie heraus und trugen sie auf dem Arm, während sie mit der anderen Hand den Wagen weiterschoben.
Bis vor nicht allzu langer Zeit, erfuhren wir, stand Hundefleisch auf manchen Speisekarten in Nord- und Südkorea. Rund zwei Millionen Tiere, gezüchtet auf speziellen Hundefarmen, wurden pro Jahr allein in Südkorea verspeist. Inzwischen haben die meisten Hundefleischlokale dicht gemacht. Der größte Hundeschlachtbetrieb des Landes, der sogenannte Taepyeong-dong-Komplex vor den Toren Seouls, ist geschlossen. Selbst auf dem Gyengdong-Markt in Seoul gab es 2019 nur noch zwei Hundemetzgereien. Inzwischen dürften auch sie nicht mehr existieren. Aus der ehemaligen Leibspeise der Koreaner ist ein verhätscheltes Schoßtier geworden. Was nicht die schlechteste Option ist.
Petra Pluwatsch
Auf diesem Blog
haben wir unsere Südkorea-Reihe mit einer kleinen Highlight-Liste HIER eröffnet.
Was für ein eigenartiges Land! Ich glaube, ich muss da auch mal hinfahren.
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Unbedingt! Eigenartigkeit ist ja immer ein guter Reisegrund.
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Vielen Dank!
Das liest sich spannend und kurzweilig und informativ – ich hoffe, „Unterwegs in Südkorea“ wird bald fortgesetzt!
Herzlich grüßend:
Pega
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Das freut uns! Ja, in dieser Woche geht es weiter. Insgesamt stehen fünf Beiträge auf der Liste. Wir dachten, es sei vielleicht gut, nicht alle direkt hinauszupusten Herzliche Grüße, P. und M.
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auf jeden fall all gut gedacht, denn:
vorfreude ist etwas sehr schönes (finde ich). liebe grüße!
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