
Der „Klub der Spinnerinnen“, so nennen sich Nina, Franziska und ihre Freundinnen. Jede der jungen Frauen hat eine kleine Macke, über die sie ungern spricht. Franziska zum Beispiel kann keiner Teppichfranse widerstehen. Stets trägt sie einen Teppichkamm bei sich, um eventuell in Unordnung geratene Fransen zu richten. Corinna hat voyeuristische Neigungen und schleicht sich durch die Nacht, um fremde Menschen in ihren Häusern zu beobachten. Jelena deutet die Zukunft anhand von Wolkengebilden, und Heide kann mit den Ohren wackeln.
Nina wiederum findet keinen Schlaf, wenn sie nicht festeingewickelt in eine Decke ist, und fotografiert in ihrer Freizeit leidenschaftlich gern Unkraut. „Vielleicht kann man es ja auf die Gene schieben, dass ich trotz meines noch jugendlichen Alters schon ein wenig schrullig bin“, entschuldigt sie ihre Marotten und verweist auf Tante Karin, die ein Reborn-Baby mit sich herumschleppt, eine täuschend echt aussehende Babypuppe.
Frauen kämpfen für ihre Freiheit
88 Jahre alt wird Ingrid Noll im September 2023. „Tea Time“ ist ihr 17. Kriminalroman, seit sie 1991 mit „Der Hahn ist tot“ für einen Überraschungserfolg sorgte. Seitdem folgten Bestseller wie „Die Häupter meiner Lieben“ (1993), „Die Apothekerin“ (1994) und „Röslein rot“ (1998). Fünf ihrer Bücher wurden verfilmt. Ingrid Noll ist Trägerin des Friedrich-Glauser-Preises und wurde mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg geehrt.
Im Zentrum ihrer Bücher stehen in der Regel Frauen, die sich ihre Freiheit erkämpfen oder bewahren wollen. Und denen dafür so ziemlich jedes Mittel recht ist.
Plötzlich dieses Rinnsal auf dem Fußboden
Ich-Erzählerin Nina ist da keine Ausnahme. Auch sie sieht ihr Recht auf Freiheit und körperliche Selbstbestimmung bedroht, als sie die Bekanntschaft von Andreas Haase macht. Der versoffene, arbeitslose Goldschmied hat ihre Handtasche gefunden, die sie im Park verloren hatte, und will sie ihr gegen eine kleine „Belohnung“ wiedergeben. Als er ihr in eindeutiger Absicht zu nahetritt, stößt sie ihn zurück. Der Mann fällt unglücklich, „ein rotes Rinnsal“ läuft über den Fußboden. Ist Haase tot?
Es folgen zahlreiche überraschende Wendungen in diesem fintenreichen Krimi, der mindestens ebenso skurril ist wie der Klub der Spinnerinnen. Ingrid Noll erzählt ihre Geschichte mit viel Sympathie für ihre spinnerten Protagonistinnen. Nicht alles ist logisch im Plot von „Tea Time“. Aber darauf kommt es halt nicht immer an.
Petra Pluwatsch
Auf diesem Blog
haben wir zuletzt Ingrid Nolls Kriminalroman „Kein Feuer kann brennen so heiß“ besprochen (HIER). Zuvor gab es eine Rezension zu „Goldschatz“ (HIER) sowie eine exklusive Buchempfehlung der Autorin für den Bücheratlas (HIER).
Lesungen mit Ingrid Noll
in Köln im Rahmen der lit.Cologne an diesem Freitag, 3. März 2023, um 19 Uhr; in Hamburg am 3. April 2023 um 19 Uhr.
Ingrid Noll: „Tea Time“, Diogenes, 320 Seiten, 25 Euro. E-Book: 21,99 Euro.
