Legendärer Meilenstein: „First Folio“, die erste Gesamtausgabe von William Shakespeares Dramen, erschien vor 400 Jahren und wird zum Jubiläum in Köln ausgestellt

Die Kölner Ausgabe mit dem Shakespeare-Porträt von Martin Droeshout und der Vorrede an die Leser Foto: Bücheratlas

Wer bei „F1“ ausschließlich an die Formel 1 im Motorsport denkt, kennt nur die halbe Wahrheit. Denn F1 ist auch das Gütesiegel für eines der bedeutendsten und teuersten Bücher der Welt. Die „First Folio“, also die legendäre erste Gesamtausgabe von 36 Dramen William Shakespeares, ist vor 400 Jahren in London erschienen: „Mr. William Shakespeares Comedies, Histories, & Tragedies – Published according to the True Original Copies“. Es ist sozusagen der ultimative Ferrari-Mercedes der Buchwelt.

Zehn Millionen Dollar für ein Exemplar

Der Weltstar William Shakespeare (1564-1616) aus Stratford-upon-Avon hatte daran natürlich nicht mitgewirkt – er war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits seit sieben Jahren nicht mehr unter den Lebenden. Sein ikonisches „Eierkopf“-Porträt, das jener Ausgabe beigefügt ist, hat vermutlich wenig bis gar nichts mit der realen Gestalt zu tun: der Künstler Martin Droeshout war erst 15 Jahre alt, als Shakespeare starb. Er hatte ihn wohl nie leibhaftig gesehen. Vielleicht deshalb wurde das Bildnis, das er sieben Jahre später anfertigte, im Laufe des Druckprozesses noch einmal nachgebessert. Im Vorspruch „To the Reader“ lesen wir den freundlichen Hinweis: „Reader, looke / Not on his Picture, but his Booke.“

Von den ursprünglich wohl 750 Exemplaren des Folianten existieren heute noch 235 (andere zählen: 234). Drei gibt es in Deutschland, eines davon in der Kölner Universitäts- und Stadtbibliothek Köln (UB). Die Hochschule kaufte die Rarität sowie vier später publizierte Folio-Bände im Jahre 1960 für insgesamt 425.000 D-Mark. Das nennen wir ein Schnäppchen. Im Oktober 2020 erzielte eine First-Folio-Ausgabe bei Christie’s einen Auktionsrekord von knapp zehn Millionen Dollar.

Die Großtat der Schauspiel-Kollegen

Die UB-Ausgabe ist überdies besonders exquisit. Sie zählt zu den weltweit 14 Exemplaren der „Class A“, in die nur „nicht reparierte Bücher im besten Erhaltungszustand“ aufgenommen werden. Rund um diese Kostbarkeit gibt es nun in Köln im Graphischen Kabinett des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud eine kleine Ausstellung. Im gläsern bewehrten Mittelpunkt: die „First Folio“ nebst rotledernem Schuber. Und drumherum: Grafiken, Bühnenbilder, Kostümentwürfe von Daniel Chodowiecki bis Max Slevogt, von Marianne Ahlfeld-Heymann bis Wilfried Minks. Darunter weitere Porträts des Meisters – einmal als etablierter Künstler im Schreibmodus, ein anderes Mal als säkularisiertes Christkind.

Die First Folio wurde 1623 von den Schauspielern John Heminges und Henry Condell realisiert, die wie Shakespeare selbst zur königlichen Truppe der „King’s Men“ zählten. Dies war eine Großtat in mancherlei Hinsicht. Sie markiert „den Übergang vom Theater in die Literatur“.

William Shakespeare als Knabe inmitten von Natur und Leidenschaft – ein Werk von Benjamin Smith, das aus der Graphischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums stammt. Foto: WRM

„Sommernachtstraum“ wäre verloren gewesen

Man bedenke: Zu Lebzeiten Shakespeares wurde darauf geachtet, die Stücke konkurrierenden Theatergruppen vorzuenthalten. Es schien sinnvoll zu sein, möglichst wenige bis gar keine Aufzeichnungen in Umlauf zu bringen. Denn das Urheberrecht war damals ein Fremdwort aus der Zukunft. So lagen unmittelbar nach dem Tod des Dramatikers nur wenige seiner Stücke in sogenannten Quarto-Ausgaben vor. Ohne die „Gesamtausgabe“, die 36 Komödien und Tragödien aufführt, wären 18 Werke verloren gewesen. Darunter: „Macbeth“, „Julius Caesar“, „Ein Sommernachtstraum“.

All das wurde nun in einer kurzweiligen und bestens besuchten Veranstaltung der „Freunde des WRM und des Museum Ludwig“ ausgebreitet. Zugleich war dies die offizielle Eröffnung der Kabinett-Ausstellung „Das Ganze Drama – Shakespeares First Folio 1623“.

„Von unschätzbarem Wert“

Zunächst outete sich Beatrix Busse, Professorin für Englische Sprachwissenschaft, sehr überzeugend als begeisterte „Shakespearean“. Sie pries „F1“ als Werk „von unschätzbarem Wert“. Auch machte sie aufmerksam auf die zahlreichen Unterschiede zwischen den Quart-Ausgaben, die unmittelbar nach den Aufführungen im Globe oder im Blackfriars „aus dem Kopf“ niedergeschrieben wurden, und der 1623 fixierten „Gesamtausgabe“. Zudem sei zwischenzeitlich ein Gotteslästerungs-Verbot ergangen. Deshalb habe die „First Folio“-Edition um einschlägige Formulierungen bereinigt werden müssen.

Die älteste Quart-Ausgabe eines Shakespeare-Dramas stammt übrigens aus dem Jahre 1598: „Love’s Labour’s Lost“ (Verlorene Liebesmüh). Auf dem Deckblatt der Komödie wird vermerkt, dass diese Fassung an Weihnachten („this last Christmas“) vor Königin Elizabeth I. aufgeführt worden sei. Beim Text handele es sich um eine „korrigierte und erweiterte“ Fassung. Von einer Version „Letzter Hand“ wollte offenbar niemand etwas wissen.  

Blick auf die „Wilde Wand“ – so Ausstellungskurator Peter W. Marx – mit Entwürfen zu Bühne und Kostüm Foto: Bücheratlas

Die Dramen rappeln zwischen den Buchdeckeln

Darauf verwies auch Peter W. Marx, Direktor der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln und Kurator der Ausstellung. Das Verständnis von einem abgeschlossenen Text habe es damals nicht gegeben. Auch seien die Stücke nie für eine Leserschaft konzipiert gewesen. Ja, Marx spürte sogar, wie unruhig die Dramen während seines Vortrags zwischen den Buchdeckeln waren. Sie riefen danach, sagte er, gespielt zu werden, und rappelten entsprechend heftig in der gläsernen Schauvitrine.

Marx widmete sich vor allem den „An- und Abwesenheiten“ rund um Shakespeare. Einerseits ist uns sein Werk sehr präsent, andererseits ist der Sohn eines Handschuhmachers als Person schwer zu greifen. Dazu gehört nicht zuletzt die immer wieder aufploppende Frage, wie viele der Texte tatsächlich ihm zuzuschreiben seien. Aber auch dieses „Widerspiel“ sei ein Aspekt, weshalb Peter W. Marx zur „First Folio“ vor allem eine Vokabel in den Sinn kommt: „Magisch“.  

Martin Oehlen

Ausstellung

„Das ganze Drama – Shakespeares First Folio von 1623“ im Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, eine Zusammenarbeit mit der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln und der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln. Die kleine Schau im Graphischen Kabinett im zweiten Obergeschoss ist bis 11. Juni 2023 zu sehen.

„First Folio“ digital

Die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln digitalisiert derzeit ihre „First Folio“-Ausgabe. Das Digitalisat soll in einigen Monaten auf einer Open Access Plattform zugänglich gemacht werden.

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