Holzfällen auf Bornholm: Katrine Engbergs Kriminalroman „Wintersonne“ führt tief hinein in den Wald der Geheimnisse

Jeppe Korner hat hingehauen. Zu viel Stress im Job, zu viel Stress in der Liebe. Statt Mörder zu jagen, arbeitet der Kopenhagener Ermittler einen Winter lang als Holzfäller auf Bornholm. Fällt abends todmüde ins Bett, nachdem er seinem betagten Nachbarn ein paar Seiten aus „Robinson Crusoe“ vorgelesen hat. Steht morgens ebenso müde wieder auf und schleppt sich in den Wald. 

Spannender Plot, überzeugendes Ende

So könnte es noch Monate weitergehen. Wäre Kollegin Anette Werner in Kopenhagen nicht mit einem höchst unappetitlichen Mordfall befasst. In einem alten Koffer werden Teile einer Leiche gefunden. Der Unbekannte ist längsseits  durchgesägt worden. Die zweite Hälfte des Toten findet sich wenige Tage später in einem weiteren Koffer.  Die Spur – man ahnt es bereits – führt nach Bornholm.

Foto: Bücheratlas

„Wintersonne“ ist bereits der fünfte Kriminalroman der dänischen Autorin, Tänzerin und Choreographin Katrine Engberg. Erstaunlicherweise hat die 2016 gestartete Reihe um das Ermittlerduo Korner-Werner nichts von seinem Schwung eingebüßt. Auch Band fünf der Serie punktet mit einem spannenden Plot, die Geschichte ist gut erzählt und findet zu einem überzeugenden Ende. Vielleicht hätte sich die Autorin den ein oder anderen (allzu bemühten) Cliffhanger sparen können. Aber das war’s auch schon an Kritik.

Jeder Inselbewohner hegt ein Geheimnis

Auf Bitten von Anette Werner beginnt Jeppe Korner auf Bornholm, Nachforschungen nach einem verschwundenen Mann anzustellen. Nikolaj Dybris, Anfang 50, ein Kiffer, Kokser und Hallodri, ist seit Monaten unauffindbar. Seine Schwester Ida, bei der Jeppe Korners alte Freundin Esther de Laurenti vorübergehend wohnt, ist in höchster Sorge. Kann es sein, dass Nikolaj der zersägte Tote aus Kopenhagen ist? Und wenn ja – mit wem hat sich der arbeitslose Kleinkriminelle angelegt, um einen solch grausamen Tod herauszufordern.

Zahlreiche Rückblenden, geschickt in Briefform verpackt, werfen einen Blick in die Vergangenheit des potentiellen Opfers und dessen Schwester. Katrine Engberg entwirf darin das Bild einer kleingeistigen Inselgemeinschaft, in der jeder seine Geheimnisse hat. Manche davon sind so schmutzig, dass sie noch Jahrzehnte später die Luft verpesten.

Genüsslich an der Nase herumgeführt

Bald scheint jeder verdächtig, in diesen undurchsichtigen Fall verwickelt zu sein. Der Sägewerkbesitzer Finn Sonne, dessen Frau vor vielen Jahren unter merkwürdigen Umständen starb. Der Priester der örtlichen Freikirche, der seinen Schäfchen gern sehr nahekommt. Jeppe Korners Chef, der ewig schlechtgelaunte Waldarbeiter Louis Kofoed.

Katrine Engberg macht aus all dem eine kunstvoll verästelte Geschichte und führt ihre Leserinnen und Leser mehrmals genüsslich an der Nase herum. Nein, Urlaub auf Bornholm möchte man nach dieser Lektüre nicht mehr machen. Auch Jeppe Korner ergreift nach einer unangenehmen Begegnung mit einer Kettensäge eilig die Flucht zurück nach Kopenhagen. Schlimmer als auf der Insel kann es dort auch nicht zugehen.  

Petra Pluwatsch

Auf diesem Blog

haben wir bereits drei Kriminalromane von Katrine Engberg vorgestellt: „Krokodilwächter“ von 2018 (HIER), „Blutmond“ von 2019 (HIER) und „Glasflügel“ von 2020 (HIER).

Katrine Engberg: „Wintersonne“, dt. von Ulrich Sonnenberg, Diogenes, 432 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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