Ein Hund will nach Süden: Der Japaner Seishu Hase erzählt „Tamons Geschichte“ vor dem Hintergrund von Tsunami und Erdbeben

Durch das ländliche Japan zieht es den Mischling Tamon. Foto: Bücheratlas

Tamon hat ein klares Ziel vor Augen. Allerdings benötigt er fünf Jahre, um es zu erreichen. So lange tippelt der Mischling aus Schäferhund und einer nicht näher definierten Rasse durch Japan. Von Ost nach West, wofür unser Routenplaner knapp 300 Stunden zu Fuß vorsieht. Aber Tamon hat keine Karte, sondern nur seinen Instinkt. Da dauert es eben noch etwas länger von Kamaichi bis nach Kumamoto, von der Tsunami-Katastrophe in Fukushima im Jahre 2011 bis zum Erdbeben auf Kyushu im Jahre 2016. „Tamons Geschichte“ wird nun von Seishu Hase erzählt, der für diesen Roman 2020 in seiner japanischen Heimat mit dem Naoki-Literaturpreis ausgezeichnet worden ist. Der japanische Originaltitel heißt übersetzt in etwa „Der Junge und der Hund“.

Tamon sorgt für Zuversicht

Auf seiner Reise in den Süden meidet Tamon die Metropolen und bewegt sich zumeist im ländlichen Raum. Noch lieber allerdings streift er durch Wälder und Berge. Sobald es eng wird, wenn er verletzt ist oder lange nichts mehr in den Magen bekommen hat, nähert er sich den Menschen. Auf diese Weise trifft er Diebe und Prostituierte, Einsame und Verstörte, Jung und Alt. Bis er schließlich sein Ziel erreicht – über das wir uns an dieser Stelle selbstredend in Schweigen hüllen.  

Der Roman erreicht seinen dramatischen Höhepunkt mit dem Erdbeben in Kumamoto von 2016. Aus jenem Jahr stammt unsere Aufnahme von der schwer beschädigten Burg aus dem beginnenden 17. Jahrhundert. Foto: Bücheratlas

Seishu Hase lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er hier ein modernes Märchen erzählt. Immerzu erkennen die Menschen sofort den besonderen Charakter des Hundes: Er ist klug, einfühlsam und wachsam. Für die einen wird er zum Schutzgott, für die anderen zum Lebensretter. Einer alten Frau bringt er das Lächeln zurück, einen Jungen verleitet er zum Sprechen. Tamon selbst redet kein Wort, das nun doch nicht, aber ist ein beliebter Gesprächspartner. Allen scheint er die Botschaft zu vermitteln: Nur nicht die Zuversicht verlieren.

Farbig, flott und konsequent

Ein Hund wie aus dem Bilderbuch. Mit seiner Beharrlichkeit erinnert er an Japans berühmtesten Vierbeiner: Machiko. Der Akita-Hund holte sein Herrchen täglich vom Bahnhof Shibuya in Tokio ab. Nach dem Tod des Mannes behielt Machiko diesen Ausflug bei – zehn Jahre lang, bis zum eigenen Tod im Jahre 1932. Heute erinnert ein Denkmal vor dem Bahnhof an das treue Tier. Möglicherweise war Machiko auch eine Inspirationsquelle für Seishu Hase.

Machiko-Denkmal vor dem Bahnhof Shibuya in Tokio. Foto. Bücheratlas

Der Autor scheut sich nicht vor Rührseligkeit. Manchem mag es sogar zu viel sein. Doch werden die Sentimentalitäten gebrochen vor dem Hintergrund aus Naturkatastrophen, prekären Lebensverhältnissen und Schicksalsschlägen. Kitschalarm muss also nicht ausgelöst werden. Seishu Hase erzählt farbig, flott und konsequent. Die Kapitel folgen einem schlichten dramaturgischen Dreiklang – vom überraschenden Kennenlernen über das feste Bündnis bis zu der Erkenntnis, dass es Zeit ist, dem neuen Freund die Weiterreise zu ermöglichen. Es handelt sich im Grunde um Kurzgeschichten aus unterschiedlichen Lebensbereichen, die durch Tamon zum Roman verbunden werden.

Von Hunden und Katzen

Ein Hund als Literaturheld – das gibt es nicht mehr so oft. Lassie und Rin Tin Tin sind die Stars von gestern (die dann auch Filmkarriere gemacht haben). Katzen haben es heute leichter. Gerade auch in Japan. Da denke man nur an die Katzen, die durch Haruki Murakamis Romane streifen. Oder an „Das Geschenk eines Regentags“ von Makoto Shinkai und Naruki Nagakawa sowie an Durian Sukegawas Roman „Die Katzen von Shinjuku“, die beide im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienen sind. Im deutschsprachigen Raum war es zuletzt Michael Köhlmeier, der in „Matou“ einer Katze das Romanfeld überlassen hat.

Nun darf aber auch ein Paradehund wie Tamon auf die Sympathie der Leserschaft hoffen. Seishu Hase, der im Jahre 1965 als Toshihito Bando in Hokkaido geboren wurde, ist in Japan ein etablierter Autor, der auf Bestseller und Preise verweisen kann und sich zumal mit Yakuza-Kriminalromanen einen Namen gemacht hat. Dies ist nun sein erster Roman in deutscher Übersetzung, für die Luise Steggewentz gesorgt hat. Nein, Tamon ist nicht vergeblich durch Japan gelaufen: Seine Geschichte bietet wohlige Lektüre.

Auf diesem Blog

Finden sich auch einige Besprechungen von „Katzen-Romanen“:

„Das Geschenk eines Regentags“ von Makoto Shinkai und Naruki Nagakawa  (HIER);

„Die Katzen von Shinjuku“ von Durian Sukegawa (HIER);

„Matou“ von Michael Köhlmeier (HIER).

Seishu Hase: „Tamons Geschichte – Roman einer Reise nach Süden“, dt. von Luise Steggewentz, Hoffmann und Campe, 288 Seiten, 24 Euro. E-Book: 14,99 Euro.

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