Phänomenales Romandebüt von Elizabeth Wetmore: „Wir sind dieser Staub“ über Frauen in Texas, die das Aufbegehren noch lernen müssen

Nicht viel los in der texanischen Provinz – jedenfalls nicht hier und auch nicht in Odessa in den 1970er Jahren, in denen der Roman von Elizabeth Wetmore spielt. Foto: Bücheratlas

Gloria Ramírez gehört zu den Mädchen, über die man in Odessa, Texas, noch Jahre später spricht.  Ramírez, das ist doch die Kleine, die zu einem Typen ins Auto stieg und ihm nachher vorwarf, sie vergewaltig zu haben. Dieses mexikanische Miststück, das den Ruf eines guten weißen Jungen ruinierte. Die selber schuld daran war, dass er ihr an die Wäsche ging. Sie würgte und schlug, bis ihre Milz riss und ihre Kopfhaut in Fetzen hing. So redete man damals, in den 1970er Jahren, in Texas.

„Es passierte nie etwas in diesem Dreckskaff“

Odessa steht kurz vor dem Ölboom, als Gloria eines Abends aus purer Langeweile in den verdreckten Truck von Dale Strickland klettert und mit ihm in die Ölfelder fährt. „Wie an fast jedem Samstagabend stand sie neben dem Picknicktisch, windschiefer Treffpunkt zwischen Autos und Trucks: rumhängen, Limonade trinken, Zigaretten schnorren und darauf warten, dass irgendwas passiert. Doch es passierte nie etwas, nicht in diesem Dreckskaff.“

Zwölf Stunden später wankt die 14-Jährige halbtot durch die texanische Wüste und sucht Hilfe bei der hochschwangeren Mary Rose, die mit Mann und Tochter auf einer abgelegenen Farm lebt. Was anschließend geschieht mit Gloria, mit Mary Rose und all den anderen Frauen, die in irgendeiner Form in die Geschehnisse verwickelt sind, das schildert Elizabeth Wetmore in ihren phänomenalen Debütroman „Wir sind dieser Staub“.

Ginny hat ihren Mann sitzen lassen

Eindringlich schildert sie eine brutale und rassistische Männergesellschaft, in der Frauen zum Waschen, Putzen und Kinderkriegen taugen und Mexikaner „der letzte Dreck“ sind. Mary Rose, die im Laufe des Romans in eine Depression rutschen wird, ist mit 17 das erste Mal schwanger geworden. Einer heimlichen Abtreibung einige Jahre später folgte schon bald eine weitere Schwangerschaft. Vorbei der Traum vom nachgeholten Schulabschluss. Ihre Freundin Ginny, die mit 15 Jahren Mutter wurde, ist kürzlich aus Odessa abgehauen und hat ihren Mann mit der heranwachsenden Tochter sitzengelassen. Seitdem zieht sie durch die USA und hofft, Debra Ann in ein paar Jahren herausholen zu können aus Odessa.  Oder Corrine, die auf die 70 zugeht und kürzlich Witwe wurde. Sie brauchte Ende der 1940er Jahren die Erlaubnis ihres Ehemannes, um nach der Geburt der Tochter weiter als Lehrerin arbeiten zu dürfen. Jetzt hockt sie auf der Veranda und säuft sich durch die Nächte.  

Es ließen sich noch viele Geschichten dieser Art erzählen. Elizabeth Wetmore beweist in ihrem Roman ein ungeheure Erzählkraft und reißt ihre Leserinnen und Leser regelrecht hinein in diese Frauenleben. Man möchte gewiss nicht tauschen mit Mary Rose und Corinne und Suzanne Ledbetter, die Avon-Pröbchen an die Gemeindefrauen verteilt und ihre Erfüllung im Herstellen von Stickbildchen findet. Vielmehr möchte man sie rütteln und schütteln und ihnen sagen, dass sie genauso viel wert sind wie diese ölverschmierten Kerle, die ihnen am Monatsende ein paar Dollar auf den Tisch knallen und sich ihre Partner nennen. Doch statt aufzubegehren machen die Frauen das Spiel seit Generationen mit.

„Ein Mut, von dem wir nicht mal träumen“

„Unsere Urgroßmütter haben Schwäche vorgeschützt, bis sie ihnen in Fleisch und Blut überging“, analysiert Barfrau Evelyn die Situation der Frauen in Odessa. „Manche von uns leben bis heute so. Den Mund aufmachen würde einen Mut voraussetzen, von dem wir nicht mal träumen.“    

Kurzum: „Wir sind dieser Staub“ (im Original „Valentine“) ist ein literarisches Ereignis der Extraklasse. Diese Autorin hat nicht nur viel zu sagen. Sie kann auch verdammt gut schreiben.

Petra Pluwatsch

Elizabeth Wetmore: „Wir sind dieser Staub“, dt. von Eva Bonné, Eichborn, 320 Seiten, 22 Euro. E-Book: 14,99 Euro.   

2 Gedanken zu “Phänomenales Romandebüt von Elizabeth Wetmore: „Wir sind dieser Staub“ über Frauen in Texas, die das Aufbegehren noch lernen müssen

  1. Das Label „Ein literarisches Ereignis der Extraklasse“ ist mehr als berechtigt. Ich lese dieses Buch gerade und kann es nicht aus der Hand legen. Schon lange nicht mehr so ein packendes Leseerlebnis gehabt!
    Can’t wait top read more from Elizabeth Wetmore!

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