
Die Schauspieler, die ich mag, haben alle einen Knall“, sagt Peter Zadek im Jahre 1999. Da probt der große Theaterregisseur noch einmal den „Hamlet“, über 20 Jahre nach seiner legendären Bochumer Inszenierung. In Straßburg hat er für die Koproduktion mit den Wiener Festwochen ein Dreamteam gewonnen, wie man es sich sonst nur noch auf einer Playstation zusammenstellen könnte: Angela Winkler als Hamlet, Eva Mattes und Otto Sander als Königin und König von Dänemark, Hermann Lause als Geist von Hamlets Vater, Ulrich Wildgruber als Polonius – und Klaus Pohl als Horatio.
„Ich schreibe ein Buch gegen das Vergessen“
Dieser Klaus Pohl nun ist nicht nur Hamlets bester Freund auf der Bühne, sondern führt als Schauspieler auch noch Tagebuch. Als Peter Zadek wissen will, was er denn da treibe, sagt Pohl: „Es ist alles immer vorbei, sobald es passiert. Dagegen schreibe ich mein Tagebuch, ich schreibe ein Buch gegen das Vergessen. Ich bleibe bei dem, was vor sich geht. Vieles überspringe ich. Manches erfinde ich.“ Als aus dem Tagebuch ein Roman geworden ist, will kein Verlag zugreifen. So entsteht zunächst einmal eine Hörbuch-Fassung, die derart begeisterte Aufnahme findet, dass dann doch ein Buch daraus wird. Und eine Verfilmung ist nun auch geplant. Drehbuch: Klaus Pohl.
Der Roman ist ein großes Glück. „Sein oder Nichtsein“ ist die Geschichte eines Theaterabenteuers, bei dem man nicht immer sicher ist, wo der größere Wahnwitz waltet – ob im Shakespeare-Drama oder auf der Probebühne. Es geht tatsächlich um alles: um Kunst und Tod und Liebe, auch um den damals aktuellen Krieg im Kosovo. Sein oder Nichtsein – das ist hier tatsächlich die Frage.
„Wer Hamlet spielen will, der ist schon mal falsch besetzt“
Zur wirkkräftigen Grundkonstellation gehört, dass Angela Winkler den Hamlet gar nicht spielen will und Ulrich Wildgruber immer darauf wartet, dass er die Hauptrolle übernehmen kann. Immerhin war er einst in Bochum als Dänenprinz umjubelt worden und fühlt sich nun als Hofschranze Polonius nicht ausgefüllt. Genau dieses Unbehagen mit den Rollen ist es wohl, was Zadek als förderlich für die Inszenierung erachtet. Er sagt: „Wer Hamlet spielen will, der ist schon mal falsch besetzt.“
Furcht und Verunsicherung zu verbreiten, gehört zum Probenprinzip des Großmeisters. Seine verbalen Übergriffe – „Arschlöcher, „Dilettanten“ – sind zahlreich. Als Annett Renneberg, die Darstellerin der Ophelia, von der permanenten Kritik zermürbt ins Weinen verfällt, fordert er sie auf: „Benütze doch das. Benütze es. Es gehört der Rolle. Keine Pause.“ Und so weint sie sich dann in allen Tonarten durch den Text.

„Ich kann nicht mehr“
Klaus Pohl lässt den Regisseur formulieren, was er von seinem Ensemble erwartet: „Es geht nicht darum, hier etwas perfekt zu machen. Nicht verbessern. Was falsch ist, ist falsch. Ihr müsst eure Rollen jedes Mal neu erfinden, ihr dürft nicht auftreten und gut sein wollen oder perfekt. Ihr müsst alles, was ihr macht auf der Bühne, in jeder Sekunde neu erfinden. Sonst ist es tot. Diese Inszenierung lebt nur, wenn ihr alles riskiert. Sobald ihr euch absichert, wird es tot. Lieber schlecht als perfekt, perfekt ist tot – Stadttheater.“
Es gibt hier auch das Probenglück, den Rausch des Spiels. Doch das ist die Ausnahme. Jeder und jede ist mal mit dem Durchdrehen dran. Grund dafür ist auch die permanente Überforderung. „Ich kann nicht mehr“, sagt Angela Winkler. „Das ist der beste Moment“, erwidert Peter Zadek. „Wir fangen noch einmal an.“ Pures Psycho-Rodeo.
„Drei verdammte Unterhaltsklagen am Hals“
Zweimal versucht Angela Winkler die Flucht aus der Produktion, versteckt sich erst auf dem Land und taucht dann in Berlin ab. Schon fürchtet Uwe Bohm, der den Laertes spielt, um die Gage, weil er „drei verdammte Unterhaltsklagen am Hals“ hat: „Wenn Hamlet platzt, kann ich meine Alimente nicht bezahlen.“ Zum Glück für Bohm und für die Kunst gelingt es Zadek beide Male, Angela Winkler zurückzuholen. Und dass Klaus Pohl der Kollegin jeden Tag eine Rose mitbringt, hat ihr sicher auch geholfen.
Der Schauspieler, der schon über 20 Theaterstücke geschrieben hat, erzählt seine Geschichte geschmeidig, mit Sinn für Pointe und Tempo. Scheinbar beiläufig verrät er, wie sich „Hamlet“ von Akt zu Akt entwickelt, als Stück bei William Shakespeare und als Inszenierung bei Peter Zadek. Vor allem aber geht es ihm um ein Ensemble, das er aus der Nahsicht beobachten kann –als „embedded“ Romancier.
„Wenn es so weitergeht…“
Das ist urkomisch und todtraurig. Zumal dann, wenn Klaus Pohl von Ulrich Wildgruber erzählt. Und von keinem ist öfter die Rede. Wildgruber war ein Genie der Schauspielkunst. Und auch der Komik. Einmal ruft er aus: „Wenn es so weitergeht, kommt es doch noch zu einer Aufführung.“ Das ist das eine. Das andere ist sein Entschluss, sich bis zum Ende des Jahrtausends umzubringen. Was Wildgruber dann auch im November 1999 gemacht hat, wenige Tage, nachdem er noch einmal mit diesem „Gender-Hamlet“ in Berlin aufgetreten ist.
„Sein oder Nichtsein“ ist ganz großes Theater. Eine Feier der Kunst und des intensiven Lebens, des Zweifelns und Gelingens, der durchzechten Nächte und des hellwachen Spiels. Auch ist es eine feine Erinnerung an die Verstorbenen – an Hermann Lause (1939 – 2005), Otto Sander (1941 – 2013), Ulrich Wildgruber (1937 – 1999) und Peter Zadek (1926 – 2009). Da mag man an den sterbenden Hamlet denken, der seinem Horatio im fünften Akt aufträgt: „Report me and my cause aright – Berichte aufrichtig von mir und meiner Sache“. Danach strebt Klaus Pohl nun auch mit dieser „Hamlet“-Erinnerung. Ein faszinierender Theaterroman für alle. Und für Theaterfreunde völlig unverzichtbar.
Martin Oehlen
Zugabe
mit Zitaten aus dem Roman von Klaus Pohl
Peter Zadek: „Mein Regietisch wackelt immer noch. Ich hatte gebeten, dass mein Regietisch entwackelt wird. Warum passiert nichts von dem, worum ich bitte? Warum ist der Regietisch noch nicht entwackelt?“
Hermann Lause: „Weißt du, Uli, Text lernen ist so eine Scheiße, dass es mir wehtut. Es tut mir weh, körperlich weh, eine verlorene Zeit.“
Ulrich Wildgruber: „Ich glaube, ich bin der einzige Schauspieler mit Charakter. Wie Lothar Matthäus beim Fußball. So steht es auch im Theater-Lexikon über mich. Charakterschauspieler.“
Angela Winkler: „Ich bin nicht Hamlet. Ich bin vielleicht ein Naturwunder, nicht Hamlet. Ich kann den Kerl nicht spielen neben Ulrich Wildgruber, der Hamlet derart stark gespielt hat, dass die Leute heute noch von seinem Bochumer Hamlet mit der Sonnenblume begeistert sprechen. Fertig. Ich kann Hamlet nicht, er sagt es auch.“
Otto Sander: „Singulär meint die Einsamkeit des Senfs in seinem Senftopf.“
Hermann Lause: „Hamlet spielt nicht im Kosovo! Was hat mein Totengräber mit dem Krieg im Kosovo zu tun? Gasmaske. Gasmaske! Leck mich am Arsch, Peter, mit deiner Gasmaske.“ – Ulrich Wildgruber zu Hermann Lause: „Sag doch einfach: Ein Einfall wie von Claus Peymann. Dann streicht Peter den Sondermüllanzug und die Gasmaske.“
Uwe Bohm: „Ich hatte einen Floh. Er war weg, jetzt ist er wieder da.“
Peter Zadek: „Fürchterlich. Morgen Premiere. Dann lasse ich mich einweisen.“
Lesung
Den Roman „Sein oder Nichtsein“ stellt Klaus Pohl am 10. November 2021 um 19.30 Uhr im Depot 1 des Schauspiel Köln vor.
Klaus Pohl: „Sein oder Nichtsein“, Galiani Berlin, 288 Seiten, 23 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

Ich geh morgen in die Lesung ins Depot – und freue mich sehr: darauf und über Deine Besprechung des Buchs. Klaus Pohl war ja in der Flimm-Zeit auch im Kölner Ensemble. Liebe Grüße Willi
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Eine sehr gute Entscheidung! Die Geschichte ist wirklich überragend. Herzlich, M.
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