
Die Goldgräber von Hill End mit Gold- und Gesteinsbrocken: Bernhard Holtermann (zweiter von links) und sein Freund und Partner Hugo Ludwig Beyers (zweiter von rechts) in Hill End. Foto: Emons Verlag / State Library of NSW, Mitchell Library
Bernhard Otto Holtermann (1838-1885) war ein Mann des Aufbruchs. Das hat er einige Male bewiesen. Wir können uns buchstäblich ein Bild davon machen. Und das ist ein einzigartiger Anblick.
Der Sohn eines Hamburger Fischhändlers war 1858 nach Australien ausgewandert, ohne Geld und ohne Englisch-Kenntnisse. Weil ihm die Arbeit als Kellner nicht gefiel, zog er 1860 mit seinem Freund Hugo Ludwig Beyers (1840 oder 1845-1910) von Sydney in die 300 Kilometer entfernten Goldfelder von Hill End. Dort machten Holtermanns Männer von der „Star of Hope“-Mine am 19. Oktober 1872 den größten Goldfund aller Zeiten. Das mit Gold durchwirkte Quarzgestein war 144 Zentimeter hoch, 66 Zentimeter breit und zehn Zentimeter dick – alles in allem 268 Kilo. Der Goldanteil betrug rund 93 Kilo. Die Presse sprach von einem „Monster“.

Bernhard Holtermann war mächtig stolz auf das „Monster“, das in seiner Mine gefunden wurde. Allerdings handelt es sich bei dieser Aufnahme um eine Collage. Foto: Emons Verlag / State Library of NSW, Mitchell Library
Holtermann legte das Geld gut an. Jedenfalls haben wir noch heute etwas davon. „Die Bilder, die er von den besten australischen Fotografen jener Tage mit immensem Aufwand schießen ließ“, schreibt Christoph Hein, „sollten den Ruf des Kontinents verbessern, die einstige Sträflingskolonie im Wortsinn in ein besseres Licht rücken.“ Der Wahlaustralier sei ein „genialer Selbstvermarkter“ gewesen, heißt es weiter. Aber er dachte eben auch an das Land, in dem er zu Reichtum gelangt war. So ging er mit einigen Abzügen sogar auf Tournee nach Philadelphia, Paris, Berlin und in seine Heimatstadt Hamburg. Mit im Gepäck hatte er ein riesiges Glasnegativ, das wohl beweisen sollte, was so unglaublich schien.
Holtermann hat nicht nur die Fotografen Henry Beaufoy Merlin (um 1830-1873) und Charles Bayliss (1850-1897) finanziell unterstützt. Auch sorgte er für die Beschaffung hochwertiger Kameralinsen aus Deutschland. Die Aufnahmen, die auf diese Weise zustande kamen, zählen seit 2013 zum „Memory of the World Program“ der Unesco. Von den Motiven, die zunächst Merlin und dann Bayliss auf Glasplatten gebannt haben, sind nun über 150 in dem Band „Australien 1872“ zu sehen.

Der Alltag in den Goldgräbersiedlungen war eine Plackerei. Hier sind Pferde im Matsch der Hauptstraße versunken. Foto: Emons Verlag / State Library of NSW, Mitchell Library
Die Bilder sind eine Wucht. Das liegt auch an der unverhofften Schärfe und den knisternden Schwarz-Weiß-Kontrasten. Vor allem aber laden die Motive zum staunenden Betrachten ein. Zerfurchte Gesichter. Staubige Straßen. Stolz und Erschöpfung. Schmutz, Armut, Bruchbuden zuhauf. Goldgräber, Blumenkinder, Großmütter. Kanonenboote, Spelunken, Pferdekutschen. Friseur, Metzger, Sattler, Lehrer, Zeltbauer. Wir sind im Wilden Osten Australiens.
Schnappschüsse sind hier nicht zu finden. Das ließ die Fototechnik jener Jahre nicht zu. Gleichwohl ist aufschlussreich und sehenswert, wie die Menschen sich präsentierten. Man kann sich hineinversenken in diese Aufnahmen. Da beobachten wir den zu Wohlstand gekommenen Holtermann beim Picknick mit seinen Töchtern, wobei man den kleinen Mädchen anzusehen meint, wie sehr es sie nervt, still sitzen zu müssen. Auf der anderen Seite steht stocksteif Holtermanns „Pferdeknecht“ Fred Gunway, der einen Zylinder trägt und einen Rappen vorführt wie einen roten Ferrari (auf einem anderen Foto hat er den Haus-Emu mit einer Leckerei angelockt).
Oder die Vollversammlung von rund 30 Goldgräbern, die wohl kurz vor der Aufnahme aufgefordert worden waren, die Hüte abzunehmen, damit man ihre sonnenverbrannten Gesichter besser erkennen kann. Und jedes Gesicht erzählt einen Roman, der nie geschrieben wurde. Verlockend auch die Panoramen von den um- und umgegrabenen Goldfeldern und vom quirligen Hafen in Sydney.

Die Goldgräber machen mal Pause für den Fotografen. Foto: Emons Verlag / State Library of NSW, Mitchell Library
Für einige Aufnahmen der Metropole hat sich Holtermann besonders ins Zeug gelegt. Wo man einen besonders weiten Blick auf Sydney hat, ließ er 1874 einen Turm errichten, der noch heute dort steht. Den obersten Raum verwandelte er in eine gewaltige Kamera: Die Glasplatten, die hier belichtet wurden, sind angeblich die größten, die je zum Einsatz kamen – sie maßen rund eineinhalb mal einen Meter.
Der Förderer der frühen Fotografie, der Gold zu Glasplatten machte, ging noch ein paar Karriereschritte weiter. Er brachte seinen Handel mit angeblich heilsamen Tinkturen und Salben in Schwung. Schließlich zog er 1882 als Abgeordneter ins Parlament von New South Wales ein. Dort setzte er sich für eine Straßenbahnlinie und eine Fährverbindung zum Nordufer ein. Christoph Hein, dessen empathischer Text ein wenig hätte gerafft werden können, weist auf ein weiteres bemerkenswertes Detail hinein.
Demnach hat Holtermann 5000 Pfund für den Bau jener Brücke beisteuern wollen, die heute gemeinsam mit dem Opernhaus das Wahrzeichen der Stadt ist. Im Parlament sagte er: „Eine Brücke mit den benötigten massiven Ausmaßen wird große Anziehungskraft und Bewunderung auslösen.“ Stimmt. Heute zählt die 1932 eingeweihte Harbour Bridge gemeinsam mit dem Opernhaus zu den Wahrzeichen der Metropole. Holtermann war auch als Abgeordneter ein Mann des Aufbruchs.
Martin Oehlen
Christoph Hein: „Australien 1872 – Wie ein Deutscher sein Glück fand und Fotogeschichte schrieb“, Emons, 240 Seiten, 39,95 Euro.