
Paul Celan reiste einige Male nach Frankfurt, um seinen Verlag und um seinen Lektor zu besuchen. Foto: Bücheratlas
Klaus Reichert war der Lektor, den Paul Celan unbedingt haben wollte, als der Lyriker 1966 beim Suhrkamp Verlag untergekommen war. Doch schon zuvor war Reichert mit Celan vertraut, hatte er ihm doch noch als frisch gebackener Abiturient im April 1958 in Paris – Rue de Longchamp 78, fünfter Stock – einen ersten Besuch abgestattet. Nun meldet sich Reichert mit Erinnerungen an Paul Celan zu Wort – dies in dem Bewusstsein, dass es die letzten sind, „die noch ausstanden“. Weitere Überlebende oder Freunde, die sich äußern könnten, gebe es nicht mehr. Er ist der letzte Zeuge.
Angst vor dem falschen Wort
Es ist eine lohnende, weil detailreiche und kompetente Nahsicht auf Person und Werk. Sie wird veröffentlicht im Gedenkjahr des Paul Celan. Vor 100 Jahren, am 23. November 1920, wurde Celan als Paul Antschel im damals rumänischen, heute ukrainischen Czernowitz geboren; vor 50 Jahren, vermutlich am 20. April 1970, ist er in Paris gestorben, sein Leichnam wurde Tage später in der Seine entdeckt. Briefe und Bilder ergänzen den an diesem Montag erscheinenden Band.
So „schwierig“ das lyrische Werk zuweilen scheint, so „schwierig“ war der Autor selbst. Allemal vorherrschend scheint die Sorge gewesen zu sein, den sensiblen Autor zu verstimmen. Dass dies nur allzu schnell geschehen konnte, nicht nur in Zusammenhang mit der kräftezehrenden Goll-Affäre, war schon dem zu Jahresbeginn von Barbara Wiedemann herausgegebenen Briefband „Etwas ganz und gar Persönliches“ zu entnehmen (den wir auf dem Bücheratlas HIER besprochen haben).
Nun schreibt Reichert, dass viele Freunde „Angst vor Celan“ gehabt hätten, auch er selbst: „Ein ‚falsches‘ Wort, ein unbedacht erwähnter Name konnte die Beziehung gefährden. So sprach man vorsichtig, gehemmt, mit Auslassungen.“ Daher fragte der Adorno-Schüler Reichert auch nicht nach, wieso sich Celan, dessen Eltern im Holocaust umgekommen waren, ausgerechnet mit Martin Heidegger getroffen hat, der während der NS-Zeit dem System nahestand. Dieser „unmöglichen Begegnung“ widmet sich Hans-Peter Kunisch in dem Band „Todtnauberg“ (den wir auf dem Bücheratlas HIER besprochen haben).
Im Sog der Verse
So sehr Reichert also in Sorge war, den Dichter zu verärgern, so sehr verehrte er ihn. Reicherts tiefe und Respekt verdienende Textkenntnis erschließt sich aus diesem Band zweifelsfrei. Auch wenn der Lektor nicht alles zu „entschlüsseln“ vermag, was da gedichtet steht, so ist ihm doch der „Sog“ der Verse, also die Mischung aus Ton und Rhythmus und Bildern, stets ein Grund zur Bewunderung.
Celan selbst hat immer wieder betont, dass seine Gedichte keineswegs hermetisch seien. Eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang, was Reichert von einer Verlags-Kollegin erfahren hat, die Celan zu einem Auftritt in Liechtenstein begleitet hatte. Als sie um einen Hinweis zu einer unverstandenen Stelle bat, antwortete der Autor: „Ich erkläre nichts. Es steht alles im Gedicht. Bei Mozart fragen Sie auch nicht, was das-und-das bedeutet.“ Bald darauf ist Celan vorzeitig abgereist.
Die Rosen des Dichters
Erstaunlich ist Reicherts konkrete Erinnerungsarbeit. Da schreibt er eine Begebenheit nieder, um nach Prüfung der Datums-Angaben festzuhalten, dass da „irgend etwas“ in seinem Gedächtnis nicht stimmen könne. Doch statt das Zweifelhafte zu klären oder zu streichen oder zu modifizieren, teilt er mit: „Ich weiß es nicht mehr und lasse es so stehen.“ Und so verfährt er mehr als einmal. Andererseits ist man erstaunt, wie detailliert Reichert einzelne Szenen zu memorieren meint. Auch nach einer mit dem Autor durchzechten Nacht („zwei Flaschen Whisky?“).
Paul Celan war mehrmals zu Besuch bei Reichert und dessen Ehefrau gewesen. Ein komplizierter Gast, der lange schweigen konnte, aber auch ein liebenswürdiger Gast und „von einer geradezu habsburgischen Höflichkeit“. Nach einem Abendessen im Sommer 1967 schickte Celan am nächsten Tag einen Rosenstrauß ins Haus. Reichert schreibt heute, über 50 Jahre später: „Die Rosenknospen, getrocknet, gibt es noch immer.“
Klaus Reichert: „Paul Celan – Erinnerungen und Briefe“, Suhrkamp, 288 Seiten, 28 Euro. E-Book: 23,99 Euro.
oh, wie interessant und wunderbar. danke hierfür!
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Sehr gerne! Und vielen Dank für Dein Lob!
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