
Michael Köhlmeier und Bettina Fischer auf dem Weg, den Märchen-Abend im Belgischen Haus in Köln zu eröffnen. Foto: Bücheratlas
Michael Köhlmeiers Großmutter bewahrte einen Flachmann in ihrem stets vollgepackten Koffer auf. Um die schmale Flasche zu leeren, benötigte sie „ein Jahr“, denn sie nippte nur daran. Sie war, wie der Autor jetzt bei einer Lesung in Köln sagte, „eine merkwürdige Frau“. Aber auch eine, die einen prägenden Einfluss auf ihn gehabt hat. Denn die Großmutter konnte Märchen erzählen, dass es eine Wucht war. Eine leise Wucht. Sie trug die Geschichten ohne Betonung vor, mit einer Stimme, die immer schwächer zu werden schien, so dass das Kind, das Michael Köhlmeier war, näher und näher an sie heranrückte, um noch etwas zu verstehen. Nie auch wusste man, ob sie nun ein Märchen erzählte oder eine Geschichte aus der Realität, ob „wahr“ war, was sie sagte, oder nicht.
Nun trug der Schriftsteller aus Hohenems seine eigenen Märchen vor, auf Einladung des Literaturhaus Köln im Belgischen Haus. Diese Veranstaltung war bereits vor einem Jahr mit Literaturhaus-Leiterin Bettina Fischer spontan und öffentlich verabredet worden. Damals lag freilich der prächtige Band „Die Märchen“ noch gar nicht vor, in dem Köhlmeiers Texte und die Illustrationen von Nikolaus Heidelbach versammelt sind.
Eine Sache des poetischen Instinkts
Seit langem ist Köhlmeier auch als Autor den Märchen zugetan. Bereits sein zweiter Roman „Moderne Zeiten“ von 1984 berge märchenhafte Elemente, sagte er. Und seit langem ersinne er Märchen für den Hausgebrauch, nicht zuletzt für seine Ehefrau Monika Helfer, die ihn zuweilen bitte: Komm, hast Du nicht ein Märchen für mich. Bei diesen Texten folge er seinem „poetischen Instinkt“, sagte er, „ohne Ambition“. Es sei eine literarische Form, in der man völlig frei sei. Diese Freiheit hat Köhlmeier mit Erfolg genutzt. Seine Märchen sind wie Märchen so sind: Darin gibt es Gute und Böse und allerlei Schrecknisse und Abgründe.
„Märchen sind wie Weißbrot,“ sagte Köhlmeier im Gespräch mit Moderator Ulrich Noller. „Es schmeckt nach nichts, aber man wird süchtig danach.“ Nach der Bedeutung frage er nicht. Er habe sogar solche Märchen aus den letzten 20 Jahren aussortiert, bei denen ihm die Interpretation in Erinnerung beziehungsweise offensichtlich war. Eine gewisse Rätselhaftigkeit zieht er vor: „Man fragt ja auch nicht nach dem Sinn einer schönen Blume.“
Nikolaus Heidelbachs Rache
Nikolaus Heidelbach hatte bei seinen Illustrationen gleichsam freie Hand. Zweimal habe er versucht, den Autor in Österreich anzurufen, sagte Heidelbach, doch es sei nie jemand ans Telefon gegangen: „Die Zusammenarbeit hat nicht stattgefunden.“ Gleichwohl habe er sich „mit einer Begeisterung“ auf die Geschichten gestürzt, nachdem ihm Hanser-Verleger Jo Lendle das Angebot gemacht habe. Und der Künstler ergänzte: „Außerdem hat der Verleger mit Geld gewunken.“
In einem Illustrations-Falle hat sich Heidelbach den Spaß erlaubt, die Silhouette von Michael Köhlmeier für eine Gottheit zu verwenden – doch für das göttliche Auge, das zu dieser Figur gehört, habe er seine eigene Augenfarbe gewählt. „Eine kleine Rache“, scherzte Heidelbach. Doch nicht Götter, sondern vor allem Teufels-Darstellungen mussten gefunden werden. Davon gibt es „rund 35“ in dem 800-Seiten-Band, und alle sollten unterschiedlich aussehen. Zum Glück ist es so: „Ich kann Teufel wie der Teufel!“
Bilder wie die Songs der Beatles
Michael Köhlmeier ist von den Bildern begeistert: „Es ist wie mit den Beatles-Songs: Mir gefallen alle sehr, sehr gut.“ Die auf den ersten Blick lieb wirkenden Figuren hätten bei längerem Betrachten auch etwas Böses und die Bösen etwas Liebes.
Dieser Abend war ein einziger Lobpreis der Märchen. Allerdings wurde auch noch die eine oder andere wichtige Information am Rande offenbart. Hier nur diese: „Wir Vorarlberger“, sagte Michael Köhlmeier, „haben einen gewissen Hang zur Melancholie – so einen Blick von schräg unten.“ Und er fügte hinzu: „Diese Melancholie hat etwas Erotisches.“ Ist das wahr? Ist das ein Märchen? Egal.
Martin Oehlen
Eine Besprechung des Bandes „Die Märchen“ (Hanser) findet sich HIER.
Weitere Beiträge zu Michael Köhlmeier und seinem Werk finden sich blitzschnell, wenn man den Namen als Suchbegriff auf diesem Blog eingibt.
Hat dies auf Wortspiele: Ein literarischer Blog rebloggt und kommentierte:
Das teile ich gerne! Und dies umso mehr, da ich bei dem Abend selber nicht zugegen sein konnte, nun aber doch ein wenig so empfinde, als sei es doch der Fall gewesen. Danke, Martin Oehlen, lieben Dank für den schönen Bericht.
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