Michael Köhlmeier über Heimat, Halunken und den wohligen Geruch des Bügelns

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Sommerliche Idylle: Der Alte Rhein bei Hohenems in Vorarlberg, wo der Schriftsteller Michael Köhlmeier zuhause ist. Foto: Bücheratlas

Michael Köhlmeier, der im Oktober 70 Jahre alt wurde, ist ein emsig-erfolgreicher Autor. Seine fulminante Sammlung „Die Märchen“ (Hanser), die einem Vorarlberger Berg-Massiv gleicht, haben wir bereits auf diesem Blog vorgestellt – und zwar HIER. Freilich wissen wir auch, dass der Autor aus Hohenems in Österreich nicht nur ein großer Geschichtenerzähler ist, sondern auch ein kritischer Zeitbeobachter. Das hat er im vergangenen Jahr unter anderem in dem Band „Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle: Reden gegen das Vergessen“ (dtv) bewiesen. Jetzt liegt der neue Band „Wenn ich wir sage“ vor, der in der Reihe „Unruhe bewahren“ im Residenz-Verlag erscheint. Dabei handelt es sich um eine Vorlesung, die Köhlmeier im April 2019 auf Einladung der Akademie Graz im dortigen Literaturhaus gehalten hat.

Den Begriff des „Wir“ umkreist der Autor von vielen Seiten. Er gibt Einblicke in seine Kindheit, in das Familien-Wir. Dies kulminiert in jener Szene, in der er als kleiner Junge den Vater, der ihm wie ein Fremder erscheint, nach langer Zeit wiedersieht. Weiter macht er bekannt mit seinen Helden Ralph Waldo Emerson und Michel de Montaigne, die ihm behilflich sind bei der Erläuterung des Freundschafts-Wir. Schließlich landet er bei Heimat und Nation. So sehr er sich zur Heimat bekennt, in seinem Fall zu Hohenems am Alten Rhein, so gefährlich scheint ihm der Begriff der Nation: „Das Wir der Heimat bestimmt, wer dazugehört; das Wir der Nation, wer nicht dazugehört. Die Heimat schließt ein, die Nation schließt aus.“ Nationalisten seien Halunken, Diebe, Gesindel, Zukurzgekommene, Ungeliebte, Hetzer, Lügner, Betrüger, so schreibt er es in genau dieser Reihenfolge, und  überdies „Verräter an ihren eigenen Empfindungen und den Empfindungen derer, für die zu sprechen sie behaupten!“

Viele anregende Momente bietet der Text, der aus dem eigenen Erleben geschöpft ist. Hier nur noch diese Anekdote vom Vater und seiner Schwiegertochter: „Manchmal fragte er Monika, ob sie nichts zum Bügeln habe; das hat er so gern gerochen, es erinnerte ihn an seine Kindheit, an die Momente der Geborgenheit in der Familie.“ Mit dem Bügelbrett zum Wir.

Martin Oehlen

Lesung aus „Die Märchen“

mit Michael Köhlmeier und Illustrator Nikolaus Heidelbach an diesem Donnerstag, 12. Dezember 2019, um 19.30 Uhr im Belgischen Haus (Cäcilienstraße 46). Hierbei handelt es sich um eine Veranstaltung des Literaturhaus Köln.

Michael Köhlmeier: „Wenn ich wir sage“, Residenz Verlag, 92 Seiten, 18 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

Köhlmeier

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