
Bilinguale Getränkeempfehlung im Japanischen Kulturinstitut in Köln. Soll ganz lecker sein. Foto: Bücheratlas
Haruki Murakami zieht immer. Auch beim Tag der Japanischen Sprache, den das Japanische Kulturinstitut in Köln anlässlich seines 50-jährigen Bestehens ausrichtete. Umso verlockender war der Termin, da die großartige Übersetzerin Ursula Gräfe über den Autor sprach, dessen Prosa sie seit vielen Jahren ins Deutsche überträgt. Vor wenigen Wochen erst wurde die Frankfurterin für ihre Kunst der Vermittlung mit dem renommierten „Noma Award for the Translation of Japanese Literature“ ausgezeichnet. Nun staunte sie im Vortragssaal des Japanischen Kulturinstituts über den Zulauf – sie hatte schon befürchtet, die vielen Weihnachtsmärkte in Köln, die ihr bei der Fahrt vom Bahnhof zum Institut am Aachener Weiher aufgefallen waren, könnten eine zu verlockende Konkurrenz sein.
Haruki Murakami ist weltweit der meistgelesene japanische Autor. Er wird in rund 50 Sprachen übersetzt. Selbst ins Arabische, sagte Gräfe, wenngleich dort bei „Szenen von sexueller Explizität möglicherweise ein bisschen gestrichen“ werde. Murakamis Erfolg sieht Gräfe darin begründet, dass ihm eine interkulturelle Synthese gelinge, die den Osten mit dem Westen verbinde.
Murakamis Helden seien meistens um die 35 Jahre alt und aus allen Beziehungen gefallen: „Sie wissen nicht so recht, wohin mit sich, und halten sich für nichts Besonderes.“ Dann aber werden sie in einen Fall verwickelt, in dem sie zu „Drachentötern“ mutieren. Dieser Individualismus sei als Lebensstil gerade in China, Korea und Taiwan sehr attraktiv, weil die Menschen in diesen Ländern stärker noch als bei uns in starre Strukturen eingebunden seien. Im Westen hingegen werde das Eintauchen in andere Welten, das Murakami regelmäßig anbietet, sehr geschätzt, weil dieses Motiv in hiesigen Romanen nicht sehr verbreitet sei.
Zuweilen wurde in der Vergangenheit in Japan die Kritik geäußert, Murakamis Romane seien allzu westlich geprägt. Das bestreitet Gräfe. Sie stellt in jüngster Zeit sogar eine stärkere Hinwendung des Autors zu Japan fest. Auffallend seien Elemente des Buddhismus oder die Anmerkungen zur japanischen Malerei im frischesten Werk, das bei uns unter dem Titel „Die Ermordung des Commendatore“ erschienen ist (eine Besprechung findet sich HIER).
Haruki Murakami ist in Gräfes Augen „ein Erneuer der japanischen Literatur“. Er sei der Erste gewesen, der sich vom hohen Ton der traditionellen Literatur des Landes abgewendet habe. Er stelle das Erzählerische in den Vordergrund, wolle die Leser mit der Geschichte in den Bann ziehen. Seine Entscheidung für eine vergleichsweise kargen Stil, der nicht ästhetisch überfrachtet sei, ist für sie „eine Großtat“, ja, „eine revolutionäre Leistung“.
Was Murakami mit Kafka zu tun hat und was nicht, erläuterte Ursula Gräfe. Zudem die 1990 einsetzende Rezeption in Deutschland und den Weg des Autors vom Suhrkamp-Verlag zum DuMont-Buchverlag. Zudem gab Gräfe beiläufig ein paar Literaturtipps – darunter war auch der Roman „Die Pfingstrosenlaterne“ von Sanyutei Encho (1839-1900), der jetzt in der „Anderen Bibliothek“ erschienen ist. Anschließend lud Gräfe noch zu einem Workshop, in dem sie Einblicke in ihre Praxis des Übersetzens gab. Da zog es dann die Glücklichen hin, die des Japanischen – empfohlenes Level: B2+ – mächtig sind. Die anderen konnten sich schon mal dem Gerstentee zuwenden, der gratis angeboten wurde.
Martin Oehlen
Ein ausführliches Interview mit Ursula Gräfe findet sich HIER.